Roter Wahl-Sieg, aber geringe Beteiligung: Wie wichtig ist die ÖH eigentlich noch?

ÖH-Vorsitzende Nina Mathies (VSStÖ), Spitzenkandidatin Selina Wienerroither (VSStÖ) und Bundesvorsitzende Miriam Amann (VSStÖ)
Die am Donnerstag zu Ende gegangene Wahl zur Österreichischen Hochschülerinnenschaft (ÖH) lieferte einen altbekannten Befund mit keinem neuen Akzent: Die Beteiligung blieb mit 22,1 Prozent der 369.000 Wahlberechtigten extrem niedrig, auch wenn sie geringfügig anstieg.
Der Verband Sozialistischer Studentinnen (VSStÖ) ging mit rund 30 Prozent der Stimmen klar als Sieger hervor, gefolgt von der ÖVP-nahen AktionsGemeinschaft (AG) und den Grünen und Alternativen Studentinnen (GRAS).

Doch jenseits dieser Ergebnisse drängen sich grundlegende Fragen auf: Wie legitim ist eine Vertretung, die nur jeder Fünfte wählt? Hat die ÖH angesichts universitärer Autonomie überhaupt politischen Einfluss? Welchen Stellenwert haben die Service-Angebote der ÖH im Alltag der Studierenden?
Und ist das System der Hochschulvertretung in der bisherigen Form noch zeitgemäß – oder muss es reformiert werden? Eine Analyse in vier Thesen.
1. Geringe Wahlbeteiligung – wackelige Legitimität?
ÖH-Kandidatinnen werben vor der Universität Wien mit dem Slogan „Deine Stimme zählt“ für die Teilnahme an der ÖH-Wahl – dennoch blieb die Beteiligung mit gut 22 Prozent sehr niedrig. Die ÖH wird zwar alle zwei Jahre direkt von allen Studierenden gewählt und sollte eigentlich das Sprachrohr aller Studierenden sein. Doch in der Praxis nehmen nur wenige dieses Wahlrecht wahr.

Bei der ÖH-Wahl 2025 stimmten 81.582 Studierende ab – rund 10.000 mehr als 2023 – was die Beteiligung auf 22,1 Prozent anhob. Diese leichte Steigerung ließ die scheidende ÖH-Vorsitzende dennoch von einem „starken Zeichen“ sprechen. Historisch bleibt die Quote aber bescheiden: In den 1950er- und 60er-Jahren mobilisierte die ÖH-Wahl noch weit über die Hälfte der Studierenden (1955 etwa 62 Prozent). Seit den 1990ern pendelt die Beteiligung um die 25–30 Prozent, Tendenz sinkend. 2021 lag sie pandemiebedingt gar bei nur 15,7 Prozent.

Spitzenkandidatin Viktoria Kudrna (GRAS) und stv. ÖH-Vorsitzende Sarah Rossmann (GRAS)
Viele Studierende scheinen der Wahl fernzubleiben, weil diese außerhalb der studentischen Öffentlichkeit kaum präsent ist. Die Konsequenz ist ein Legitimationsproblem: Beobachter interpretierten schon die Beteiligung von 24–25 Prozent in früheren Jahren als Desinteresse und De-facto-Entzug des Vertretungsmandats durch die Studierenden selbst. Zwar bleibt die ÖH rechtlich die anerkannte Interessenvertretung aller ordentlichen Studierenden – die Mitgliedschaft ist gesetzlich verpflichtend – doch eine so niedrige Wahlbeteiligung ist schlicht und ergreifend kein Ruhmesblatt.
2. Die ÖH zwischen Uni-Autonomie und großer Politik
An österreichischen Hochschulen gilt seit gut 20 Jahren weitgehende Universitätsautonomie. Entscheidungen über Budget, Professuren oder Studienangebote liegen bei den Universitätsleitungen – die ÖH hat hier nur indirekt Einfluss. Tatsächlich wurde mit dem Universitätsgesetz 2002 die zuvor geltende Mitbestimmung der Studierenden in vielen Gremien drastisch beschnitten, damals gab es immens große Studentenproteste in allen großen Universitätsstädten. Vor 2002 hatten Studentenvertreter dank Drittelparität in Instituten und Senaten eine gewichtige Stimme; diese Position der Mitentscheidung fiel der Hochschulreform zum Opfer. In der Folge fehlt der ÖH heute ein direkter Hebel, um hochschulpolitische Weichenstellungen mitzubestimmen. Sie kann Anliegen vorbringen und Protest organisieren – etwa gegen Studiengebühren oder für bessere Studienbedingungen –, doch formelle Macht ausüben kann sie kaum mehr.
Auch in sozialen Fragen (Teuerungsausgleich, Wohnkostenzuschüsse) oder bei studienrechtlichen Themen meldet sich die ÖH regelmäßig zu Wort. Allerdings ist ihr Einfluss auf Entscheidungen der Bundespolitik begrenzt – ob ihre Forderungen umgesetzt werden, hängt also vom Goodwill der Regierung ab. Im Vergleich zu anderen Interessenvertretungen – etwa Arbeiterkammer oder Wirtschaftskammer – wird die ÖH von der “großen” Politik weniger als Verhandlungspartner auf Augenhöhe behandelt. Dabei wäre ein starkes Mandat der Studierendenvertretung durchaus wünschenswert: Warum sollte die ÖH nicht ebenso regelmäßig Ansprechpartner der Politik sein?
3. Service statt Politik
Angesichts der begrenzten politischen Wirksamkeit hat sich ein Schwerpunkt der ÖH-Arbeit verlagert: Service und Beratung für Studierende. Tatsächlich begegnen viele Studierende ihrer Vertretung vor allem als praktische Helferin im Uni-Alltag.
In den Fakultäts- und Studienvertretungen werden ÖH-Vertreter häufig primär als Serviceleister wahrgenommen – sei es bei der Hilfe in Studienfragen oder dem Organisieren günstiger Angebote. Die ÖH unterhält ein breites Netz an Beratungsstellen: von der Sozialberatung (etwa zu Beihilfen, Wohnen, Studienfinanzierung) über Rechtsberatung (z.B. bei Prüfungsproblemen oder Mietfragen) bis hin zu psychologischer Beratung und Karriere-Infos. In finanziellen Notlagen können Studierende Unterstützung aus ÖH-Fonds erhalten – etwa einen einmaligen Zuschuss aus dem Sozialfonds. Ein zuletzt bekanntes Beispiel für den Servicecharakter ist auch das „Mensen-Pickerl“ (Mensa-Bonus): gegen Vorweis des ÖH-Ausweises gibt es in vielen Unimensen einen Zuschuss zum Essen.

Eva-Maria Holzleitner
Diese Serviceorientierung ist keineswegs zufällig entstanden. Seit die ÖH weniger in Entscheidungsprozesse eingebunden ist, konzentrieren sich viele Studierendenvertreterinnen und Vertreter darauf, den unmittelbaren Nutzen für Studierende zu maximieren – nach dem Motto: wenn schon die “große” Politik schwierig ist, soll wenigstens der Unialltag erleichtert werden.
Irgendwie bleibt der ÖH also nichts anders übrig, als eine Art Studierenden-Gewerkschaft zu sein, die Beratungs- und Serviceleistungen anbietet, finanziert durch den Pflichtbeitrag aller Inskribierten.
4. Reformbedürftig?
Das alles lässt eigentlich nur mehr einen Schluss zu: Das System der Hochschülerschaft in der aktuellen Form ist nicht mehr zeitgemäß. Das ist nicht Schuld der Studierendenvertreter, sondern begründet sich durch die bundespolitischen Reformen der vergangenen 20 Jahre. Was schuld der Studierendenvertreter ist? Diesen Umstand nicht entsprechend anzuerkennen und damit sich infrage zu stellen – und für eine komplette Neuausrichtung einzutreten.
Tätig werden müssen nicht nur die Studierenden, sondern Ministerin Eva-Maria Holzleitner. Sie sollte - klugerweise gemeinsam mit den Studierendenvertretern - einen neuen Prozess aufsetzen, wie die Hochschülerschaftsvertretung von morgen aussehen könnte, wie die Studierenden was mitbestimmen können, und wie die Gremien aussehen sollten. Keine Vertretung wäre auf keinen Fall wünschenswert, doch eine Vertretung wie jetzt, die einerseits für mehr Frieden auf der Welt und Klimaschutz (beides ganz wichtige Anliegen, aber für die ÖH?), andererseits Mensa-Gutscheine verteilt, ist es nicht.
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