Brandstätters Blick: Das Lehrreiche eines katholischen Internats

Brandstätters Blick: Das Lehrreiche eines katholischen Internats
Der KURIER-Herausgeber erinnert sich an seine Zeit im Knabenseminar Sachsenbrunn bei Kirchberg am Wechsel.

Semen cecidit in terram bonam.

So stand es geschrieben auf dem Eisentor, das in Form und Größe sehr beeindruckend war. Den Satz verstand ich nicht, aber beides war kein Zufall, wie ich erst später verstand. Die Wucht des Tores und das Geheimnisvolle der Inschrift sollten uns das Gefühl geben, dass wir in einen besonderen Ort eintreten würden, mehr als in eine Schule, wo man im Idealfall für das Leben lernt. Eher in ein Universum, das für das Leben formt.

Ich war 10 Jahre alt in diesem Frühjahr 1965. Und warum mich diese Szene heute noch bewegt? Im Gespräch mit Kardinal Schönborn am Palmsonntag fiel ein Satz, der mich sofort an die Zeit im Seminar erinnerte: „Religion und Zwang sind ein Widerspruch.“

Und dann sagte der Kardinal noch: „Persönlicher Glaube und Religion sind nur in Freiheit möglich.“ Das habe ich im Knabenseminar Sachsenbrunn anders erlebt. Um es gleich klar zu sagen: Fälle von sexuellem Missbrauch gab es zu meiner Zeit nicht, auch später habe ich davon nichts gehört. Das hatte auch einen klaren Grund: Unser Rektor Alfred Hobiger hätte pädophile Priester nicht geduldet, wie mir später ein hoher Würdenträger bestätigte. Im Umkehrschluss heißt das freilich, dass bekannt war, wer solche Neigungen hatte und sie an Wehrlosen auslebte.

Aber ehrlich ging es von Anfang an nicht zu. Damals gab es noch eine Aufnahmsprüfung als Voraussetzung für den Eintritt in ein Gymnasium. Und da wurde auch der Berufswunsch genau erfragt. Ich wollte wirklich Priester werden. Vorbild war ein junger Kaplan in Perchtoldsdorf, der stets ein offenes Ohr für seine Ministranten hatte, mit uns Fußball spielte und zwischendurch entspannt hinter der Kirche in der Sonne saß. Für mein Gefühl kein schlechtes Leben. Andere Buben, oft als begabt vom Pfarrer ausgesucht, wollten einfach nur in ein Gymnasium gehen. Und da dieses das einzige in der Gegend war, formulierten sie, in Absprache mit ihren Eltern und vielleicht auch mit dem Pfarrer, eine Notlüge.

Modern und verklemmt

In Hollabrunn im Weinviertel gab es bereits ein Knabenseminar, als Ende der 1950er Jahre jenes in Sachsenbrunn nahe Kirchberg am Wechsel gebaut wurde. Die Erfahrung besagte, dass nur rund 20 Prozent derjenigen, die in ein Knabenseminar eintreten, schließlich zum Priester geweiht werden. Ziel der Neugründung von Sachsenbrunn im Jahr 1959 war es, weit mehr Burschen zur Weihe zu bringen.

Die Architektur des neuen Gebäudes war sehr modern, die Erziehungsmethoden konnten da nicht mithalten. Kurz nach der Ankunft, ich hatte den Spind im großen Schlafsaal eingeräumt, stand plötzlich die Oberschwester sehr aufgeregt neben mir. Dieses Marienbild könne nicht hier bleiben, „da sieht man ja beim Jesuskind das Zumpferl“. Das waren ihre Worte. Ähnliches sollte bei uns dann nicht vorkommen, in die Dusche gingen wir mit Badehose.

Die Oberschwester war auch sonst nicht zimperlich. Wer nicht parierte, spürte eine Kopfnuss oder musste seine Untaten nach Hause berichten, in einem geöffneten Brief. Nächstenliebe haben wir in der Theorie gelernt.

Aber es gab auch wunderbare Momente. Beim Gesang während der Feiertagsprozessionen im Frühnebel konnte jeder spüren, was Spiritualität ist. Auch dass vor Gott alle Menschen auf der Erde gleich sind, war eine wichtige Botschaft. Und wenn wir autoritäre Entscheidungen als ungerecht empfanden, haben plötzlich 25 Buben so fest zusammengehalten, wie ich es später nicht mehr erlebt habe. Nirgendwo lernt man Widerstand besser als unter großem Druck. Dort sind viele Freundschaften entstanden, viele haben als selbstbewusste junge Männer das Internat verlassen. Später wurde es ein normales Gymnasium, auch für Mädchen.

Semen cecidit in terram bonam? Der Same fiel in gutes Erdreich, heißt es im Lukasevangelium – und brachte Frucht in Standhaftigkeit. Nicht ganz so, wie die Gründer das wollten. Nur wenige wurden Priester, ich kam nach drei Jahren in eine Schule in Wien, mit vielen Lehren für das Leben. Die Kirche hat schließlich gelernt, dass Zwang und Glaube nicht zusammenpassen. Und spät, aber doch, Verantwortung für Missbrauch übernommen, der uns in Sachsenbrunn erspart blieb.

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