Insgesamt sind in den letzten Wochen vor den Wahlen mehr als drei Dutzend prominente Oppositionspolitikerinnen und -politiker von der Bildfläche verschwunden. Darunter zum Entsetzen der lateinamerikanischen Linken auch ehemalige Guerilla-Größen im Rentenalter: Dora María Téllez, Hugo Torres Jiménez und Víctor Hugo Tinoco, die einst an der Seite Ortegas gegen die brutale Somoza-Diktatur kämpften, ihm sogar das Leben retteten und eigentlich Heldenstatus genießen. Inzwischen werfen sie Ortega vor, zu den gleichen Mitteln zu greifen, wie einst Anastasio Somoza, dessen brutale Herrschaft sie 1979 gemeinsam beendeten.
Die vorgeschobenen Vorwürfe gegen die Verhafteten: Geldwäsche, Konspiration oder Terrorismus.
Ortegas Absturz begann spätestens 2018. Damals gingen junge Umweltschützer auf die Straße. Sie vermuteten, dass ein Feuer in einem ökologisch wertvollen Naturschutzgebiet absichtlich gelegt worden sei, damit Ortegas Geschäftspartner das Land anschließend kommerziell nutzen konnten.
180-Grad-Wende
Als auch noch eine umstrittene Rentenreform dazu kam, schlossen sich immer mehr Menschen, eigentlich das ganze Land, den Protesten an. Ortega ließ die Demonstrationen niederschießen und niederknüppeln, rund 400 Menschen starben. Die meisten von ihnen aufseiten der Opposition.
Ein von der katholischen Kirche vermittelter Dialog scheiterte, und für Ortega sind die Bischöfe inzwischen Terroristen. Einer, Managuas Weihbischof Silvio Baez, der Oppositionellen vor den Schüssen der Sicherheitskräfte in seiner Kirche Unterschlupf gewährte, wurde von Papst Franziskus nach Morddrohungen vorsichtshalber ins Exil geschickt. Studentenführer Lesther Aleman wurde nach seiner Rückkehr aus dem Exil verhaftet. Das alles sorgt für einen stetig wachsenden Exodus vor allem junger Nicaraguaner, die die Hoffnung auf eine politische Wende verloren haben: "Die Folge krimineller Staatsführung sind Flucht und Migration", sagt Pater Martin Maier, Chef des Lateinamerika-Hilfswerks Adveniat, ein Mittelamerika-Experte.
Wer kann, zieht weg
Nicaragua leide "unter dem Verlust vieler intelligenter, mutiger, kreativer Männer und Frauen, Unternehmer, Arbeiter, Erbauer des Landes und der Stadt, junger Menschen und sogar Kinder, die die Zukunft unseres Landes repräsentieren", sagt Bischof Rolando Alvarez aus Matagalpa. Das Volk suche eine bessere Zukunft anderswo, weil ihm die Türen in ihrer eigenen Heimat verschlossen wurden, so Alvarez. Laut Vereinten Nationen sind seit Beginn der Proteste gegen Ortega 108.000 Menschen aus Nicaragua geflohen. Hauptziele sind das Nachbarland Costa Rica sowie die USA, Spanien gefolgt von Panama und Kanada.
Ortega hätte bei einer freien Wahl eine Menge zu verlieren, denn inzwischen beherrscht seine Familie das ganze Land. Lebensgefährtin Rosario hielt ihm erst als Regierungssprecherin, dann als Vizepräsidentin den Rücken frei. Die sieben Kinder des Paares kontrollieren in Schlüsselpositionen Banken, Medien und Institutionen. Ohne und gegen die Ortegas wird nichts entschieden in Nicaragua.
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