Der harte Kampf ums weiche Herz

Kanzler Kurz, Kardinal Schönborn
Die SPÖ baut ihre Strategie auf eine „sozial kalte ÖVP“, Kanzler Kurz will den Gegenbeweis liefern.

Der Termin kam wie gerufen. Kardinal Christoph Schönborn und die Bischofskonferenz hatten zu Parteiengesprächen geladen, und zum Auftakt am Donnerstag war die ÖVP an der Reihe. Kanzler Sebastian Kurz, Minister Gernot Blümel, Klubchef August Wöginger und Generalsekretär Karl Nehammer hatten sich zu den Kirchenoberen ins Wiener Erzbischöfliche Palais begeben. Nach dem Gespräch wurde die „konstruktive Atmosphäre“ gelobt. Der Kanzler setzte einen Tweet ab, der die Gesinnungsgemeinschaft von Kirche und ÖVP unterstrich: „Wir fühlen uns den christlich-sozialen Werten verpflichtet und wollen jene unterstützen, die Hilfe brauchen.“

Tatsächlich kann die ÖVP nach der Einführung des 12-Stunden-Tags Gelegenheiten gut gebrauchen, bei denen sie ein weiches Herz zeigen kann. Die Bischöfe hatten der ÖVP schwere Vorwürfe gemacht, dass sie mit der Ausweitung der Arbeitszeiten die (kirchliche) Sonn- und Feiertagsruhe unterminiere und das Familienleben gering schätze.

Bei Themen der Sonn- und Feiertagsruhe gab es immer schon eine Allianz von Kirche und Gewerkschaft. Beide Institutionen gemeinsam sind stark genug, um die Stimmung im Land zu beeinflussen.

Hinzu kommt, dass die SPÖ ihre Strategie darauf aufbaut, das ÖVP-Image als Partei der sozialen Kälte zu verfestigen. Der Sozialblues ist ein oft erprobter Wahlschlager der SPÖ. Auch die Wiener SPÖ wird ihre Gemeinderatswahlkampagne entlang der sozialen Kampflinie aufbauen. Das ist einer der Gründe, warum die SPÖ-Wien so spät wie möglich wählen will, am besten erst zum regulären Termin im Herbst 2020: Noch ist die türkisblaue Bundesregierung zu kurz im Amt für eine Denkzettelstimmung, noch hat sie zu wenige „Opfer“ produziert, deren Stimmen sich von der SPÖ einsammeln ließen.

Doch die Türkisen schlafen auch nicht. Die Strategen um Kanzler Kurz wissen genau, dass die Sozialkompetenz eine Schwachstelle der ÖVP darstellt. Sebastian Kurz selbst reagiere „allergisch“, wenn man ihm soziale Kälte nachsage, erzählt ein Kanzler-Kenner. Schließlich habe Kurz bei seinem Vater erlebt, wie jemand unverschuldet arbeitslos werden kann.

Im harten Kampf ums weiche Herz hat sich die ÖVP eine Strategie zurechtgelegt. „Die Leute mit geringem Einkommen sollen mehr am Konto haben. Wenn die Leute mehr am Konto haben, werden sie die SPÖ fragen, ob sie wo ang’rennt ist, wenn sie ständig von der sozialen Kälte der ÖVP redet“, meint ein türkiser Stratege. Auf Dauer würde es der SPÖ nicht gelingen, eine Stimmung zu erzeugen, die der Faktenlage widerspreche.

Die „Fakten“ will die Regierung in Form von Entlastungen in mehreren Etappen schaffen. Seit Juli ist der Arbeitslosenbeitrag für Niedrigverdiener gesenkt, ab Jänner 2019 wird der neue Familienbonus spürbar sein. 2021 und 2022 sollen jeweils milliardenschwere Steuersenkungen wirksam werden. Bei Geringverdienern unter der Steuergrenze will die Regierung die Sozialabgaben senken, damit auch diese „mehr am Konto haben“.

Beim Wettkampf um die Sozialkompetenz geht es um mehr als bloße Wahltaktik. Dahinter steckt eine grundlegende Auseinandersetzung über das Thema Gerechtigkeit. Die ÖVP setzt auf Entlastung von staatlichen Abgaben, wovon jene profitieren, die mehr staatliche Abgaben und Steuern bezahlen.

Die SPÖ setzt seit jeher auf höhere Steuern und Umverteilung, was jenen im untersten Bereich des sozialen Spektrums zugute kommt.

Auf Letztgenannte – Arbeitslose, Arme und Armutsgefährdete – richtet auch die Kirche ihr Augenmerk. Im Herbst steht die Reform von Mindestsicherung, Arbeitslosengeld und Notstandshilfe an. Es wird spannend, ob die ÖVP hier eine Linie findet, die die Kirche als christlichsozial durchgehen lässt.

25 Jahre „Politik von innen“

Liebe Leserinnen und Leser, wir feiern gemeinsam eine „Silberne“: Die „Politik von innen“-Kolumne Ihrer Autorin erscheint seit 25 Jahren. Ich durfte Sie durch Ereignisse wie die EU-Abstimmung, den EU-Beitritt, sieben Nationalratswahlen und den letzten US-Wahlkampf begleiten. Ich nutze das Jubiläum, um mich herzlich für Ihre Anerkennung und Treue zu bedanken.

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