Frauenorganisationen prangern kinder- und frauenfeindliche Justiz an
Frauenorganisationen in Österreich kritisieren, dass die Rechtsprechung im Familienbereich immer stärker Mütter benachteilige und sie warnen vor bevorstehenden Gesetzesänderungen, die das noch verschärfen könnten. Mehrere Frauenorganisationen haben aus diesem Grund eine Petition gestartet, in der sie Justizministerin Alma Zadic (Grüne) auffordern, "keine Gesetze zu schaffen, die sowohl dem Kindeswohl als auch dem Selbstbestimmungsrecht von Frauen entgegenstehen".
"Die vergangene Novelle des Kindschaftsrechts (KindNamRÄG 2013) hat mit der Einführung der gemeinsamen Obsorge auch gegen den Willen eines Elternteils und der Einführung der Familiengerichtshilfe in der Praxis wesentliche Verschlechterungen für Mütter und ihre Kinder gebracht. Denn Gemeinsamkeit lässt sich nicht erzwingen, jeder Versuch geht zu Lasten der Kinder. Sie werden als Druckmittel verwendet, um die gemeinsame Obsorge durchzusetzen", kritisieren der "Österreichische Frauenring", die "AllianzGewaltFreiLeben", der Verein "Feministische Alleinerzieherinnen FEM.A", der Verein "Autonome Österreichische Frauenhäuser AOEF" und das "Netzwerk österreichischer Frauen- und Mädchenberatungsstellen" in ihrer Petition.
"Kindeswohl geopfert"
Das Kindeswohl werde zugunsten ausgedehnter Kontaktrechte der Väter geopfert, auch wenn sie gewalttätig sind. Kinderrechte kommen unter die Räder, weil man - wissenschaftlich unsubstantiiert - Kindern unter 14 Jahren keinen eigenständigen Willen zugestehe. Mütter würden gezwungen, die Selbstbestimmtheit über ihr und das Leben ihrer Kinder aufzugeben. "Die Frauen stimmen allen möglichen Regelungen zu, weil sie Angst haben, das Kind ganz zu verlieren", sagt Frauenring-Vorsitzende Klaudia Frieben im Gespräch mit der APA.
Selbst bei gewalttätigen Männern werde den Kindern der Kontakt zum Vater aufgezwungen. "Das ist unfassbar", schildert Andrea Czak vom Verein Feministische Alleinerzieherinnen die Situation. Die Mütter würden als "hysterisch und bindungsintolerant hingestellt" und es werde ihnen damit gedroht, ihnen die Kinder wegzunehmen.
Gegen automatische gemeinsame Obsorge
Die Frauenorganisationen fordern vom Justizministerium, keine neuen Regelungen im Kindschaftsrecht zu schaffen, bevor die bestehenden Probleme nicht gelöst seien. Die Interessensvertreterinnen sind explizit gegen eine automatische gemeinsame Obsorge für unverheiratete Paare, gegen eine Mindestbetreuungszeit für beide Elternteile beziehungsweise eine verpflichtende Doppelresidenz. Sie lehnen auch eine Koppelung der Unterhaltsleistung an die Betreuungszeit ab und sie verlangen oberste Priorität für den Gewaltschutz. "Kontaktrechte gewalttätiger Kindesväter dürfen niemals Vorrang vor Gewaltschutz haben", heißt es in der Petition. Gefährdern sollen von Amtswegen die Obsorge- und Kontaktrechten eingeschränkt oder entzogen werden.
Betroffene Frauen berichten, dass sie bei Pflegschaftsgerichten, bei der Kinder- und Jugendhilfe, der Familiengerichtshilfe, bei Gutachtern, Elternberatern und Mediatoren institutioneller Gewalt ausgesetzt seien. Die APA hat mit mehreren betroffenen Müttern gesprochen und ihre Erfahrungen verglichen. Die Erzählungen sind sehr ähnlich: Die Verfahren ziehen sich über Jahre und zermürben die Frauen. Diese stimmen irgendwann Regelungen zu, die sie nicht wollen und auch für ihre Kinder nicht gut sind.
Eine Frau aus der Steiermark, die mit dem Kindsvater um das Obsorgerecht für den siebenjährigen Sohn vor Gericht kämpft, erzählt, dass sie als Mutter das Kontaktrecht nicht kritisieren dürfe, da ihr vom Gericht sonst Bindungsintoleranz unterstellt werde. "Und wenn das Kontaktrecht nicht funktioniert, wird man als Mutter verantwortlich gemacht." Ihr Sohn verweigere immer wieder den Kontakt zum Vater, werde vom Gericht aber dazu gezwungen. "Wir stolpern von einem Gutachten zum nächsten, von einer Verhandlung zu nächsten."
Vergangenes Jahr habe der Vater die Hälfte aller Ferien zugesprochen bekommen, obwohl der Sohn nicht zu ihm wollte. "Der Gutachter meinte, man muss es hinnehmen, dass das Kind weinend nach Hause kommt." Seit November 2021 verweigere ihr Sohn beharrlich den Kontakt zum Vater, da er Angst habe, dass ihn sein Vater nicht mehr nach Hause bringe. "Er hat Angstzustände und leidet unter Albträumen." Die Ängste des Kindes würden vom Gericht aber ignoriert werden, klagt die Mutter, die anonym bleiben will.
Ähnlich ist auch die Geschichte einer Wienerin, die inzwischen in Vorarlberg wohnt. Sie sei seit 2013 in einem Pflegschaftsverfahren um ihre Tochter und es sei kein Ende in Sicht, weil der Kindsvater immer wieder neue Anträge stelle. Das Gericht sei nicht willens, das Verfahren zu beenden, obwohl dieses seit sechs Jahren andauere. Die Frau hat nach Eigenangaben den Vater verlassen, als das - mittlerweile siebenjährige - Kind noch kein Jahr alt war, weil der Mann gewalttätig geworden sei.
Die Tochter wolle nicht zu ihrem leiblichen Vater, werde dazu aber vom Gericht gezwungen. "Ich sehe das Gericht nicht mehr als neutral an", sagt die Frau. "Ich habe den Eindruck, vor Gericht wird eine Parallelrealität geschaffen, die nichts mit der echten Realität des Kindes zu tun hat." Väter würden mithilfe des Gerichts Psychoterror ausüben und die Kinder würden dabei krank gemacht. "Was mit dem Kindeswohl argumentiert wird, ist das genaue Gegenteil." "Ich habe nach einer sechsstündigen Verhandlung einer Vereinbarung zugestimmt, die ich nicht wollte", so die zweifache Mutter.
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