Anschober: „Brauchen weniger Klein-Klein und mehr Bundeskompetenz“

In zehn Tagen jährt sich Rudolf Anschobers Rücktritt als Gesundheitsminister zum ersten Mal. In einem Jahr hat das Land drei Gesundheitsminister erlebt – oder besser gesagt: scheitern gesehen. Anschober hat inzwischen ein Buch über – wie könnte es anders sein – die Pandemie geschrieben. Es ist ein Mix aus Erzählungen hinter den Kulissen der Regierung – dem „Maschinenraum“, wie es Anschober nennt – und Schilderung von Menschen, die an Corona erkrankten, Long Covid haben oder Pfleger sind.
KURIER: Herr Anschober, im dritten Jahr der Pandemie sind alle coronamüde. Glauben Sie tatsächlich, dass noch jemand Interesse hat, die Pandemie im Rückblick zu lesen?
Rudolf Anschober: Es ist der Versuch einer Aufarbeitung, aber keine Abrechnung. Das hat mir gutgetan, aber das brauchen wir auch in der Gesellschaft.
Es gibt mittlerweile den dritten Gesundheitsminister. Zerschellt man als Gesundheitsminister unwillkürlich an der Coronawand?
Tschechien hat mittlerweile den sechsten Gesundheitsminister. Niemand kommt aus der Pandemie raus, wie er reingekommen ist. Ich habe wahrscheinlich den Fehler gemacht, dass ich nie einen Teil des Ministeriums an einen Kollegen abgegeben habe. Oder ich hätte meinen Politikstil ändern müssen, um so den Kontakt zu der Bevölkerung zu reduzieren, aber das wollte ich nicht.
Warum ist die Teilung des Ministeriums nie passiert? Das hätte jeder verstanden ...
Wir haben mit einer Taschenlampe in einen Nebel hineingeleuchtet. Wir wussten nicht, was da auf uns zukommt. Niemand hätte sich gedacht, dass die Pandemie zwei Jahre dauert: Deswegen wurde das nie angedacht.
Jetzt weiß ich immer noch nicht: Woran scheitern die Gesundheitsminister in Österreich?
Ich gebe im Buch auch einen Blick hinter die Kulissen, um zu zeigen: Es ist nicht nur der Gesundheitsminister entscheidend. In der Pandemie spielten auch die Zeitpunkte eine große Rolle. Das ist große Unterschied zu anderen Entscheidungen in der Politik. Da spielt es keine Rolle, ob ein Gesetz oder eine Reform ein oder zwei Tage später in Kraft tritt. Bei der Pandemie hat jeder Tag entschieden und hatte Auswirkungen auf das Infektionsgeschehen. Es ist eine Regierungsentscheidung inklusive der Länder. Das ist das Mühsame. Für die Zukunft brauchen wir weniger Klein-Klein und mehr Bundeskompetenz. Und es sollten mehr Kompetenzen auf EU-Ebene wandern. Es braucht eine Grundstrategie, die auf EU-Ebene entschieden werden sollte.
Waren die Landeshauptleute die größte Hürde?
Wenn ein Salzburger 100 Kilometer fährt, dann hat er in alle Richtungen unterschiedlichste Maßnahmen. Da wären die Landeshauptleute gut beraten, auch einmal größer zu denken, und die Herausforderung gemeinsam anzugehen. Die Länder sind super in der Umsetzung. Aber für den Herbst müssen wir wieder an einheitliche, bundesweite Maßnahmen denken.
Wie war das Verhältnis zu Sebastian Kurz? Zuerst gab es ein gutes Einvernehmen, schreiben Sie, später nicht mehr...
Das Verhältnis hat sich zunehmend erschwert. Am Beginn war Kurz eher der Antreiber, am Schluss war es eher ich – aus meiner subjektiven Sicht. Dass in einer Regierung in so einer Krisensituation Auseinandersetzungen stattfinden, halte ich für völlig normal. Ich habe es für richtig gehalten, dass wir das nicht nach Außen tragen, weil die Bevölkerung sehr verunsichert war.
Wie kann man nun das Virus austricksen?
Wir müssen es schaffen, dass wir nicht mehr die Getriebenen des Virus sind, sondern dass wir das Virus kontrollieren. Sobald man reagieren muss, ist man immer im Hintertreffen. Deswegen müssen wir nach Omikron darauf achten, dass wir das Kapital nicht wieder zu schnell verspielen. Die Maske muss bleiben, die Impffreudigkeit muss reaktiviert werden. Derzeit haben wir eine Stimmung, wo ein Fatalismus eingetreten ist. Da braucht es einen Neubeginn.
Was war der schwerste Schritt in Ihrer Amtszeit?
Der erste Lockdown, weil ich hier Grenzen in mir überwinden musste. Ausgangssperren kannte ich nur aus Diktaturen.
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