Der ehemalige Zweite Nationalratspräsident Heinrich Neisser ist tot

Heinrich Neisser
Der frühere Zweite Nationalratspräsident Heinrich Neisser (89) ist tot. Er war mehr als drei Jahrzehnte als Spitzenpolitiker der ÖVP tätig und über die Parteigrenzen hinaus anerkannter Repräsentant des liberalen Flügels der Partei. Nach der Nationalratswahl im Herbst 1999 schied er aus der aktiven Politik aus und nahm an der Universität Innsbruck eine Professur für Europäische Integration an. Der Tagespolitik hielt er sich in den vergangenen zwei Jahrzehnten fern, Neisser engagierte sich jedoch in zahlreichen Initiativen zu Fragen von Demokratie und Medienfreiheit.
In der ÖVP-Alleinregierung beriet er Kanzler Klaus
Bereits in seiner Jugend galt Neisser als politisches Talent. Während der ÖVP-Alleinregierung (1966 bis 1970) war er Berater von Bundeskanzler Josef Klaus. 1968 übernahm er die Leitung des Ministerratsdienstes. Von Juni 1969 bis zum Ende der Alleinregierung im April 1970 gehörte Neisser der Regierung als Staatssekretär im Bundeskanzleramt an.
In der großen Koalition kehrte er zurück als Minister
Seine Rückkehr in eine Regierungsfunktion erfolgte unmittelbar nach Bildung der Großen Koalition im Jänner 1987. Damals wurde er Kanzleramtsminister für Verwaltungsreform und Föderalismus. Der Wechsel an der ÖVP-Spitze von Alois Mock zu Josef Riegler und damit auch im Regierungsteam der ÖVP führte im April 1989 dazu, dass Neisser aus der Regierung ausschied und in den Nationalrat zurückkehrte, dem er bereits in den Jahren der ÖVP-Opposition von 1975 bis zu seinem Wechsel in die Regierung im Jänner 1987 angehört hatte. 1989 übernahm er die Funktion des Demokratiesprechers. Ende Oktober 1990 wurde er dann nach den Nationalratswahlen ÖVP-Klubobmann. Von November 1994 bis Ende Oktober 1999 war er schließlich Zweiter Nationalratspräsident.
Promovierter Jurist mit Tätigkeit im Verfassungsgerichtshof
Neisser wurde am 19. März 1936 in Wien geboren. Er maturierte 1954 im Piaristengymnasium und studierte anschließend Rechts- und Staatswissenschaften. Nach seiner Promotion zum Dr.jur. 1960 und der Gerichtspraxis trat er 1961 als Sekretär in das Präsidium des Verfassungsgerichtshofes ein. Von 1974 bis 1981 war Neisser in der Vereinigung Österreichischer Industrieller tätig. Von 1981 bis 1984 fungierte er als Bundesgeschäftsführer des Österreichischen Management-Clubs. Ab 1989 war Neisser Honorarprofessor für politische Wissenschaften an der Universität Wien, seit 1999 hat er eine Professur für Europäische Integration am Institut für Politikwissenschaften an der Universität Innsbruck inne. Er hat zahlreiche Bücher publiziert, die sich vor allem den Themenbereichen Verfassungsrecht und Europapolitik widmen.
Neisser heiratete 1978 eine Witwe mit drei Kindern. Aus dieser Ehe stammt eine Tochter. Das große Hobby Neissers war die Musik. Er galt als ausgezeichneter Pianist.
Die Demokratie blieb sein Thema
Ab 2007 engagierte er sich in der Initiative Mehrheitswahlrecht. Zuletzt legte diese ihren "Demokratiebefund" im Vorjahr vor. Neisser zeigte sich darin weiter als überzeugter Kämpfer für Reformen der Demokratie. Es sei wichtig, sich über Demokratie täglich Gedanken zu machen. Dass stattdessen öffentlich die Frage gestellt werde, ob Demokratie liberal ist oder illiberal ist, sei nicht begreiflich. Die Frage müsste heißen: "Wo sind die zentralen Gefahren einer Demokratie?" Die Initiative forderte unter anderem Reformen beim Wahlrecht, mehr Transparenz, bessere politische Bildung und die Sicherstellung einer unabhängigen Medienlandschaft. Auch in einem Bündnis zur Debatte über die Neutralität trat Neisser in jüngerer Vergangenheit in Erscheinung. Anlass war damals der Einmarsch Russlands in der Ukraine.
Die Präsidentin der ÖVP Senioren, Ingrid Korosec, trauert um Heinrich Neisser: „Er war ein engagierter und geschätzter Politiker und brillanter Jurist. Ein kluger Kopf, rhetorisch gewandt und humanistisch engagiert. Und er hat stets für einen lebendigen Parlamentarismus gekämpft", heißt es in einer Aussendung. In all seinen Funktionen – Staatsekretär, Bundesminister für Föderalismus und Verwaltungsreform, Nationalratsabgeordneter, Klubobmann, Zweiter Nationalratspräsident – sei er um Reformen zum Wohle des Staates und der Demokratie bemüht gewesen. „Ich habe einen lieben Freund verloren.“
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