Karl Nehammer: "Trump ist ein Mann, der Krieg hasst"

Der ehemalige Kanzler und heutige EIB-Vizepräsident Karl Nehammer
Anfang des Jahres ist er von allen Ämtern zurückgetreten, seit 1. September ist er einer der Vizepräsidenten der Europäischen Investitionsbank. Anlässlich seines Buches "Sich selbst treu bleiben" spricht Karl Nehammer über das Ende der Kanzlerschaft, wer ihm als Freund geblieben ist und ob er eine Zitrone gepflanzt hat.
KURIER: In Anlehnung an Ihren Kanzler-Podcast „Karl, wie geht’s?“ Wie geht es Karl Nehammer als Vizepräsident der Europäischen Investitionsbank?
Karl Nehammer: Gut. Es ist eine große Veränderung und in vielen Bereichen sehr lehrreich – wie immer, wenn man wo neu anfängt, dann muss man viel dazu lernen.
Vielen war die EIB bis zu Ihrer Bestellung kein Begriff. Was ist Ihr Aufgabengebiet?
Die EIB ist den 1950er Jahren gegründet worden, um strukturärmeren Gegenden der Union durch Kreditfinanzierungen oder Garantien zu helfen. Ich bin Mitglied des politischen Boards, das Projekte danach beurteilt, ob sie den Vorgaben der 27 Eigentümer – der EU-Mitgliedstaaten vertreten durch die Finanzminister – entsprechen und, ob EU-Politik umgesetzt wird. Zum besseren Verständnis: Es geht um Themen wie Energie, Infrastruktur, Security and Defense. Ich vergebe aber keinen Kredit, ich verhandle auch keine Kreditzinsen, sondern bei uns geht es tatsächlich um die Bewertung von Projekten.
Sie sind im Jänner als Kanzler zurückgetreten, seit 1.September EIB-Vizepräsident. Das Buch haben Sie dazwischen geschrieben?
Ich habe mich nach meinem Rücktritt selbstständig gemacht, eine neue Perspektive gesucht und mir in dieser Zeit auch viele Gedanken darüber gemacht, was eigentlich in den letzten fünf Jahren passiert ist. Die Nominierung für die EIB war ein längerer Prozess, den der Finanzminister einleitet und der von einer qualifizierten Mehrheit der EU-Mitgliedsstaaten bestätigt werden muss.

Karl Nehammer: "Sich selbst treu bleiben", Ecowing Verlag, 208 Seiten, 26 Euro
Wären Sie nicht bei der EIB, würden Sie jetzt was genau machen?
Mein Ziel war es, die Erfahrungen, die ich als Innenminister und Bundeskanzler sammeln durfte als Berater weiterzugeben. Zum Beispiel in Fragen der Sicherheitsarchitektur, des Neuaufbaus eines Nachrichtendienstes bis hin zum Managen von Krisen, dem Sicherstellen der Energieversorgungssicherheit mit Gas.
Es kam anders, weil…
… man an mich herangetreten ist. Damit man Vizepräsident werden kann, wird man von einem Komitee beurteilt und von den Mitgliedsstaaten bestätigt. Das ist zugegebenermaßen ein spannender Prozess. Entgegen der manchmal hier in Österreich stattfindenden Diskussion sahen auch die Präsidentin und die anderen Vizepräsidenten es als positiv an, dass ein ehemaliger Premierministerjetzt in die EIB eintritt, seine Erfahrung einbringt und Kontakt zu den anderen Regierungschefs aus der Zeit des EU-Rates hat.

Karl Nehammer und Giorgia Meloni
Apropos andere Regierungschefs. Sie hatten ein besonders gutes Verhältnis zu Italiens Regierungschefin Giorgia Meloni, sie wiederum ein besonders gutes zu US-Präsident Donald Trump. Was zeichnet Meloni Ihres Erachtens aus?
Ich habe mit Trump noch im November 2024 als Bundeskanzler telefoniert. Ich habe das damals auch öffentlich gesagt: Trump ist ein Mann, der Krieg hasst und im höchsten Maße daran interessiert ist, dass Kriege aufhören. Ich halte das für eine gute Voraussetzung für einen Präsidenten einer Supermacht, von der auch wir als Europäer profitieren können.

Giorgia Meloni und Donald Trump
Glauben Sie, dass der Frieden von Dauer sein kann?
Der Nahe Osten war und ist eine sehr schwierig zu beurteilende Region. Mit Sicherheit wird es eine Koalition der Willigen geben müssen, die sich um Gaza und auch Westjordanland kümmert und dafür sorgt, dass die kriminellen Strukturen der Terrororganisation Hamas und der Hisbollah im Libanon tatsächlich nachhaltig zerstört werden. Es geht darum, dass auch die Palästinenser in Freiheit und Frieden leben sollen. Aber sie können weiter nicht in Freiheit leben, weil sie von einer Terrororganisation beherrscht werden. Im Westjordanland haben wir eine andere Situation, denn dafür ist die Autonomiebehörde verantwortlich.
In Ihrem Buch beschreiben Sie die Begegnung mit der Gaza-Geisel Tal Shoham. Haben Sie die Zitrone, die er Ihnen als Geschenk gegeben hat, eingepflanzt?
Ja, das habe ich.

Zurück zu Giorgia Meloni. Worauf führen Sie es zurück, dass Sie mit den besten Draht zum US-Präsidenten hat?
Die italienische Premierministerin hat einfach überzeugt! Sie hat im EU-Rat überzeugt, weil sie extrem pro-europäisch und lösungsorientiert ist und grundvernünftige Ansätze auch in der Frage der Weiterentwicklung der EU hat. Wir haben viele Stunden gemeinsam in den EU- Räten verbracht. Ich war jedes Mal beeindruckt, mit welcher Klarheit sie Veränderungen in der EU herbeiführen möchte. Sie ist überhaupt nicht zu vergleichen mit Matteo Salvini und Lega Nord. Die italienische Premierministerin ist eine, die auch in schwierigen Situationen immer noch Lösungen gesucht hat. Sie war beispielsweise in der Südtirol-Frage, die für mich als österreichischer Kanzler enorm wichtig war, sehr offen. Wir haben uns diese gute Beziehung politisch aufgebaut und sind mittlerweile befreundet.

Klaudia Tanner, Karl Nehammer, Gerhard Karner
Halten Sie auch noch Kontakt zu ehemaligen Regierungsmitgliedern?
Ja, freilich! Viele von uns haben ja auch eine gemeinsame Geschichte miteinander. Innenminister Gerhard Karner war beispielsweise schon mein Chef als ich noch in Niederösterreich war. Natürlich verändern sich die Beziehungen und Gespräche auch, weil der eigene Fokus ein anderer geworden ist.
Können Sie ein Beispiel nennen?
Ich habe jetzt den Luxus des Blicks von außen auf die Dinge und nehme Veränderungen anders wahr. Wenn jetzt große Erfolgen erzielt werden wie bei der Rückführung von straffälligen Syrern – woran wir alle jahrelang gearbeitet haben – dann gratuliere ich Gerhard Karner natürlich zu diesem Erfolg. Es ist erst das Bohren harter Bretter, das das möglich macht. Die erste Frage, wenn ich ehemalige Kolleginnen und Kollegen sehe, ist aber auch hier immer: „Wie geht es, wie geht es der Familie?“
Der Wirtschaft geht es schlecht – auch wegen der Gießkannen-Politik Ihrer Regierung. In Ihrem Buch kritisieren Sie einmal mehr die Wirtschaftsforscher und deren falsche Prognosen, raten dazu, Konsequenzen daraus zu ziehen. Tut das jemand?
Mir ging es um die gesamthafte Sicht der Dinge, diesen Blick versuche ich, in meinem Buch zu geben. Warum das Budget so belastet ist, das ist nicht redlich zu beantworten, ohne die Jahre davor zu sehen. Wenn man budgetwirksam über 40 Milliarden Euro in die Hand nimmt, um die Folgen der Pandemie zu bekämpfen, dann hat das eine Auswirkung. Wenn man vier Milliarden und mehr in die Hand nimmt, um die Energieversorgungssicherheit für die Republik herzustellen, dann hat das eine Auswirkung. Doch mit diesem Geld wurde auch zum ersten Mal in der Geschichte eine strategische Gasreserve angelegt. Es geht nie darum, wer alleine die Verantwortung hat, sondern darum, wie wir die strukturellen, also langanhaltende Kosten in den Griff bekommen. Ich freue mich, dass es jetzt eine zarte Hoffnung gibt, dass das Wirtschaftswachstum wieder zurückkehrt und ich finde, die derzeitige Regierung bemüht sich sehr, um das zu unterstützen.
Ganz Europa rüstet auf oder nach. In Deutschland ist eine Debatte über die Wiedereinführung der Wehrpflicht entbrannt. Sie selbst haben eine militärische Karriere gemacht. Befürchten Sie Krieg in Europa abseits des russischen Angriffskriegs auf die Ukraine?
Es ist geboten, die Situation, wie sie sich jetzt darstellt, ernst zu nehmen. Die politische Diskussion über die Wehrhaftigkeit und die Bedrohungen der Demokratie ist höchst notwendig. Wir müssen uns dessen bewusst werden, dass es keine Selbstverständlichkeit ist, in einem freien Land zu leben und deshalb gemeinschaftlich in der EU darüber nachdenken, wie wir unsere Demokratien bestmöglich schützen und verteidigen können. Krieg findet nämlich nicht nur physisch, sondern auch hybrid statt. Es wird bereits jetzt versucht, Gesellschaften zu unterwandern und mit Desinformationskampagnen zu destabilisieren. Genau deshalb müssen wir jetzt wachsam sein und gemeinsam dagegen vorgehen.
Zum Schluss: Sie bezeichnen sich selbst als „political animal“ – heißt das auch, dass Sie vom europäischen wieder auf das innenpolitische Parkett zurückkehren könnten?
Das Schöne an meiner jetzigen Position ist, dass sie auch eine politische ist – nur ohne ein Konkurrent für Politiker zu sein. Mein Privileg jetzt ist, dass ich die Freiheit habe auf Ihre Frage weder mit Ja noch Nein zu antworten.
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