"Trägerrakete": Kickl verkündet Allianz mit Orbán und Babiš auf EU-Ebene

"Trägerrakete": Kickl verkündet Allianz mit Orbán und Babiš auf EU-Ebene
Das Bündnis sei eine "Trägerrakete" für eine gemeinsame Fraktion im Europaparlament. Ziel laut Orbán: Die größte Rechtsfraktion im EU-Parlament werden.

Die bei der EU-Wahl siegreichen Rechtsparteien aus Österreich, Ungarn und Tschechien wollen gemeinsam eine EU-Fraktion gründen. Dies gab FPÖ-Chef Herbert Kickl am Sonntag bei einer gemeinsamen Pressekonferenz mit dem ungarischen Premier Viktor Orbán und dem tschechischen Ex-Premier Andrej Babiš in Wien bekannt. Dieser "patriotischen" Allianz würden sich weitere Parteien anschließen, so Kickl. Orbán sagte, sie würde "bald die größte Fraktion der rechtsgerichteten Kräfte" sein.

Kickl bezeichnete die Allianz als eine "Trägerrakete". Orbán kündigte ebenfalls an, dass die Fraktion "raketenmäßig" sein werde. Offenbar hat Orbán das Ziel, die derzeit größere Rechtsfraktion EKR (Europäische Konservative und Reformer) zu überholen, die mit 83 Abgeordneten drittstärkste Kraft im EU-Parlament hinter der konservativen EVP und den Sozialdemokraten ist.

Statement von FPÖ-Parteichef Herbert Kickl

Die FPÖ, Orbáns nationalkonservative Fidesz und Babiš' liberalpopulistische Partei ANO hatten die Europawahl vor drei Wochen in ihren Ländern gewonnen. Die drei Spitzenpolitiker unterzeichneten ein "Patriotisches Manifest", das Basis der Zusammenarbeit sein soll. Der freiheitliche Delegationsleiter im EU-Parlament, Harald Vilimsky, erklärte, dass die Veranstaltung in Wien als "Teil eins einer Pressekonferenz verstanden" werden sollte. Wann "Teil zwei" in Brüssel oder Straßburg stattfinden werde, sagte er bei dem Medientermin, bei dem keine Journalistenfragen möglich waren, nicht.

Kickl: "Historischer Tag"

Kickl sprach jedenfalls von einem "historischen Tag". Er lobte Orbán als einzigen Regierungschef in der EU, der sich erfolgreich gegen illegale Einwanderung und einen überbordenden Zentralismus zur Wehr setze. Weiters lobte Kickl Babiš, dessen Partei ANO für einen "Weg der Vernunft" stehe. Babiš stelle sich gegen die "ausufernde illegale Einwanderung" und fordere ebenfalls eine friedliche Lösung im Ukraine-Krieg. "Wir wollen unser Europa nicht den von der Leyens, den Macrons oder irgendwelchen linken ideologischen Experimenten überlassen."

"Wir denken, das ist der Tag, an dem damit begonnen wurde, die europäische Politik zu ändern", ergänzte Orbán und sagte im Hinblick auf die Europawahlen: "In 20 der 27 Länder haben solche Parteien gewonnen, die den Bürgern eine Änderung versprochen haben." Babiš erklärte die Ziele der Allianz "Patrioten für Europa" (Patriots for Europe): die Verteidigung der Souveränität der Länder, der Kampf gegen illegale Migration und die Revision des Green Deal. Die europäische Klimaschutzpolitik habe die Konkurrenzfähigkeit der europäischen Wirtschaft bedroht, sagte Babiš. Und Orbán ergänzte: "Was jetzt in Brüssel läuft, ist keine grüne Politik, sondern eine giftgrüne Politik. Damit werden wir nicht geheilt, sondern vergiftet."

Weitere Verbündete nötig

Gemäß EU-Wahlergebnis verfügt die FPÖ über sechs Sitze, ANO über sieben Sitze und die Liste Fidesz-KDNP über elf Sitze im neuen EU-Parlament. Die erforderlichen 23 Mandate für die Gründung einer Fraktion bringen die drei Gruppierungen allein zusammen. Für eine Fraktionsgründung brauchen sie noch Mitstreiter aus mindestens vier weiteren EU-Staaten. Die Frist zur Anmeldung läuft bis zum 3. Juli. Allerdings konstituiert sich das Parlament formal erst am 16. Juli.

Die FPÖ gehörte bisher der kleineren europaskeptischen Fraktion im EU-Parlament, "Identität und Demokratie" (ID), an. ANO war nach der EU-Wahl aus der liberalen Fraktion ausgetreten. Fidesz war 2021 nach jahrelangem Streit über die Rechtsstaatlichkeit in Ungarn aus der Europäischen Volkspartei (EVP) ausgestiegen und ist seither fraktionslos. Orbáns Regierung übernimmt am Montag für ein Halbjahr den Vorsitz im Rat der Europäischen Union.

Polnische PiS zu "50 Prozent" dabei

Unklar ist, wie sich die bisherigen Fraktionspartner der FPÖ zu der neuen Allianz positionieren werden. Schwergewicht in der ID-Fraktion mit 30 Abgeordneten ist das Rassemblement National (RN) der französischen Rechtspopulistin Marine Le Pen. Weiters gehören der ID die italienische Lega von Vizepremier Matteo Salvini oder die Freiheitspartei (PVV) des niederländischen Wahlsiegers Geert Wilders an. 

Die rechtspopulistische Alternative für Deutschland (AfD) war nach NS-Sagern ihres Spitzenkandidaten Maximilian Krah auf Betreiben Le Pens vor der Europawahl aus der Fraktion ausgeschlossen worden und sucht nun nach neuen Bündnispartnern. Le Pen wird nachgesagt, eine Zusammenarbeit mit der italienischen Regierungschefin Giorgia Meloni anzustreben, die dominante Kraft der aktuell führenden Rechtsfraktion EKR ist.

Welche Parteien der Allianz beitreten wollen, wurde am Sonntag in Wien nicht gesagt. Ungarische Medien nannten zuletzt etwa die Partei Smer-SSD des slowakischen Ministerpräsidenten Robert Fico, die Slowenische Demokratische Partei (SDS) des ehemaligen Ministerpräsidenten Janez Janša und die polnische Partei Recht und Gerechtigkeit (PiS) als mögliche Mitglieder. In einem Interview mit der französischen Tageszeitung Le Figaro bezifferte der ehemalige polnische Ministerpräsident Mateusz Morawiecki (PiS) am Freitag die Chancen, dass seine Partei einer neuen Fraktion beitritt, mit 50 Prozent. Morawieckis Partei zählt mit 20 Abgeordneten zu den führenden Kräften der EKR.

AfD ist wohl nicht dabei

Die AfD dürfte nicht mit von der Partie sein. Ein Sprecher von AfD-Chefin Alice Weidel sagte am Sonntag dem Fernsehsender ntv, dass die AfD "zu diesem Zeitpunkt noch nicht in eine gemeinsame Fraktion mit Fidesz gehen kann". Der neue Zusammenschluss eröffne der Partei aber "neue Möglichkeiten der Zusammenarbeit mit anderen Parteien, da die Parteienlandschaft von EKR und ID insgesamt in Bewegung gerät".

Lega-Chef Matteo Salvini begrüßte die neue Allianz. Seine Partei arbeite schon "seit Jahren" daran, ein möglichst starkes, patriotisches und kohärentes Bündnis zu schmieden. "Wir begrüßen die heutigen Äußerungen anderer Parteichefs, dass sie bereit (zur Zusammenarbeit, Anm.) sind", sagte Salvini.

Viel Kritik aus Österreich

In Österreich reagierten ÖVP, Grüne, SPÖ und NEOS. Nationalratspräsident Wolfgang Sobotka (ÖVP) sagte in der ORF-Pressestunde: "Die Rechtsrechten formieren sich immer wieder anders. Das ist der Parteitaktik geschuldet."

Vizekanzler Werner Kogler (Grüne) sagte in einer Stellungnahme, der gemeinsame Auftritt des FPÖ-Chefs mit Andrej Babiš, "dem regelmäßig unter Korruptionsverdacht stehenden ehemaligen tschechischen Premierminister, und dem ungarischen Ministerpräsidenten und Putin-Verbündeten Viktor Orbán zeigt ganz offen, was Kickl will: Er will Österreich zu Orbanistan machen". Gemeint sei ein "Weg aus einem gemeinsamen Europa, direkt in die Arme Putins und damit in die Zerstörung von Rechtsstaat und Demokratie", so Kogler.

Auch SPÖ-Chef Andreas Babler betonte, das vorgestellte Bündnis zeige, was Österreich drohe, sollte die FPÖ in Regierungsverantwortung kommen. "Kickl eifert Orban nach und strebt die Einführung einer illiberalen Demokratie á la Orban an", warnte Babler in einer Aussendung. "Orbans Politik steht für ein Europa der Mauern und Abschottung, in dem das Asylrecht boykottiert wird." Babler bekräftigte seine Ankündigung, Ungarn wegen seiner restriktiven Asylpolitik zu klagen, sobald die SPÖ in der Regierung sei.

Neos-Klubobfrau und Parteivorsitzende Beate Meinl-Reisinger sprach von einer "Koalition der Zukunft- und Europa-Zerstörer". Dass Orbán nicht davor zurückscheue, die Pressefreiheit und demokratische Strukturen offen anzugreifen und sein Land in eine Korruptionssumpf zu stürzen, hätten die vergangenen Jahre bereits klar gezeigt. Dass aber ausgerechnet die FPÖ mit jemandem koalieren wolle, der wie Orbán nicht zuletzt auch österreichische Unternehmen in Ungarn drangsaliere, sei "ein neuer Höhepunkt der Falschheit".

Veronika Bohrn Mena, Vorsitzende der Stitung Comun, betonte, dass eine "starke antifaschistische Antwort" auf die "extremrechte Allianz" nötig sei. Die Stiftung biete deshalb den "Gegenrechtsschutz" an, der unter anderem bei der Abwehr von Einschüchterungsklagen helfen soll.

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