Gewaltschutz-Paket: Durchbrechung der Verschwiegenheitspflicht möglich

Gewaltschutz-Paket: Durchbrechung der Verschwiegenheitspflicht möglich
Das Gesetzespaket umfasst mehr als 50 Maßnahmen, viele davon entspringen der sogenannten "Task Force Strafrecht".

Die Regierung hat am heutigen Montag (nochmals) ihr neues Gewaltschutz-Paket präsentiert, das nun in die sechswöchige Begutachtungsphase geht. Innenminister Herbert Kickl (FPÖ) erwartet, dass die neuen bzw. veränderten Gesetze bis 1. Jänner 2020 Rechtskraft erlangen.

Das Gesetzespaket umfasst mehr als 50 Maßnahmen, viele davon entspringen der vor mehr als einem Jahr eingesetzten "Task Force Strafrecht", die von Innenstaatssekretärin Edtstadler geleitet wird. Neben einer Verschärfung im Bereich des Strafrechts sollen auch stärkerer Opferschutz und aktivere Täterarbeit etabliert werden.

Nachschärfung in bestimmten Berreichen

Wie Justizminister Josef Moser (ÖVP) erklärte, ergab eine von ihm beauftragte Studie, dass eine grundsätzliche Strafverschärfung nicht zwecksmäßig sei - in bestimmten Bereichen jedoch eine Nachschärfung nötig wäre. So soll unter anderem bei Vergewaltigung die Mindeststrafe von einem auf zwei Jahre erhöht werden und damit eine gänzliche Strafnachsicht ausgeschlossen werden. Für Rückfalltäter werden in bestimmten Bereichen die Höchststrafen um die Hälfte erhöht, und auch Mindeststrafen werden eingeführt bzw. erhöht.

Veränderungen soll es auch im Bereich des sogenannten "Betretungsverbots" geben. Dieses soll zu einem "Annährungsverbot" im Umkreis von 50 Metern zur schutzwürdigen Person ausgeweitet werden. Gleichzeitig ist geplant, die Strafen für jene, die dagegen verstoßen, zu verschärfen. Im Wiederholungsfalll soll sogar eine Haftstrafe möglich sein.

Für Täter, die sich in einer "Eskalationsspirale" befinden, wie es Innenminister Kickl formulierte, soll es verpflichtende Gewaltpräventionsseminare gegben. Außerdem möchte man in sogenannten "Fallkonferenzen" die jeweilige Situation und die gefährdende Person genau unter die Lupe nehmen. Dabei sollen etwa Personen aus dem Umfeld des Gefährders und die Sicherheitsbehörden an einem Tisch sitzen. Um das zu ermöglichen, müsse allerdings eine gesetzliche Anpassung erfolgen, was dem Umgang mit Daten und die Verschwiegenheitspflicht betrifft.

Meldepflicht bei Gefahr der Genitalverstümmelung

Eine Durchbrechung der Verschwiegenheitspflicht soll auch im Gesundheitsbereich erfolgen, vor allem wenn es um Gewalt gegen Kinder und Jugendliche geht, erklärte Edtstadler. So soll es etwa eine Meldepflicht an die Behörden geben, wenn ein Arzt die Gefahr weiblicher Genitalverstümmelung erkennt. Eine Durchbrechung der Verschwiegenheitspflicht soll auch dann möglich sein, wenn Ärzte oder anderes Gesundheitspersonal bemerken, dass Kinder gequält, vernachlässigt oder sexuell missbraucht werden - allerdings in Abwägung zu einem besonderen Vertrauensverhältnis zum jeweiligen Arzt.

Auch beim Verbrechensopfergesetz sind Änderungen geplant. So sollen künftig auch Opfer von Einbruchsdiebstählen darunter fallen. Sollten Opfer eine Namensänderung durchführen wollen, solle das ohne finanziellen Aufwand möglich sein und auch die Änderung der Sozialversicherungsnummer erfolgen.

Die Kosten für die neuen Maßnahmen sollen aus den Budgets der jeweiligen Ministerien beglichen werden. Bei der Täterarbeit war von 230.000 Euro in einem ersten Schritt, später einer Million die Rede. Für den Opferschutz sind 600.000 Euro veranschlagt.

Die SPÖ fordert mehr Geld für Opferschutz und Täterarbeit. "Wir fordern als Sofortmaßnahme zwei Millionen Euro für Fraueneinrichtungen und eine Million Euro für Täterarbeit", sagte SPÖ-Frauensprecherin Gabriele Heinisch-Hosek, die darüber hinaus "massive Personalprobleme" in der Justiz ortete.

Die Pläne im Detail

Im Herbst soll das Maßnahmenpaket beschlossen werden, um dann mit 1. Jänner 2020 in Kraft zu treten. 24 Gesetze werden geändert, insgesamt zählt das Paket mehr als 50 Maßnahmen in verschiedenen Ressorts, wo auch das Budget bereitgestellt werden soll.

Höhere Mindeststrafe bei Vergewaltigung:

  • Bisher lag der Haftrahmen bei einem bis zehn Jahren, künftig soll die Mindeststrafe bei zwei Jahren liegen. Zudem soll es nicht mehr möglich sein, die ganze Strafe bedingt auszusprechen – der Verurteilte muss also auf jeden Fall für bestimmte Zeit ins Gefängnis.

Ausweitung des Stalking-Paragrafen:

  • Der Tatbestand „beharrliche Verfolgung“ wird um „Veröffentlichung von Tatsachen oder Bildaufnahmen des höchstpersönlichen Lebensbereichs einer Person ohne deren Zustimmung“ ausgeweitet. Bisher war nur umfasst, wenn jemand räumlich oder via Telekommunikation die Nähe seines Opfers sucht.

Höhere Strafen bei Rückfällen:

  • Wird jemand innerhalb der vergangenen fünf bis zehn Jahre zwei Mal wegen einer Tat gegen Leib und Leben bzw. Freiheit oder sexuelle Integrität verurteilt, erhöht sich die Strafe beim dritten Mal. Bei Vergewaltigung wären es statt zwei bis zehn Jahren dann zwei bis 15 Jahre Haft.

Umstände der Tat wiegen schwerer:

  • Richter haben schon jetzt die Möglichkeit, die Umstände der Tat in die Strafhöhe zu berücksichtigen – jetzt werden im Gesetz aber konkrete Faktoren genannt: Erschwerend wirkt etwa, wenn die Gewalttat ein Volljähriger an einem Minderjährigen verübt hat oder wenn die Tat besonders brutal war.
  • Auch die Traumatisierung des Opfers soll als „nachhaltige Beeinträchtigung des psychischen Wohlbefindens“ stärker berücksichtigt werden.
  • Beziehungstaten sollen auch schwerer wiegen: Als Angehörige zählen laut Gesetzesvorschlag auch ehemalige Lebensgefährten.

Frauen in Not sollen Bundesland wechseln können:

  • Derzeit bekommt eine Frau nur im eigenen Bundesland einen Platz im Frauenhaus – künftig soll ein Wechsel in andere Länder möglich sein. Laut Edtstadler ist das sinnvoll, um vom Täter weiter entfernt zu sein. Zusätzlich soll – wenn ein Opfer seinen Namen ändern muss – auch eine Änderung der Sozialversicherungsnummer möglich sein, damit es schwieriger auszuforschen ist.

Opfernotruf mit dreistelliger Nummer:

  • Die Taskforce hat sich darauf verständigt, einen möglichst niederschwelligen Zugang zu Beratung zu bieten. „Wenn ein Opfer noch nicht bereit ist, Anzeige zu erstatten, soll es wissen, dass es eine einfache Nummer gibt, unter der es Beratung gibt“, erklärt Edtstadler. Die dreistellige Nummer soll täglich und rund um die Uhr erreichbar sein.

„Bannmeile“ zum Schutz gefährdeter Personen:

  • Zusätzlich zum Betretungsverbot einer Wohnung, das nach einer Gewalttat ausgesprochen werden kann, gibt es die Möglichkeit eines „erweiterten Schutzbereiches“, zu dem etwa Kindergärten und Schulen zählen. Das soll jetzt um eine so genannte „Bannmeile“ von 50 Metern erweitert werden. Opfer können laut Edtstadler so auch am Weg zur Arbeit geschützt werden.

Verpflichtende Beratung für Täter nach Wegweisungen:

  • Edtstadler will bundesweit Gewaltinterventionszentren – so genannte GIZ – einrichten und Opfer wie auch Täter aktiv kontaktieren. Dadurch soll Täterarbeit fix etabliert werden. Bisher war es dem Gefährder selbst überlassen, ob er sich psychologische Hilfe sucht. Jetzt soll nach einer Wegweisung – derzeit gibt es jährlich rund 9000 – eine Erstberatung verpflichtend werden.

Neue „Fallkonferenzen“ bei Hochrisiko-Fällen:

  • Im Sommer wurde ein Pilotprojekt der Wiener Polizei mit der Interventionsstelle eingestellt, die Fallkonferenzen sollen jetzt neu aufgesetzt und gesetzlich verankert werden. Dabei sollen alle Beteiligten – Polizei und Vertreter von Opfern und Tätern – auf Augenhöhe über Gefahrenpotenziale und weitere Schritte beraten können, es sollen auch Daten und Informationen ausgetauscht werden. Laut Edtstadler wird es in speziellen Fällen notwendig sein, etwa die Verschwiegenheitspflicht von Ärzten und Psychologen aufzuheben.

Genitalverstümmelung im Strafgesetzbuch klarer definiert:

  • Bisher konnte eine weibliche Genitalverstümmelung als „erhebliche Verstümmelung“ und damit als schwere Dauerfolge qualifiziert werden. Jetzt soll klargestellt werden, dass sie das jedenfalls ist.
  • Zur Prävention soll der 2006 versandete „Elternbrief“ an Eltern von gefährdeten Frauen neu aufgesetzt und in mehrere Sprachen übersetzt werden.
  • Gibt es Indizien dafür, dass eine Frau zur Genitalverstümmelung bzw. zur Zwangsheirat ins Ausland gebracht werden soll, kann die Kinder- und Jugendhilfe einschreiten und den Entzug des Reisepasses veranlassen.

Aufklärungsunterricht in der Schule:

  • Laut Staatssekretärin Edtstadler hätten Strafprozesse bei Vergewaltigungen gezeigt, dass Jugendliche oft nicht genau wissen, was Freiwilligkeit beim Geschlechtsverkehr bedeutet. Das könnte im Aufklärungsunterricht – etwa in Fächern wie Biologie, Religion oder Ethik – vermittelt werden.

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