Gegner des No-Deal-Brexit wollen Queen nach Brüssel schicken

Queen beim D-Day-Gedenken mit Merkel und May
Dass Elizabeth II. persönlich Antrag auf Fristverlängerung stellt, gilt als so gut wie ausgeschlossen. Vorschlag zeigt Verzweiflung in britischer Politik.

Die britische Königin Elizabeth II. könnte einem Bericht der BBC zufolge in den politischen Streit um den EU-Austritt Großbritanniens hineingezogen werden. Wie die BBC am Donnerstagabend berichtete, erwägen konservative Gegner eines ungeregelten Austritts, die 93 Jahre alte Monarchin mit der Bitte um eine Verlängerung der Brexit-Frist nach Brüssel zu schicken.

Die No-Deal-Gegner treibt die Sorge, ein künftiger Premierminister Boris Johnson könnte sich weigern, einen Beschluss des Parlaments gegen einen ungeregelten Austritt zu akzeptieren. Großbritannien soll bis zum 31. Oktober aus der Staatengemeinschaft ausscheiden. Befürchtet wird, dass es zu einem Ausscheiden ohne Vertrag kommt. Johnson will das in Kauf nehmen, sollte sich Brüssel nicht auf weitere Zugeständnisse beim Brexit-Abkommen einlassen.

Im Parlament formiert sich jedoch heftiger Widerstand. Die Abgeordneten könnten einen Antrag in Brüssel auf Verlängerung der Brexit-Frist per Gesetz verordnen. Gestellt werden kann der Verlängerungsantrag jedoch nur von der Regierung.

Als britisches Staatsoberhaupt sei die Königin berechtigt, im Namen Großbritanniens an einem EU-Gipfel teilzunehmen und ihr Land dort zu vertreten, heißt es in dem Bericht. Sie könne dann dort den Antrag auf Fristverlängerung stellen. Der Buckingham-Palast wollte sich dazu zunächst nicht äußern.

Verfassungskrise?

Beobachter halten es für so gut wie ausgeschlossen, dass es dazu kommt. Es gilt als ungeschriebenes Gesetz in der konstitutionellen Monarchie Großbritanniens, dass sich das Königshaus strikt aus der Politik heraushält. Die Debatte darüber zeigt jedoch, wie sehr die politische Krise in Großbritannien inzwischen zu einer Verfassungskrise geworden ist: Auch die Idee, dass sich ein Premierminister über den Willen des Parlaments hinwegsetzen könnte, galt bisher als praktisch undenkbar.

Finanzminister schließt Misstrauensvotum gegen Johnson nicht aus

Das Chaos in der britischen Politik zeigt außerdem ein weiteres Beispiel: Finanzminister Philip Hammond kann sich vorstellen, einen Premierminister der eigenen Konservativen Partei zu stürzen, um einen ungeregelten EU-Austritt Großbritanniens zu verhindern. Der haushohe Favorit im Rennen um die Nachfolge von Premierministerin Theresa May, Boris Johnson, würde auch einen EU-Austritt ohne Vertrag in Kauf nehmen.

Auf die Frage, ob er ein Misstrauensvotum gegen einen Premierminister Johnson unterstützen würde, sagte Hammond der Süddeutschen Zeitung am Rande des Treffens der G-7-Finanzminister im französischen Chantilly: "Ich schließe im Moment gar nichts aus." Am Dienstag soll das Ergebnis der Wahl des neuen Tory-Parteichefs in London bekanntgegeben werden. Die etwa 160.000 Parteimitglieder hatten mehrere Wochen Zeit, um sich zwischen Johnson und Außenminister Jeremy Hunt zu entscheiden. In einer ersten Rede wird der Sieger möglicherweise Details seiner Brexit-Pläne offenbaren.

Mays letzter Auftritt

Am Mittwoch folgt dann die Amtsübergabe. Premierministerin Theresa May wird sich zu Mittag ein letztes Mal den Fragen der Abgeordneten stellen. Anschließend wird sie vor dem Regierungssitz Downing Street eine Abschiedsrede halten, bevor sie bei Königin Elizabeth II. im Buckingham-Palast ihren Rücktritt einreicht. Die Queen wird direkt danach den neuen Premierminister ernennen und mit der Regierungsbildung beauftragen. Auch von ihm wird dann eine Rede vor seinem Amtssitz erwartet.

Johnson sowie sein Rivale Hunt wollen einen "No Deal" nach Ablauf der Austrittsfrist am 31. Oktober in Kauf nehmen, sollte sich die EU nicht auf Änderungen am Brexit-Abkommen einlassen. Am Donnerstag könnte der neue Premier seinen ersten Auftritt im Parlament haben. Die Regierung verfügt dort über eine Mehrheit von gerade einmal drei Stimmen. Deshalb ist Hammonds Drohung nicht unbedeutend. Zwei Abweichler wären genug, um dem neuen Regierungschef das Vertrauen zu entziehen und seine Regierung zu stürzen.

Einen ersten Warnschuss feuerten die Abgeordneten am Donnerstag ab. Sie stimmten mit deutlicher Mehrheit für einen Gesetzeszusatz, der es Johnson erheblich erschweren würde, das Parlament in eine Zwangspause zu schicken, um ein Ausscheiden ohne Abkommen durchzuboxen.

Stein des Anstoßes ist die "Backstop" genannte Regelung, die garantieren soll, dass es nach dem Brexit keine Grenzkontrollen zwischen dem britischen Nordirland und dem EU-Mitglied Irland gibt. Denn dann wird ein Wiederaufflammen des Konflikts zwischen den katholischen Befürwortern einer irischen Vereinigung und protestantischen Loyalisten befürchtet. Nach der Regelung bliebe das ganze Vereinigte Königreich zunächst in der Zollunion und Nordirland in Teilen des Binnenmarkts, bis London und Brüssel eine bessere Lösung finden.

Merkel offen für Fristverlängerung

Deutschlands Kanzlerin Angela Merkel bekräftigte am Freitag bei ihrer Sommerpressekonferenz in Berlin die Haltung der EU, dass das Austrittsabkommen nicht verhandelbar sei. Der Backstop könne jedoch "überschrieben" werden, indem man eine andere Lösung finde. Ob diese Worte eine Bereitschaft zu Zugeständnissen an die Briten signalisieren, ist fraglich. Sie könnten auch als Aufforderung an London interpretiert werden, dauerhaft eine engere Anbindung an Zollunion und Binnenmarkt zu suchen.

Offen zeigte sich Merkel hingegen - wie die angehende EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen - für eine Verlängerung der Brexit-Frist. "Wenn Großbritannien noch mehr Zeit braucht, sollten wir ihm mehr Zeit geben", sagte Merkel. Es werde vieles davon abhängen, mit welcher "Marschrichtung" der neue Premierminister zur EU-Kommission kommen werde, erklärte die deutsche Kanzlerin weiter. Sie wolle sich aber nicht in britische Angelegenheiten einmischen: "Das ist Grundsatz. Ich vertraue ganz fest darauf, dass Großbritannien seinen Weg finden wird."

Rebellenführer

Hammond, dem nur noch wenige Tage als Schatzkanzler verbleiben, ist für eine enge Anbindung an die EU und könnte eine Führungsfigur der proeuropäischen Rebellen in der Tory-Fraktion werden. Erst am Donnerstag hatte er eindringlich vor den Folgen eines Brexits ohne Abkommen für die Wirtschaft gewarnt. Der "Süddeutschen" sagte er: "Ich werde von der Hinterbank aus alles tun, um sicherzustellen, dass das Parlament einen ungeordneten Brexit blockiert."

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