Asyl-Debatte: Rote Überholmanöver im blauen Revier

Asyl-Debatte: Rote Überholmanöver im blauen Revier
Mit dem Sager zu 250.000 Illegalen zeigt Hans Niessl ein Dilemma der SPÖ: Soll man die Regierung rechts überholen?

Am Ende waren es vier Sätze, nicht mehr. Und glaubt man Menschen, die nahe dran sind an Hans Niessl, dann hat der burgenländische SPÖ- und Regierungschef die Sätze nicht einmal mit besonderem Vorsatz zu Protokoll gegeben. „Ein weiteres Problem, über das gar nicht erst geredet wird, sind die vielen illegal aufhältigen Migranten in Österreich. Vorsichtige Schätzungen gehen davon aus, dass das rund 250.000 Menschen sind. Das ist eine Stadt wie Graz. Kein guter Zustand.“

Eine Viertelmillion Illegale tummelt sich im Lande – und niemand tut etwas?

Ja, so konnte man die Aussage des burgenländischen Landeshauptmannes durchaus lesen.

Und, Überraschung!, Niessls politische Konkurrenz tat genau das mit Leidenschaft.

Die FPÖ geißelte die Feststellung als „substanzlosen Populismus“. Die ÖVP empfahl dem burgenländischen Landeshauptmann, seinen Job zu machen – und nicht SPÖ-Parteisekretär zu spielen. Und die Neos fragten spitz, ob die SPÖ neuerdings „beim nationalistischen Getue mitzündle, um die Rechtspopulisten rechtsaußen zu überholen.

Das ist, wenn man so will, auch gleich der schwerste Vorwurf, der Christian Kern und der SPÖ – direkt oder versteckt – gemacht wurde: Sie versuche bloß mitzuschwimmen in dem, was man bei der Flüchtlings- und Asylpolitik für mehrheitsfähig oder populär halten könnte.

Aber will die SPÖ das tatsächlich?

Und vor allem: Kann und soll sie das?

Nein, antwortet Julia Herr. Die wortgewaltige Chefin der Sozialistischen Jugend fasst ihre Kritik in einem Satz zusammen: „Die SPÖ wird nie die bessere FPÖ werden.“

Das weiß natürlich auch ein Hans Niessl, aber: Warum sagt er dann, was er sagt?

Sieben harte Punkte

Ehe auf diese Frage Antworten gefunden werden können, lohnt sich ein Blick auf die Bundespartei.

Parteichef Christian Kern wollte sich am Montag im Detail nicht zu Niessls Flüchtlingssager äußern, die Debatte dreht sich für ihn im Kreis.

Denn es ist mittlerweile ganz genau ein Jahr her, dass der damalige Bundeskanzler mit Hans Peter Doskozil einen Sieben-Punkte-Plan präsentierte, der im Wesentlichen durchaus restriktive Züge trug. Da wurde ein „effektiver Außengrenzschutz der EU“ gefordert; da wurde ventiliert, man müsse die „Schlepperpropaganda bekämpfen“; und last but not least schrieb man sich die „verstärkte Rückführung“ von negativ beschiedenen Asylwerbern ins Programm.

„Brutal zusammengefasst heißt unsere Haltung bereits seit einem Jahr ,Integration vor Zuwanderung“, sagt ein Wiener SPÖ-Stratege. „Das Problem ist nur: Kaum jemand kennt diese Position oder den Sieben-Punkte-Plan.“

Das ist ein Teil der Wahrheit. Ein anderer ist dieser: Mit dem Integrations- und Flüchtlingsthema sind die Regierungsparteien aus Sicht der SPÖ nahezu unschlagbar.

„Es ist empirisch messbar, dass ÖVP und FPÖ bei den Themen Migration und Wirtschaft in Sachen Zustimmung nach wie vor deutlich über der 50 Prozent-Marke halten“, sagt Politik-Analyst und -Berater Thomas Hofer.

Die SPÖ müsse danach trachten, dass der Vorsprung bzw. Abstand zu ÖVP und FPÖ beim Sicherheitsthema nicht zu groß werde. „Aber die Regierung rechts zu überholen, das ist aus Sicht der SPÖ völlig sinnlos.“

So gesehen, und damit ist man wieder bei Hans Niessl, ist es auch vergleichsweise gefährlich, wenn die SPÖ indirekt versucht, beim Thema zu punkten – etwa, indem man den Regierungsparteien vorhält, sie würden bei der Flüchtlings- oder Asyldebatte inkompetent agieren.

„Selbst wenn man die Glaubwürdigkeit der Regierung beim Migrationsthema untergräbt ist das noch immer kein Argument dafür, bei der nächsten Wahl die SPÖ zu wählen“, sagt Analyst Hofer.

Was also tun?

Für Beobachter in der Wiener SPÖ und in der Parteijugend liegt die Lösung auf der Hand: „Wir sollten uns um Themen kümmern, die drängender und relevanter sind, wie etwa die Tatsache, dass Schwarzblau den Sozialstaat abbaut“, sagt SJ-Chefin Herr. Die Kinderbetreuung werde zurückgefahren, es kämen der 12-Stunden-Tag und die Privatisierung der Spitäler. Und parallel dazu mache es die Regierung salonfähig, „dass man auf die Schwächsten hinuntertritt. Das sind Themen, die den Alltag der Menschen betreffen und für die es die SPÖ braucht.“

Und die Flüchtlinge? „Wenn wir uns als SPÖ über Flüchtlinge ärgern, dann über die Steuerflüchtlinge – die kosten uns viel mehr. Da geht’s um 70 Milliarden Euro, die in der Karibik liegen.“

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