Wolfgang Rosam, Politik- und Kommunikationsberater mit ÖVP-Nähe und Herausgeber des Gourmetmagazins Falstaff, zeigt sich „einigermaßen entsetzt“ über die innenpolitische Lage.
Das betreffe zuallererst FPÖ-Chef Herbert Kickl. Für Rosam sei die Erwartungshaltung der blau-türkisen Koalitionsverhandlungen gewesen, dass der blaue Parteichef sein Versprechen über eine „Politik des neuen Stils“ und seine „Vision für Österreich“ einlöse. „Von all dem ist gar nichts zu merken. Alles, was wir derzeit mitbekommen, ist ein Geplänkel, ein Feilschen um Macht und um Posten und ein Nicht-Abrücken von festgefahrenen Positionen, während das Land unter einer massiven Wirtschaftskrise leidet. Und das entsetzt mich, da ist keine Vision und keine Idee da.“
Es habe im Vorfeld der Verhandlungen Stimmen aus dem Wirtschaftsflügel der ÖVP und der Industriellenvereinigung gegeben, die Kickl nicht als „Gottseibeiuns“, sondern als einen „in wirtschaftlichen Fragen durchaus situierten Partner gesehen“ hätten. Jetzt habe sich gezeigt, dass die ÖVP mit der FPÖ an einem Tisch sitze, und der „wackelt, als gäbe es permanente Erdbeben“, weil es „mehr Trennendes als Gemeinsames“ gebe.
Für Kickl und die Freiheitlichen seien die Regierungsverhandlungen eine „Jahrhundertchance“ gewesen, das Kanzleramt zu übernehmen: „Die Chance wird so schnell auch nicht mehr kommen, denn Kickl müsste bei Neuwahlen eine absolute Mehrheit einfahren – und das bezweifle ich. Denn nach Neuwahlen wird erst recht niemand mit dem Herrn Kickl in Verhandlungen treten.“
Könnte dann Sebastian Kurz zurück aufs politische Parkett kommen? „Ich glaube, dass er die Lust an der Politik, an der Macht, an dem Spiel mit der Politik, am Gestalten nicht verloren hat“, so Rosam. Er gibt aber zugleich zu bedenken, dass Kurz noch offene Justizverfahren am Laufen hat, bei denen er als Beschuldigter geführt wird. „Die müssen erst abgewickelt werden.“ Und anders als in den USA bei Donald Trump würden die Strafverfolgungsbehörden hier aktiv bleiben. „In Amerika ist es ja tatsächlich so, wirst du zum Präsidenten gewählt, dann haben die Gerichte zu schweigen. Das ist in Österreich nicht so. Man kann in Österreich auch als Bundeskanzler angeklagt und verurteilt und eingesperrt werden.“
Der Politikkenner denkt zwar nicht, dass Kurz als Kandidat bei einer Bundeswahl die alte Strahlkraft mit 35 Prozent der Stimmen erreichen würde. „Aber er hat noch eine Strahlkraft, ich schätze mal 15 Prozent.“ Und zwar nicht als Spitzenkandidat der Volkspartei, sondern einer eigenen „Liste Kurz“. „Da muss er niemandem Rechenschaft abliefern. Und mit 15 Prozent ist er mit im Spiel, wenn er in Koalitionen will.“
Wer dann für die ÖVP als Spitzenkandidat ins Rennen gehen würde? Das ist auch für Rosam noch „ein großes Rätsel, da wird es noch spannend werden“.
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