Bildungsminister Wiederkehr: "Viele Lehrkräfte wollen eine Veränderung"

Bildungsminister Christoph Wiederkehr (Neos) will im Schulbereich vieles neu machen. Zum Schulstart wurden 81 Prozent der schulinternen Rundschreiben außer Kraft gesetzt.
KURIER: Herr Wiederkehr, diese Woche war der erste Schulstart, den Sie als Bildungsminister erlebt haben. Wie fühlt man sich da?
Christoph Wiederkehr: Es war ein netter erster Schultag für mich als Minister: Im Gymnasium in Klosterneuburg habe ich eine schöne Schultüte geschenkt bekommen. Noch dazu funktioniert der Schulstart deutlich besser als in den vergangenen Jahren. Wir sehen einen Aufschwung. Es ist mir auch wichtig, diese Aufholjagd im Bildungsbereich zu starten.
Sie hatten ja schon die Tage davor eine Art Aufwärmrunde, in der Sie die verpflichtende Sommerschule ab 2026 angekündigt haben, wenn Schülerinnen und Schüler etwa ausreichende Deutschkenntnisse fehlen. So eine Verpflichtung haben Sie auch in Richtung Lehrpersonal angedeutet, was in der Gewerkschaft sofort auf Widerstand gestoßen ist.
Es ist nicht überraschend, dass mutige und gute Ideen auch einmal Widerstand erzeugen. Ich halte es aber für extrem wichtig, dass alle Kinder, die in Österreich aufwachsen, die deutsche Sprache gut beherrschen. Vor allem für Kinder, wo zu Hause nicht Deutsch gesprochen wird, ist der Schulstart nach den langen Sommerferien schwierig.
Sie sind zuversichtlich, dass Sie da mit den Lehrerinnen und Lehrern eine gute Lösung finden?
Ich bin sehr zuversichtlich, dass wir ausreichend Lehrkräfte finden, die das im Sommer gerne machen. Wir zahlen nämlich extra dafür. Oder diejenigen, die im Sommer arbeiten, können dann unter dem Jahr weniger arbeiten. Das ist wirklich ein gutes Angebot.
Wie zufrieden sind Sie damit, wie das Schulsystem aufgestellt ist? Sie konnten sich ja bereits einen Überblick aschen.
Ich würde sagen: Es ist ausbaufähig mit Potenzial nach oben. Wir haben aber viele Problemstellen, die man auch so benennen muss. Die Lesefähigkeit ist in den vergangenen Jahren gesunken. Die Welt verändert sich extrem schnell, das Bildungssystem nur sehr langsam. Wir müssen die Grundkompetenzen Lesen, Schreiben, Rechnen verbessern. Wir müssen auf das Leben im 21. Jahrhundert vorbereiten, dass Schüler wissen, was ein Zinseszins ist, was eine Arbeitnehmerveranlagung bedeutet, etc. Praxisrelevante Themen, die in der Schule vermittelt werden müssen.
Sie waren Bildungsstadtrat in der rot-pinken Stadtregierung in Wien. Mit dem damaligen ÖVP-Bildungsminister Martin Polaschek mussten viele Konflikte ausgetragen werden. Aus der damaligen Perspektive heraus, was haben Sie sich gedacht, das sofort verändert werden muss, wenn Sie in der Bundesregierung die Bildung über haben?
Ich habe eine lange Liste an Themen gehabt, wo ich mich gefragt habe, warum die nicht einfach umgesetzt werden. Da gab es unglaublich große Widerstände und auch parteipolitische Konflikte, die unnötig waren. In meinen ersten Monaten als Minister habe ich Themen umgesetzt, die mir schon damals wichtig waren. Etwa das Handyverbot bis zur achten Schulstufe. Ich habe nie verstanden, warum man bei diesem Thema die Schulen allein gelassen hatte. Oder die Sprachförderung, die jetzt verdoppelt worden ist. Oder die Aufstockung der Schulpsychologie.
Als Bildungsminister muss man mit dem Dreieck Schüler, Lehrer und Eltern umgehen können. Beginnen wir mit den Schülern. Da hat ein Lehrergewerkschafter zuletzt gesagt, dass die Jugendlichen sozial und psychisch immer auffälliger werden. Für die Lehrpersonen werde es immer schwieriger, damit umzugehen. Wie will man dieses Problem in den Griff bekommen?
Es stimmt, dass der Schulalltag für Lehrkräfte schwieriger wird. Die ganze Gesellschaft ist in der Krise, es gibt immer mehr internationale Konflikte. Auch durch die Digitalisierung, durch das Handy hat sich ganz viel verändert. Die Verhaltensauffälligkeiten sind größer geworden. Deshalb führen wir in diesem Schuljahr die Sozialarbeit an Bundesschulen ein. Vor zehn Jahren hätte man noch gesagt, das benötigt man nicht, das können die Lehrkräfte bewältigen. Hier wandelt sich die Schule und auf das müssen wir mit Unterstützungssystem reagieren.
Sie haben ein Budget dafür?
Das Budget dafür ist ausgehandelt. Es geht um eine Verdoppelung der Schulpsychologie und erstmals auch um Sozialarbeit an Bundesschulen. Das ist ein wichtiger Schritt zur Entlastung der Lehrkräfte.
Zum ausführlichen Interview mit Bildungsminister Wiederkehr
Ein zweiter Punkt zu Schülern. Entscheidend sind die Deutschkenntnisse. Ziel muss ja sein, dass Kinder nach dem Kindergarten entsprechende Deutschkenntnisse erlangen. Vor allem in Wien klagen Lehrkräfte, dass das nicht der Fall ist.
Als Gesellschaft muss es unser Ziel sein, dass Kinder, die im Kindergarten waren, in der ersten Klasse Volksschule dem Unterricht folgen können. Davon sind wir aber weit entfernt, insbesondere in den Städten. Das ist eine Katastrophe und muss viel, viel besser werden. Deswegen werden wir ein zweites verpflichtendes Kindergartenjahr einführen. Und in den Volksschulen investieren wir momentan sehr stark, um dort die Sprachförderung massiv auszubauen. Deutsch ist die Eintrittskarte in unsere Gesellschaft.
Kommen wir zu den Lehrkräften. Wie gut ist Ihr Verhältnis zu der starken Lehrergewerkschaft? Bislang ist die Gewerkschaft bei neuen Projekten eher auf der Bremse gestanden.
Wir haben in den ersten Monaten schon bei vielen Themen intensiv zusammengearbeitet. Da gibt es Themen, bei denen wir unterschiedlicher Auffassung sind, etwa bei der Sommerschule. Aber ich bin zuversichtlich, dass wir gemeinsam Lösungen finden. Ich führe auch regelmäßig Gespräche mit der Gewerkschaft. Zuversichtlich stimmt mich, dass viele Lehrkräfte eine Veränderung wollen. Deswegen habe ich den Prozess Freiraumschule gestartet. Mehr Freiraum für die Schule zu ermöglichen und weniger Bürokratie. Rund 19.000 Lehrkräfte haben da mitgemacht und Ideen eingebracht, eine unglaubliche Zahl.
Weniger Bürokratie ist, was sich das Lehrpersonal wünscht, weil man sich auf den Unterricht konzentrieren will. Was ist da geplant?
Mit dem ersten Schultag in Ostösterreich wurden von mir 81 Prozent der Rundschreiben des Ministeriums außer Kraft gesetzt. Rundschreiben sind Regelungen für die Schulen, wo viele Sachen normiert werden. Etwa, wie ein Schulausflug auszusehen hat. 81 Prozent haben wir streichen können, weil sie entweder veraltet oder überbürokratisiert waren.
Bei der Landeshauptleutekonferenz wurde zwischen Bund und Ländern Strukturreformen vereinbart. Ein Themenbereich ist dabei die Bildung, weil es Doppelgleisigkeiten im Schulbereich gibt. Da geht es auch darum, zu regeln, welche Ebene wofür zuständig ist. Etwa für das Lehrpersonal?
Wir haben im Bildungsbereich tatsächlich einen Föderalismus-Dschungel. Es wurde verfassungsrechtlich nie geklärt, wer eigentlich für Schule zuständig ist. Darum haben wir zum Teil die Gemeinden, zum Teil Länder, zum Teil den Bund, zum Teil die Mischbehörde der Bildungsdirektion. Mein Ziel ist es, diese Strukturen zu vereinfachen und die Verantwortlichkeiten klar zu machen. Etwa das Personal in eine Hand zu bringen. Damit nicht eine Direktion, beispielsweise ein Volksschule am Land, drei unterschiedliche Arbeitgeber hat. Ich halte das für höchst problematisch und ineffizient. Klare, effizientere Strukturen sind mein Ziel, um so ein besseres Bildungssystem zu schaffen.
Wer wofür zuständig ist, war auch eine gewisse Machtdebatte. Das Tauziehen zwischen Bund und Ländern um das Lehrpersonal ist legendär. Deswegen wurde eine Mischbehörde geschaffen, weswegen etwa für die Bildungsdirektion Bund und Länder zuständig sind.
Das war ein österreichischer Kompromiss, weil man sich nicht geeinigt hat, ob Land oder Bund zuständig sein soll. Ich halte das für keine ideale Lösung. Wir brauchen klare Verantwortlichkeiten.

Sehen Sie das ergebnisoffen, ob in Zukunft der Bund oder die Länder für die Lehrer zuständig sind?
Ich bin ergebnisoffen. Es geht um ein besseres und effektiveres System. Meine persönliche Meinung dazu ist aber auch kein Geheimnis. In einem kleinen Land wie Österreich wäre weniger Bildungsföderalismus hilfreich, um so ein einheitliches und auch qualitätsgesichertes Bildungssystem für alle Kinder sicher zu stellen.
Sie haben ein Ressort übernommen, wo viel zu tun ist. Die Erwartungen sind dementsprechend. Welche Ziele wollen Sie erreichen, damit am Ende gesagt wird, dass wir im Bildungsbereich einen großen Schritt weitergekommen sind?
Mich leitet eine große Vision und die ist einfach, dass alle Kinder gerne in die Schule gehen. Wenn man gerne in die Schule geht, lernt man einfacher, ist es auch für die Lehrkräfte einfacher. Auch für die Eltern, wenn nicht das Wochenende von der Angst beherrscht wird, dass am Montag die Schule wieder beginnt. Selbstverständlich habe ich auch konkrete Ziele. Die Aufholjagd im Bildungsbereich bedeutet, dass mehr Kinder Deutsch können, dass sie sinnerfassend lesen und gut schreiben können. Darüber hinaus die Vorbereitung auf das 21. Jahrhundert durch Kompetenzen wie Kritikfähigkeit, Kooperationsfähigkeit und Kommunikationsfähigkeit. Neben der Modernisierung des Bildungssystems kommt noch die Frage der Chancengleichheit dazu. Wir brauchen die beste Bildung für jedes Kind. Das habe ich mir als Bildungsminister vorgenommen.
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