Pflegeregress: Prozessflut wegen Rechtsunsicherheit

Pflegeregress: Prozessflut wegen Rechtsunsicherheit
Nach Abschaffung des Pflegeregresses blieben klare gesetzliche Regeln für offene Fälle aus.

Der Pflegeregress ist seit 1. Jänner 2018 abgeschafft. Erledigt ist die Sache dennoch nicht.

Im Juli 2017 hat der Nationalrat ein Verfassungsgesetz beschlossen, das drei Bestimmungen enthält: Der Regress ist abgeschafft. Es werden keine Forderungen mehr erhoben. Und – der dritte Teil – es wird Übergangsbestimmungen geben. Dieser Teil fehlt bis heute.

Das bedeutet: Rechtsunsicherheit für viele Erben; eine Vielzahl an Prozessen; Gerichts- und Anwaltskosten für Erben und öffentliche Hände; und einen rechtlichen Fleckerlteppich quer durch Österreich.

Der Fonds Soziales Wien (FSW) hat den Pflegeregress stets so gehandhabt, dass er im Todesfall bei Verlassenschaftsverhandlungen seine Geldforderungen angemeldet und in der Folge auch bekommen hat. Nun hat eine Erbin auf Basis der Abschaffung des Pflegeregresses einen Rekurs erwirkt, und zwar in einem Todesfall, der mehr als zehn Jahre zurückliegt. Das Grundstück, das dem FSW bereits zugesagt war, ist wieder in Schwebe.

Amtshaftung

Rund 4000 solcher Verlassenschaftsfälle hat der FSW nun offen und muss Urteile erfechten. Wiens Soziallandesrat Peter Hacker sagt, die Stadt bzw. der FSW könnten auf das Geld nicht einfach zugunsten der Erben verzichten, weil es sich um Steuergeld handle und man in die Amtshaftung hineinkomme.

Niederösterreich hat einen anderen Weg gewählt und alle offenen Erbschaftsprozesse per 31. 12. 2017 eingestellt. Das Land sieht das Problem mit der Amtshaftung nicht, allerdings: Dort, wo die Gemeinde oder das Land bereits grundbücherlich beim Vermögen von Pflegebedürftigen eingetragen war, hat auch Niederösterreich nicht verzichtet und wartet zur Vorsicht richtungsweisende Urteile ab.

Tirol hat mit Erben Ratenzahlungen vereinbart und ist vor Gericht abgeblitzt.

Wien verweist auf eine weitere Problematik: Die Pflegebedürftigen, die ehrlich ihr Vermögen angegeben haben, sind jetzt die Blöden. Die haben nämlich bis 31. 12. 2017 brav gezahlt. Wenn aber jemand etwa 2015 in ein Pflegeheim ging, 2018 verstarb und beim Vermögen schwindelte, kann sich die Stadt im Erbschaftsverfahren nun nicht mehr schadlos halten. Der Oberste Gerichtshof hat entschieden, dass man auch anteilig für die Zeit vor dem 1. Jänner 2018 nichts mehr nachfordern darf.

Auch in Niederösterreich sieht man diese Ungerechtigkeit und glaubt, dass der Bund wegen solcher Fallstricke trotz mehrfacher Urgenz durch die Länder die Übergangsbestimmungen schuldig blieb. Jetzt macht jedes Land, was es glaubt und wartet auf Gerichtsurteile.

240 Millionen offen

Noch etwas ist offen: Der Bund hat den Ländern bisher 100 Millionen als Ausgleich für den Pflegeregress überwiesen. Dadurch, dass die Pflege jetzt im Endeffekt gratis ist, fallen laut Ländern 240 Millionen Ausgaben für bisherige Selbstzahler, die sich ihre Pflege privat finanzierten, an. Hacker war bei Finanzminister Hartwig Löger und machte ihn aufmerksam, dass für diese 240 Millionen die Rechtsbasis fehle. Löger verwies laut Hacker auf den diesbezüglichen Beschluss der Landeshauptleutekonferenz. Hacker antwortete Löger: „Sie wollen tatsächlich eine Rechnung von mir, auf die ich drauf schreibe: Auf Basis des Beschlusses der Landeshauptleutekonferenz (die es in unserer Verfassung gar nicht gibt) verrechne ich Ihnen 80 Millionen?“

Niederösterreich bestätigt, dass dieses Gesetz fehle. Die Zeit dränge, das Geld solle noch heuer fließen.

Sondertreffen der Länder

Am kommenden Freitag werden sich die Sozial-Landesräte zu einer Sondersitzung treffen. Eingeladen hat das Land Salzburg, konkret der grüne Landesrat Heinrich Schellhorn, der in Koalition mit ÖVP-Landeshauptmann Wilfried Haslauer regiert.
Die Länder wollen  einen weiteren Versuch starten, sich auf ein Mindestsicherungsmodell zu einigen, bevor ihnen der Bund ein Modell vorschreibt.
Brisant könnte die Causa werden, weil in der laufenden Session des Verfassungsgerichtshofs ein Urteil zum oberösterreichischen Modell der Mindestsicherung erwartet wird. Das niederösterreichische Modell hat das Höchstgericht bereits aufgehoben, der „Deckel“ von 1500 Euro ungeachtet der Anzahl der Kinder ist „unsachlich“. Nun will  sich die Bundesregierung am oberösterreichischen Modell orientieren, das ebenfalls auf rechtlichem  Prüfstand  steht.
Auf der Tagesordnung der Soziallandesräte werden auch die offenen Pflegeregresspunkte stehen.

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