Ein „Experiment“ mit 100 Bürgern

Ferdinand aus Oberösterreich freut sich, beim Bürgerrat dabei zu sein, ist aber skeptisch, ob er etwas bewirken wird: „Die da oben richten sich es eh immer, wie sie wollen.“ Walter aus Niederösterreich diskutiert Klimaschutz schon lange in seinem Freundeskreis, er sagt: „Ohne Zwang werden wir in vielen Bereichen nicht weiterkommen.“ Julia erzählt, sie musste erst von ihrer Schwester überredet werden, mitzumachen. Sie glaubt, dass beim Bürgerrat viel Gutes passieren könnte: „Die Bürger sind viel weiter, als die Politik denkt.“
Drei Stimmen von einhundert Bürgerinnen und Bürgern, die am Samstag erstmals in einem Wiener Hotel zusammengekommen sind, um ein „Experiment“ zu wagen, wie es Bundespräsident Alexander Van der Bellen in seiner Begrüßungsrede nannte: „Ich bin sehr gespannt, wie das ausgeht.“
Diese einhundert Bürger sollen bis Juni schaffen, was der Politik bisher nicht gelungen ist: einen breiten Konsens zur Klimapolitik herstellen. Es geht um die große Frage: Wie kann Österreichs bis 2040 komplett aus den fossilen Brennstoffen aussteigen – und das sozial gerecht?
Aber ist das überhaupt legitim? „Schon wieder die nächste, demokratiepolitisch äußerst fragwürdige Aktion!“, kritisierten einige KURIER-Leser zur Vorberichterstattung. „Weder sollten NGO noch irgendwelche Räte Einfluss auf die Gesetzgebung haben, sondern nur die gewählten Parlamentarier.“
„Klar, das Parlament könnte das, es hat aber seit 30 Jahren keine effektive Klimapolitik gemacht“, argumentiert Erwin Mayer, Klimaökonom und Experte für direkte Demokratie. Er meint außerdem, dass schon länger eine Mehrheit für sehr viel mehr Klimaschutz-Maßnahmen vorhanden sei.
Tatsächlich beschließen die Bürgerräte weder Gesetze noch formulieren sie welche. Ein Bürgerrat soll eine Ergänzung zur repräsentativen Demokratie sein. Erarbeitet werden Empfehlungen und Lösungsvorschläge für die Politik. Die Politik erhält dafür einen Einblick, welche Maßnahmen von der Bevölkerung gewünscht, unterstützt und im besten Fall auch mehrheitsfähig sind.

Worüber wird geredet?
Der Bürgerrat entscheidet vieles alleine, so auch, was konkret alles diskutiert wird. Bekannt sind nur die großen Themenblöcke:
- Ernährung, Landwirtschaft, Flächenverbrauch
- Energie, Produktion, Konsum
- Wohnen, Mobilität, Arbeit
- Soziale Gerechtigkeit
Es mangelt nicht an konkreten Fragen: Soll das Pendlerpauschale für Verbrenner-Pkw gestrichen werden – und wann? Soll es ein verbindliches, wissenschaftlich fundiertes CO2-Budget geben? Ab wann sollen Öl- und Gasheizungen verboten werden, wann Verbrenner-Pkw und -Lkw? Soll es eine Pflicht für Photovoltaik auf dem eigenen Dach geben? Soll es einen Klima-Rechnungshof geben, der alles kontrollieren darf?
Den Bürgern wird ein Team von 15 Wissenschaftlern für alle möglichen Fragen bereitgestellt, zudem 15 Moderatoren, deren Aufgabe es ist, durch den Prozess zu führen und darauf zu achten, dass alle Stimmen gleich gehört werden. Grundsätzlich will man die Bürger aber selbstständig arbeiten lassen. „Nur wenn sie von falschen Annahmen ausgehen, würden wir uns einmischen“, erklärt Georg Kaser, einer der 15 Wissenschaftler.
Und am Ende? Die Resultate des Klimarates zu „schubladisieren“, werde kaum möglich sein, erklärte Van der Bellen zum Abschluss. Das sei hier nämlich nicht „irgendeine kleine Diskussionsgruppe“. Deshalb: „Nützen sie die Chance, ist meine Bitte. Sie nehmen an etwas neuem Teil, machen sie etwas daraus.“
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