Neuwahl würde Mehrheit für Rot/Grün/Neos bringen

Eine Prognose sei gewagt: Das Gespenst wird bald wieder in seiner Mottenkiste verschwinden.
Dazu braucht man keine prophetischen Gaben, sondern nur eine Wahrscheinlichkeitsrechnung:
Welche Mehrheiten sind nach einer allfälligen Neuwahl realistisch?
Welche Partei hat die größeren Chancen, nach der Wahl den Kanzler zu stellen?
Das EU-Wahlergebnis ist trügerisch. Wie die Nachwahlanalyse der Experten Fritz Plasser und Franz Sommer ergab, nahm eine untypische Gruppe von Österreichern an der EU-Wahl teil. Es gingen viel mehr Europa-Befürworter zur Wahl als Europa-Skeptiker, und somit gingen viel weniger SPÖ- und FPÖ-affine Wähler hin als an einer Nationalratswahl teilnehmen würden. Zu Nationalratswahlen gehen beinahe doppelt so viele Wähler hin wie zu EU-Wahlen.
Bei einer Neuwahl hätte das Team Stronach wenig Überlebenschance. Die 5,6 Prozent TS-Wähler sowie die 3,5 Prozent BZÖ-Wähler vom September 2013 wären auf dem Markt. Davon würde hauptsächlich die FPÖ profitieren, aber auch SPÖ und Neos. Am wenigsten die ÖVP und die Grünen.
Eine realistische Mandatsverteilung nach einer Neuwahl wäre: 50 SPÖ, 44 ÖVP, 44 FPÖ, 27 Grüne und 18 Neos (derzeitiger Mandatsstand: 52 SPÖ, 47 ÖVP, 40 FPÖ, 24 G, 11 TS, 9 N).
Mit gemeinsam 95 Mandaten könnten SPÖ, Grüne und Neos eine Regierung bilden. Schwarz-Blau käme auf nur 88 Mandate, 92 sind im Nationalrat für eine Regierungsmehrheit erforderlich. Die ÖVP hätte weder mit der FPÖ noch mit Grünen und Neos eine Mehrheit.
Wer glaubt, hinter den Ereignissen stecke eine ausgeklügelte SPÖ-Strategie, irrt. Die SPÖ ist da hineingestolpert. Ausgangspunkt für die Steuerdebatte war ein Gesetzesvorblatt aus dem Hause Faymann/Spindelegger zur Grunderwerbsteuer. In diesem Vorblatt stand: "Ziel ist, dass das Aufkommen aus der Grunderwerbsteuer nicht steigt." Hingegen rechnete die Regierung in ihrem Budgetpfad mit Milliardensteigerungen aus der Lohnsteuer.
ÖGB-Präsident Erich Foglar platzte daraufhin der Kragen. In einem KURIER-Interview am 6. April formulierte er: "Ich habe es so satt." Und setzte sich damit an die Spitze der Arbeitnehmer, denen die Progression die Lohnerhöhungen wegfrisst.
Ein maues EU-Wahlergebnis später folgte die gesamte SPÖ-Führung dem Gewerkschaftsboss. Und jetzt geht es erst richtig los. Die schwarzen Arbeiterkammern in Tirol und Vorarlberg sammeln bereits Unterschriften für eine Steuersenkung, der ÖGB plant eine große Kampagne. Die SPÖ wird laut Faymann mitmachen.
Sollte die Regierung wegen der Steuerreform zerbrechen, wären die Steuern Hauptthema im Wahlkampf. Die ÖVP müsste gegen die Interessen von Millionen Steuerpflichtigen anargumentieren. Darauf wird sie sich wohl eher nicht einlassen.
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