John Schellnhuber, Chef des Spitzenforschungsinstituts IIASA in Laxenburg, über Politiker, die den Klimawandel leugnen, das überschrittene Klimaziel und die Waldbrände in Kalifornien.
Seit wenigen Tagen ist klar, dass ein wichtiges Klimaziel überschritten wurde. IIASA-Präsident John Schellnhuber erklärt, was das bedeutet.
KURIER:Neue Daten des europäischen Klimadienstes Copernicus bestätigen, dass 2024 weltweit das wärmste jemals gemessene Jahr war. Im Jahresmittel lagen die globalen Temperaturen erstmals über 1,5 °C. Was heißt das?
John Schellnhuber: Formal heißt das jetzt, dass wir die rote Linie des Pariser Klimaabkommens von 1,5 Grad letztes Jahr zumindest kurzfristig gerissen haben. Man kann natürlich darüber diskutieren, wie viele Jahre es eine solche Überschreitung braucht, um von einer „echten“ Grenzverletzung zu sprechen. Aber als Klimasystemforscher erkenne ich ein klares Signal: Wir können die 1,5-Grad-Linie nicht mehr halten.
Aber was ist jetzt zu erwarten?
Jenseits von 1,5 Grad Erwärmung drohen uns abrupt eintretende und wahrscheinlich unumkehrbare Veränderungen im Klimasystem – etwa das Abschalten des Golfstroms oder der Kollaps von Regenwäldern. Wir bewegen uns da eindeutig in einen roten Bereich.
Die Pariser Ziele sprechen ja auch von „deutlich unter 2 Grad“. Aber wir stoßen nach wie vor große Mengen CO2 aus. Marschieren wir nicht schnurstracks auf 2 Grad zu?
Genau das tun wir. Zwischen 1,5 und 2 Grad bewegt man sich ohnehin im roten Bereich. Jenseits der 2 Grad werden wir mit unbeherrschbaren Klimafolgen rechnen müssen. Man muss sich auch die Trägheit des Klimasystems klarmachen. Selbst wenn wir jetzt sofort aufhören würden, CO2 auszustoßen, wären noch viele Jahrzehnte lang Folgen zu spüren. Aber die Emissionen steigen teilweise immer noch weiter. Dann werden verschiedene Kipppunkte überschritten. Wir wissen beispielsweise, dass bei 3 Grad Erwärmung rund ein Drittel der derzeit bewohnten Erdoberfläche unbewohnbar wird, weil die Kombination aus Temperatur und Luftfeuchtigkeit für den Menschen unerträglich wird.
Warum ist das so kritisch für unsere Zivilisation?
Der Unterschied zwischen 2 Grad und 4 Grad Erderwärmung ist der Fortbestand oder eben das Ende der menschlichen Zivilisation, wie wir sie kennen. Manche halten das für Alarmismus, aber schauen Sie auf die möglichen Kettenreaktionen: Meeresspiegelanstieg um Dutzende Meter, Abschaltung des Golfstroms, Zusammenbruch großer Ökosysteme, Teile der Erde werden unbewohnbar. Die daraus entstehenden Migrationsbewegungen wären enorm – das sprengt jede Vorstellung von geordneter Aufnahme in anderen Weltregionen. Es wäre die größte Krise in der Geschichte der Menschheit.
John Schellnhuber, gebürtiger Bayer (74), ist einer der führenden Klimawissenschaftler der Welt und Direktor des IIASA (International Institute for Applied Systems Analysis).
Er ist Gründer und langjähriger Direktor des Potsdam-Instituts für Klimafolgenforschung (PIK); Berater für deutsche Bundesregierungen, EU-Kommission und internationale Institutionen in Klimafragen.
Wird Ihnen wegen solcher Aussagen Alarmismus unterstellt?
Ja, oder eine Kassandra zu sein. Kassandra hatte aber vorhergesehen, dass Troja untergehen wird, ihr wurde aber auch von Apollo ein Fluch auferlegt, dass ihr niemand glauben wird. So ist das nicht bei mir, ich berufe mich auf naturgesetzliche Logik und den breiten wissenschaftlichen Konsens.
Gleichzeitig beobachten wir jedoch, dass in der Politik – nicht nur in Österreich – Parteien gewählt werden, die den menschengemachten Klimawandel infrage stellen oder zumindest kleinreden. Woran liegt das?
Teils handelt es sich um eine Art „Erschöpfung“ in der Gesellschaft. Viele haben das Gefühl, dass die anstehenden Veränderungen zu anstrengend, zu teuer, zu komplex sind. Andere leugnen einfach die Fakten. So jemandem fällt es leicht, zu sagen: „Macht euch keine Sorgen, es gibt gar kein Problem.“ Das ist natürlich verführerisch. Wir sehen aber auch Regionen wie Ostasien, China, Vietnam, Südkorea, in denen enorm in erneuerbare Energien, Elektromobilität und Speichertechnologien investiert wird. Dort versteht die Politik, dass nur langfristiges Denken ein Land nach vorne bringt. Im Westen hingegen werden Klimathemen oft von kurzfristigen Krisen oder populistischen Strömungen verdrängt.
Aber Herr Trump oder bei uns die FPÖ werden ja auch deshalb gewählt, weil sie sagen: macht euch keine Sorgen, es gibt ja gar keinen Klimawandel.
Natürlich. Das sind Fluchthelfer aus der Realität. Die sagen genau das, was man hören will. Aber die Fakten bleiben die Fakten. Wir haben also eine Krise des Umgangs mit der Wahrheit. Und mit den Sozialen Medien haben wir öffentliche Foren, wo man gemeinschaftlich die Wahrheit ignorieren kann, das wir richtiggehend gefeiert. Genau deshalb brauche ich eine verantwortungsvolle politische Führung
Warum erleben wir immer wieder diese Konjunkturzyklen bei der politischen Aufmerksamkeit über die Klimakrise?
Das liegt wohl an der Komplexität des Klimawandels. Er ist wie ein Asteroid, der in Superzeitlupe auf die Erde zusteuert. Man kann nicht 24 Stunden am Tag jahrelang mit hochgerecktem Kopf auf dieses bedrohliche Objekt starren – irgendwann sagt man: „Ich kann nicht mehr, ich will nicht mehr.“ Andererseits gibt es immer wieder akute Themen wie Finanzkrisen, Pandemien oder Inflation, die in den Vordergrund rücken. Doch der Klimawandel bleibt und entwickelt sich weiter, egal ob man hinschaut oder nicht. Die Aufgabe der Wissenschaft ist es, weiterhin darauf hinzuweisen – „zu nerven“, wenn Sie so wollen. Wir werden aus öffentlichen Mitteln bezahlt und tragen eine Verantwortung, die Öffentlichkeit zu informieren.
In Österreich stehen gerade Regierungsverhandlungen an, und es scheint, dass die Klimapolitik da keine Rolle spielt, es sollen vielmehr einige oder alle Klimaförderungen eingestellt werden. Wie bewerten Sie das?
Ich kann und will keine Parteien bewerten. Aber ich möchte an die politische Verantwortung erinnern. In den letzten Jahrzehnten habe ich immer wieder erlebt, wie das Thema Klimaschutz Konjunktur hatte und dann wieder verdrängt wurde. Fakt ist: Das Klimaproblem bleibt bestehen, ob die Politik es aufgreift oder nicht. Wer jetzt glaubt, die Klimaziele opfern zu können, irrt. Die Naturgesetze lassen sich nicht austricksen. Das hat nichts mit einer kurzfristigen Modeerscheinung zu tun. Es ist eine tiefgreifende physikalische Realität, die wir nur mit echtem und anhaltendem Engagement bewältigen können.
In den USA in Los Angeles wüten verheerende Brände. Bloomberg beziffert die Kosten bereits auf über 50 Milliarden Dollar, manche Medien sprechen sogar schon von 150 Milliarden. Hängt das direkt mit dem Klimawandel zusammen?
Es wird im Nachgang sicherlich entsprechende „Attributionsstudien“ geben, die untersuchen, wie viel wahrscheinlicher solche Brände durch den Klimawandel geworden sind. Aber klar ist: In Südkalifornien gab es historische Trockenperioden, dann wieder extrem starke Niederschläge, wie im Vorjahr. Das sorgt für starkes Pflanzenwachstum, das anschließend austrocknet und leicht entflammbar ist. Zusätzlich verändern sich Windregime durch die Erderwärmung. Diese Santa-Ana-Winde haben jetzt beste Voraussetzungen, um riesige Feuer anzufachen. Man sieht ähnliche Extreme in Kanada, in Hawaii, überall auf der Welt. Extremere Hitzeperioden, stärkere Niederschlagsereignisse – das Klima wird volatiler.
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