Coronavirus: Angst vor Ansteckung laut Regierungsprotokoll erwünscht
Ein Sitzungsprotokoll legt nahe, dass die Regierung die Angst der Bevölkerung vor einer Infektion mit dem Coronavirus bewusst bestärkt haben könnte. Laut dem vom Ö1-Morgenjournal am Montag veröffentlichten Papier hat Kanzler Sebastian Kurz (ÖVP) davon gesprochen, die Bevölkerung sollte Anst vor einer Infektion bzw. dem Tod von Angehörigen haben. Das Kanzleramt relativiert die Aussagen.
"Potenziell tödliche Krankheit"
An der Sitzung der Task Force Corona des Gesundheitsministeriums am 12. März im Kanzleramt nahmen neben Kanzler, Vizekanzler, Gesundheits- und Innenminister auch Beamte und Gesundheitsexperten teil. Kurz hatte dem Protokoll zufolge Bedenken, dass er noch keine wirkliche Sorge der Bevölkerung verspüre. Woraufhin der Tropenmediziner Herwig Kollaritsch meinte, man müsse der Bevölkerung klar machen, dass es sich um eine potenziell tödliche Krankheit handle und nicht um eine einfache Grippe.
Als Beispiel nannte Kollaritsch dem Protokoll zufolge die Kommunikation rund um die britische Masernepidemie der 1990er-Jahre. Dort habe man mit der Angst der Bevölkerung gespielt. Und weiter heißt es im Protokoll: "Kurz verdeutlicht, dass die Menschen vor einer Ansteckung Angst haben sollen bzw. Angst davor, dass Eltern/Großeltern sterben. Hingegen sei die Angst vor der Lebensmittelknappheit, Stromausfälle etc. der Bevölkerung zu nehmen."
Experte verteidigt Wortwahl
Ein Sprecher des Bundeskanzlers meinte dazu, Kurz habe lediglich Verständnis für die Angst um Familienmitglieder gezeigt. In weiterer Folge hatte sich der Kanzler jedenfalls mit drastischen Aussagen zu Wort gemeldet - etwa mit der noch Ende März ausgesprochenen Warnung, jeder werde bald jemanden kennen, der an Corona verstorben sei. Kollaritsch selbst hält laut Ö1 fest, nicht von einem Spiel mit der Angst in Österreich gesprochen zu haben. Ohne drastische Wortwahl hätte die Bevölkerung die Maßnahmen der Regierung aber nicht angenommen, meint er.
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"Von Angstmache war nicht die Rede"
Der Rektor der Meduni Wien, Markus Müller, der wie er sagt, telefonisch von einem der Studienautoren um seine Einschätzung gebeten worden war, wies Berichte über Angstmache zurück. "Von einer Angstmache war sicher nicht die Rede. Aber sehr wohl, dass es die Sorge gab, dass das Bewusstsein in der Bevölkerung hinsichtlich COVID-19 noch nicht adäquat war", wird Müller in einem Gespräch mit der APA zitiert.
Müller verwies darauf, dass zum Zeitpunkt der Sitzung (12. März) gerade klar wurde, dass es in Tirol ein massives Problem gab und dass die Situation in Italien außer Kontrolle geriet. "Das war sicher ein Trigger für die (dann gesetzten, Anm.) Maßnahmen. Und auch die Tatsache, dass es nicht mehr möglich war, alle Infektionsketten nachzuvollziehen." Auch sei Österreich damals "mit einem sehr steilen Anstieg an Infektionen" konfrontiert gewesen. Klar sei gewesen, dass man dieses dämpfen muss, "weil sonst kommt man in eine nicht oder nur schwer steuerbare Situation".
Diskutiert wurde bei dem Treffen auch über das Bewusstsein in der Bevölkerung für die Erkrankung, sagte Müller. "Es war ja so, dass zu Beginn, jedenfalls im Februar, das Bewusstsein in der Bevölkerung zur Erkrankung Covid-19 noch nicht im entsprechenden Ausmaß vorhanden war. Das wurde als ganz entscheidend diskutiert für den Erfolg der Maßnahmen." Und dass die Erkrankung "in der öffentlichen Meinung unterschätzt wurde. Und dass das ein Problem sein könnte." Dass die Maßnahmen schlussendlich gegriffen haben, sei ja dem erhöhten Bewusstsein in der Bevölkerung zu verdanken, betonte Müller.
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