Raidl: "Nehammer muss die Partei Kurz-frei machen"
Der ehemalige Spitzenmanager Claus Raidl war jahrelang auch Berater der ÖVP. Für ihn zeigt die Affäre um das Geständnis von Thomas Schmid, dass sich in der Partei jetzt einiges ändern muss.
KURIER: In einem Gastkommentar im KURIER haben Sie Verwerfungen rund um Gelder des NPO-Fonds für ÖVP-Organisationen scharf kritisiert. Am Ende schreiben Sie, dass Sie die ÖVP dennoch weiter wählen. Gilt das auch noch nach dieser Woche?
Claus Raidl: Das gilt nach dieser Woche auch noch, sofern in der ÖVP einige Sachen passieren. Es geht immerhin um das Ansehen der Republik und ein ehemaliger Bundeskanzler und ein ehemaliger Mitarbeiter von ihm streiten auf Bassena-Niveau.
Was muss passieren?
Karl Nehammer muss die Partei Kurz-frei machen. Er muss alle möglichen Personen oder Umstände, die belastend sein können, beseitigen. Das ist sehr hart, aber das muss er tun.
Also wieder Schwarz statt Türkis?
Ja, wieder Schwarz statt der Farbe Türkis. Nehammer muss sich da auch davon befreien, dauernd Sebastian Kurz zu verteidigen. Das ist jetzt die Sache der Gerichte und nicht der ÖVP.
Nehammer hat das Problem, dass auch Nationalratspräsident Wolfgang Sobotka und Klubobmann August Wöginger beschuldigt werden.
Für aktive Politiker, die involviert sind, hat die ÖVP einen Ethikrat. Der soll dann darüber befinden, was zu passieren hat. Wobei klar sein muss, dass die politische Verantwortung weit vor jener der strafrechtlichen sein muss. Aber das soll der Ethikrat entscheiden.
Innerparteilich hat er also einiges zu tun.
Richtig. Es kann ja nicht sein, dass ein Landesparteiobmann wenige Wochen vor einer Landtagswahl zurücktritt und dann weiter Landeshauptmann bleibt (Günther Platter in Tirol, Anm.). Das geht nicht. Bei so etwas muss er durchgreifen. Er muss auch verlangen, dass in der Partei, auch in den Landesparteien, alles offengelegt wird, was irgendwie anrüchig sein kann.
Reicht diese Aufarbeitung von alten Themen?
Nein, er muss zusätzlich auch Zukunftsperspektiven liefern. Er muss ein Modell 24 mit Hinblick auf die Wahlen 2024 ins Leben rufen, wo er Themen wie Sicherheit, Bildung, Zuwanderung und Wohlstandserhaltung behandelt. Das muss nach innen passieren. Nach außen muss er ganz klar zeigen, dass die neue Regierung nichts zu verheimlichen hat. Eine Transparenzinitiative wird mit den Grünen ja kein Problem sein. Da geht es etwa auch um das Amtsgeheimnis. Nehammer muss sich hier völlig offen zeigen, frei jeder Gefahr, aus der Ära Kurz etwas vertuschen zu wollen. Vielleicht kann die ÖVP die niederösterreichische Landtagswahl nutzen, um zu demonstrieren: „So sind wir nicht.“
Sollte der Kanzler mit der Regierung unbedingt die volle Periode durchdienen?
Ja, er sollte durchhalten. Jetzt Neuwahlen, das bringt nichts. Nehammer hat so die Chance, die ÖVP wirklich neu zu positionieren. Ich frage mich ja selber, von welchen Leuten wurden wir regiert. Waren das alles nur Egomanen? Nehammer muss zeigen, dass wir wieder von Leuten mit einer Wertehaltung regiert werden, die eine Vorstellung haben, wie Österreich in zwei Jahren ausschauen soll. Das würde eine gewisse Beruhigung bringen.
Würde es genügend Interesse dafür geben?
Es gibt genügend Leute, die vom Linksdrall der Neos ang’fressn sind, die eine marktwirtschaftliche Orientierung suchen in einer Partei, aber gegenüber der Kammer kritisch sind, die die Involvierung der ÖVP in die Skandale ärgert, die eine liberale Wirtschafts- und Gesellschaftspolitik wollen und die nicht immer gleich nach dem Staat rufen.
Die ÖVP müsste wieder mehr an Profil gewinnen?
Ja, total. Ich war am Anfang auch für Sebastian Kurz. Dann aber habe ich mich gefragt, was er eigentlich will. Ich war da in einer Pensionsreformgruppe, bis er gesagt hat, ich soll damit aufhören, weil das Stimmen kostet. Da bin ich draufgekommen, dass es der Mannschaft rund um den Kurz nicht um die Lösung von Problemen gegangen ist, sondern nur, wie bleiben wir an der Macht, wie bleibe ich Bundeskanzler. Diese Macht wurde aber in erster Linie nicht für Reformen, sondern nur fürs persönliche Wohl eingesetzt.
Sie glauben auch, dass Nehammer das schaffen kann?
Ja.
Sie haben mit der ÖVP in den vergangenen Jahrzehnten viel erlebt. Es hat viele Höhen und Tiefen gegeben. Im Rückblick: Wo ordnen Sie das ein, was jetzt passiert?
So etwas habe ich noch nie erlebt. Ich habe immer gewusst, in der Politik findest du Leute, denen es nur um den eigenen Vorteil geht. Aber bis jetzt hat man in der Mehrheit Leute gehabt, die Sachprobleme lösen wollten. Aber so, dass eine Clique sich die Partei und das Land unter den Nagel reißt für die eigene Machtbefriedigung, habe ich noch nicht erlebt.
Laut Meinungsforschern schadet so eine Affäre nicht nur der betroffenen Partei – in diesem Fall der ÖVP –, sondern dem gesamten politischen System. Kann dieser Vertrauensverlust wieder wettgemacht werden?
Ich sehe das genau so. Durch diese Aktion ist die ganze Politik in Verruf gekommen. Aber das lässt sich reparieren, indem jetzt die Gesetze, die ich erwähnt habe, beschlossen werden. Es ist sicher mühsam, aber es wird möglich sein, die Menschen zurückzugewinnen. Es ist wie im Fußball, jetzt sind alle tief betrübt. Ich verstehe auch jeden, der sagt, Hände weg von der Politik. Aber es ist Aufgabe, dass auf allen Ebenen Initiativen gesetzt werden. Man muss auch im Parlament mit dem gegenseitigen beschmutzen aufhören. Das ist ja auch arg. Aber es ist machbar, das Vertrauen wieder zu erringen. Wer soll uns denn regieren, wenn nicht die Politiker.
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