Eine Koalition zwischen ÖVP und SPÖ scheint nicht nur aufgrund des bisweilen fehlenden Vertrauens zwischen den handelnden Personen schwierig. Auch die Inhalte, die die SPÖ als wichtig bis unabdingbar erachtet, stehen denen der Volkspartei teils diametral entgegen:
- Faire Arbeitswelt
Nicht nur für den in der SPÖ traditionell starken Gewerkschaftsflügel ist ein neues Arbeitszeitgesetz essenziell.
In der Praxis bedeutet das: Die ÖVP müsste über eine Kompensation oder Rücknahme des mit der FPÖ beschlossenen 12-Stunden-Tags nachdenken, sich mit dem Rechtsanspruch auf eine 4-Tage-Woche und die sechste Urlaubswoche auseinandersetzen bzw. anfreunden und vor allem: die Sozialpartner wieder intensiv in die Tagespolitik einbinden. Allein diese Forderung ist für das Führungsteam der ÖVP ein Tabu.
- Mindestsicherung ändern
Es ist kein Zufall, dass die SPÖ kurz vor der Sondierungsrunde am Donnerstag das Thema „Kinderarmut“ stark thematisiert hat. Weite Teile der SPÖ plädieren für eine Rücknahme der unter türkis-blau verschärften Mindestsicherung. Ganz ähnlich sehen das übrigens die Grünen (Seite 3).
- Sozialversicherung neu
Der Umbau der Sozialversicherung war eines der Leuchtturmprojekte der Regierung Kurz I. Die bereits laufende Fusion der Gebietskrankenkassen zur „Österreichischen Gesundheitskasse“ hat das Kräfteverhältnis zuungunsten der Arbeitnehmervertreter verändert. Pamela Rendi-Wagner weiß zwar, dass man nicht „einfach einen Lichtschalter“ umlegen kann, um die Reform wieder rückgängig zu machen. Gleichzeitig ist es für die SPÖ unumgänglich, dass die Vertreter der Arbeitnehmer wieder deutlich mehr in der neuen Gesundheitsstruktur zu reden und zu entscheiden haben.
- Leistbares Wohnen
Die Empfindung in der SPÖ ist die: Türkis-Blau hat zuletzt nichts getan, um Wohnen leistbarer zu machen und den teils explodierenden Mieten irgendwie entgegenzuwirken. Dementsprechend fordert die SPÖ, dass der soziale Wohnbau österreichweit forciert und ein neues Mietrecht beschlossen wird.
- Kinderbetreuung
Die über Jahrzehnte höchst umstrittene – weil ideologisch aufgeladene – Frage, ob Kinder tagsüber in Krippen, Kindergärten und Schulen von der öffentlichen Hand betreut werden sollen, hat sich zwar ein Stück weit entspannt. Für die SPÖ steht aber weiter außer Zweifel, dass die türkis-blaue Regierung vor allem den Ausbau ganztägiger Schulformen vernachlässigt hat. Im Sinne der „Chancengleichheit“ will man daher ein Mehr an ganztätigen Schulen – und österreichweit 5000 zusätzliche Hilfslehrer, um die Integration von Problemschülern zu erleichtern.
Womit die Grünen die ÖVP beim Sondieren konfrontieren
Die Erwartungen waren ohnehin hoch. Auf Werner Kogler, der zuletzt versuchte, sie zu senken („cool down“), sind jetzt erst recht alle Augen gerichtet. Die SPÖ hat gestern ihre Pflöcke eingeschlagen und zieht sich bis auf Weiteres zurück. Bleiben nur noch die Grünen – und deren Pflöcke:
- Klimaschutz
Die Grünen fordern eine umfassende ökosoziale Steuerreform. Für die ÖVP ist Klima kein Herzensthema – weshalb sie hier großzügig sein könnte. Es kursiert die Variante, dass in einer türkis-grünen Koalition Umwelt- und Landwirtschaftsministerium getrennt und ein Klimaschutzministerium mit üppigem Budget geschaffen werden könnte. Über die anderen Themen würde dann die ÖVP die Hoheit behalten wollen. Das Problem dabei: Klimaschutz ist Querschnittsmaterie. Es wird unvermeidlich sein, dass der oder die grüne Klimaschutzminister/in etwa bei Infrastruktur und Wirtschaft mitredet. Die Grünen haben Umwelt-Fachfrau Leonore Gewessler im Sondierungsteam, Kogler ist Ökonom. Für die ÖVP sondiert Ex-Wirtschaftsministerin Margarete Schramböck.
- Autobahn und/oder Öffis
Grüne sind strikt gegen Investitionen in klimaschädliche Infrastruktur. Hinter den Kulissen könnten die ÖVP-Länder, die nicht im türkisen Sondierungsteam vertreten sind, rebellieren: Oberösterreichs Landeshauptmann Thomas Stelzer etwa hat seinem Parteichef in einem Brief den Bau der Linzer Ost-Umfahrung als zentralen (Knack-)Punkt genannt. Und die Wirtschaftskammer pocht auf den Bau der dritten Piste am Flughafen Schwechat. Was Grüne und ÖVP-Länder eint: Die Forderung nach der „Öffi-Milliarde“.
- Mindestsicherung
Die Grünen haben den Kampf gegen Kinderarmut als zweiten Schwerpunkt. Bei der von türkis-blau reformierten Mindestsicherung ist ihnen die Staffelung für kinderreiche Familien ein Dorn im Auge. Hier könnte die ÖVP den Grünen entgegenkommen: Denkbar ist laut ÖVP-Stimmen, dass die Staffelung durch andere Maßnahmen bzw. Boni abgefedert wird. Als Sozialexpertin sitzt die Wiener Grün-Chefin Birgit Hebein im Sondierungsteam.
- Integration und Asyl
Kurz’ Markenkern. Intern sieht man den ersten Streit bei der nächsten großen Rettungsaktion im Mittelmeer als vorprogrammiert (Kurz lehnt die Aufnahme von Flüchtlingen aus anderen EU-Ländern strikt ab). Ganz zu schweigen davon, was passiert, wenn wieder eine größere Flüchtlingsbewegung kommen sollte. Einig werden könnte man sich beim Thema Asylwerber in Lehre. Im Nationalrat hat die ÖVP (vertreten durch Klubchef August Wöginger) bereits einer „pragmatischen Lösung“ zugestimmt.
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