Van der Bellen zur Halbzeit: "Ich musste Macht ausüben"
Der Bundespräsident über die Karriere seiner Ehefrau, sein Verhältnis zu Kurz und den Grünen, über seine Pitzeligkeit und welches Gesetz er diskret beeinspruchte.
KURIER: Herr Bundespräsident, bei Amtsantritt hat Sie unser Karikaturist traurig aus dem Fenster blicken lassen, mit den Worten: „Pfoah. Das wird fad.“ Gekommen ist es dann ganz anders.
Alexander Van der Bellen: Ja, der Pammesberger war sensationell. Habe ich mir natürlich aufgehoben.
Durch diese unerwartet turbulente Zeit hat sich das Amt des Präsidenten verändert. Hat Sie das auch persönlich verändert?
Ein bisschen hat es mich schon verändert. Es gibt ja schon Diskussionen, wie viele Regierungen ich eigentlich angelobt habe.
Man hat tatsächlich die Übersicht verloren. Wie viele Regierungen waren es denn? Vier?
Bei meiner Amtsübernahme vor drei Jahren befand sich die rot-schwarze Regierung Kern/Mitterlehner im Amt. Im Dezember 2017 habe ich die türkis-blaue Regierung Kurz/Strache ernannt. Nach der blauen Korruptionsaffäre „Ibiza“ kam es aufgrund des Rücktritts der blauen Minister zu einer Regierungsumbildung. Nach dem bald darauf folgenden Misstrauensantrag war für kurze Zeit Hartwig Löger mit dem Vorsitz der Regierung betraut. Danach habe ich die Regierung Bierlein ernannt und nun im Jänner die türkis-grüne Bundesregierung
Sie haben mehr Macht ausgeübt als Ihre Vorgänger.
Ich musste sie ausüben. Insofern gewinnt man an Selbstbewusstsein, indem man sieht: Aha, der Bundespräsident ist eben nicht, wie vorher gedacht, nur Staatsnotar, sondern die Position hat schon ihren Sinn.
Und wann setzen Sie dieses neue Selbstbewusstsein ein?
Jetzt ist es ja Gott sei Dank nicht notwendig gewesen, aber bei der Benennung der Regierung Bierlein war es der Fall. Es gibt einem noch mehr Ruhe und Gelassenheit.
Als Hektiker sind Sie ohnehin nicht bekannt.
Ich trage es nicht nach außen. Aber wie jeder andere Mensch habe ich auch manchmal meinen Zorn.
Den Sie dann vielleicht an Ihrem Hund auslassen?
Nein! Gott bewahre!
Sebastian Kurz wollte Herbert Kickl zuerst nicht opfern. Haben Sie bei seinem Abgang im Hintergrund die Fäden gezogen?
Nein, nein. Herbert Kickl versucht es so darzustellen, aber die verfassungsrechtliche Prozedur ist völlig klar: Der Bundeskanzler schlägt vor, einen Minister zu entlassen. Ich bin dem Wunsch von Sebastian Kurz nachgekommen.
Aber es gibt ja Gespräche hinter der Tapetentür, wo Sie den Kanzler von etwas überzeugen können.
Das ist nicht auszuschließen, aber in dem Fall war es nicht so.
Was sich auch verändert hat, ist die Rolle Ihrer Frau. Zu Beginn hieß es, sie werde Sie hie und da begleiten. Mittlerweile ist sie fast überall dabei.
Ja – aber darüber müsste man länger diskutieren: Was ist die Rolle der Ehefrau des Präsidenten? Das ist nirgends geregelt ...
...wie bei den Partnern von Diplomaten.
Bei Botschaftern ist es ein echtes Problem, weil das ja eine Lebensstellung und nicht wie beim Bundespräsidenten eine zeitlich befristete Aufgabe ist.
Die Partner sollten eine offizielle Rolle bekommen, wurde oft gefordert.
Darüber muss man nachdenken. Was meine Frau betrifft: Es interessiert sie, und sie macht es wirklich gern: aber parallel dazu macht sie ihre eigenen Sachen, baut vor allem ihre eigenen Frauennetzwerke auf. Man wird sehen, was die Zukunft noch bringt.
Es ist wahrscheinlich schwierig, als Frau des Bundespräsidenten einem Job nachzugehen.
Ich hoffe eben nicht, dass das schwierig ist. Wir erleben jetzt endlich, dass die Rolle der Frau als selbstständig wahrgenommen wird. Wir hatten eine Bundeskanzlerin und jetzt eine 9:8-Mehrheit an Frauen in der Regierung. Auch Präsidentenfrauen haben so wie jede andere Frau das Recht auf ihre eigene Laufbahn und ihr eigenes Einkommen.
Sie arbeitet also wieder an einer eigenen Karriere?
Sie wird schon ihre eigenen Ideen entwickeln.
Werden Sie eine zweite Amtsperiode anhängen?
Jetzt haben wir doch gerade erst die Hälfte der ersten Periode.
Wie ist Ihr Verhältnis zu Kurz? Sie könnten sein Großvater sein.
Locker!
Spielt das eine Rolle?
Nein. Es ist offenkundig, dass Sebastian Kurz ein sehr professioneller Politiker ist. Der Altersunterschied spielt höchstens dann eine Rolle, wenn man in Gesprächen in die Geschichte zurückgeht. Naturgemäß hat Kurz vieles nicht erlebt, was ich erlebt habe.
Es wirkte so, als wäre die SPÖ geradezu eifersüchtig auf das gute Verhältnis zwischen Ihnen und Kurz. Haben Sie das gespürt?
Nein. Nur in den Medien gelesen.
Der lange, polarisierende Präsidentschaftswahlkampf hat einen Riss durch die Gesellschaft erzeugt. Hat sich der jetzt wieder gekittet?
Ich glaube schon. Ich kriege Mails und sogar handschriftliche Briefe. Auch Leute, die mich nicht gewählt haben, schreiben: „Ist schon gut, dass wir Sie haben.“
Wie kommen Sie auf Botschaften wie „So sind wir nicht. So ist Österreich nicht“? Damit werden Sie in die Geschichte eingehen.
Da ist auch viel Teamarbeit dahinter. Es gibt Entwürfe, da gehe ich mehrfach darüber – und so entwickelt sich die Rede.
Sie sind also ziemlich pitzelig?
Ja, bin ich schon. (Zum Pressesprecher): Das kannst du bestätigen.
Reinhard Pickl-Herk: Wir bauen schon Beistrichfehler ein, und schauen, ob der Chef was findet. Und er findet sie garantiert. (lacht)
Gab es in den 17 Monaten von Türkis-Blau Gesetze, die Sie persönlich nicht gerne unterschrieben haben?
Ja sicher.
Welche?
Ich habe in solchen Fällen mit meinen Verfassungsexperten in der Hofburg gesprochen, um zu klären, ob das noch verfassungskonform ist. Wenn etwas rechtlich nur strittig ist, muss man es im Zweifel unterschreiben.
Verraten Sie uns eines?
Ich kann Ihnen eines verraten, das Nationalratspräsident Wolfgang Sobotka und ich völlig diskret verhandelt haben. Es war der Paragraf 717B, ASVG.
Worum handelte es sich da genau?
Da ging es um eine Ermächtigung der Sozialministerin, jegliche Information von verschiedenen staatlichen Institutionen einzufordern. Das ging zu weit. Der Nationalrat hat den Satz gestrichen. Dann erst habe ich unterschrieben. Daraus muss man kein Drama machen, aber immer ein Auge drauf haben.
Wie sehr freuen Sie sich über Türkis-Grün?
Meine Rolle ist rot-weiß-rot.
Sie hätten auf Ihre ehemaligen Parteikollegen aber Druck ausüben und sagen können: „Reißt euch zusammen, sonst seid ihr wieder jahrelang vom Fenster.“
Habe ich aber nicht gemacht. Die Verantwortungen von Bundespräsident und Parteichefs ist auseinanderzuhalten.
Wie groß ist die Rolle des Präsidenten bei der Regierungsbildung?Es sind die verhandelnden Parteien, die die Verantwortung für das Programm haben. Der Bundespräsident hat vor allem einen nicht zu unterschätzenden personalpolitischen Einfluss.
Haben Sie Herbert Kickl seit seinem Rauswurf aus der Regierung getroffen? Immerhin ist er FPÖ-Klubobmann.
Ich habe Herrn Hofer, aber nicht Herrn Kickl getroffen. Aber wenn es demnächst eine Klubobleute-Runde gibt, dann werden wir das beiderseitige Vergnügen haben.
Sie kennen Werner Kogler, seit er kleiner Referent im Parlamentsklub war. Hätten Sie ihm zugetraut, dass er die Grünen aus der Krise bringt und Vizekanzler wird?
Der Werner Kogler hat sich in diesen gut zwei Jahren, seit die Grünen aus dem Parlament geflogen sind und er die Verantwortung übernommen hat, enorm entwickelt. Das musst man einmal aushalten und schaffen: eine Partei von fast null auf 14 Prozent zu bringen!
Essen Sie manchmal Burger?
(lacht) Zuletzt im Herbst in New York – also grundsätzlich ja.
Beim Antrittsbesuch von Europaministerin Karoline Edtstadler in Paris wurde betont, dass die französische Regierung sehr froh ist, dass nun keine rechtsextreme Partei mehr in Österreich regiert. Denken Sie, kann die grüne Regierungsbeteiligung das Image Österreichs verändern?
Ich glaube schon, dass das europaweit mit großer Aufmerksamkeit verfolgt wird, weil es in dieser Form, mit einer konservativen Partei, etwas Einmaliges ist. Wenn das nun, wie ich sehr hoffe, bis zum Ende der Legislaturperiode hält, dann wird das nicht ohne Einfluss bleiben.
Was macht Sie so optimistisch, dass das fünf Jahre hält?
Erstens bin ich grundsätzlich ein zuversichtlicher Mensch. Zweitens glaube ich, die Alternative ist derzeit nicht naheliegend.
Was halten Sie davon, dass sich Fridays for Future in Österreich „zivilen Ungehorsam“ vorstellen kann?
Ich nehme die Bewegung sehr ernst, und sage den Jungen immer: „Es ist eure Zukunft, um die ihr mit Recht kämpft.“ Aber der Protest muss gewaltfrei sein, sonst kommt man in Teufels Küche.
Was ist Ihnen für die zweite Hälfte Ihrer Amtszeit wichtig?
Wirtschaftliche Fragen werden eine Rolle spielen. Es ist oft erstaunlich, was der Besuch eines Staatsoberhauptes im Ausland bewirken kann. Und unsere Klimaschutztechnologien sind weltweit gefragt. Auch Kunst und Kultur sind ein Türöffner.
In China schätzt man ältere Herren mehr als junge. Sie nutzen mit Ihrem Alter dort auch Kurz, oder?
Tradition und Erfahrung sind in China sehr wichtig. Sebastian Kurz wird aber auch in China ernst genommen.
Was planen Sie in der zweiten Hälfte Ihrer Amtszeit im Inland?
Wir setzen die Jugendkontakte fort. In Lehrwerkstätten sage ich den jungen Leuten immer: „Lernt was – ihr könnt dann etwas, was ich nicht kann.“ Handwerklich bin ich nämlich vollkommen unbegabt.
Ist das Handwerkliche unterschätzt in Österreich?
Absolut. Unsere duale Ausbildung stößt bei meinen Auslandsbesuchen auf großes Interesse. Wir sollten da mehr tun – etwa in der Verbindung von Matura und Lehre.
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