Überraschungserfolg für Frankreichs Linke bei Parlamentswahl
Nichts war an diesem Sonntagabend in Paris, wie Beobachter es erwartet hatten. Das Jubeln brach bei Bekanntgabe der Ergebnisse der französischen Parlamentswahlen nicht dort aus, wo die meisten Kameras aufgestellt waren, bei der Wahlfeier des rechtsextremen Rassemblement National (RN) – sondern im Nordosten der Hauptstadt, wo das Linksbündnis Neue Volksfront seine Anhänger versammelt hatte.
Es ging als großer Sieger der Wahl hervor. Menschen lagen sich in den Armen, stimmten die Marseillaise an, so als sei Frankreich jetzt gerettet.
„Die Stimmung ist unbeschreiblich“, rief ein verblüffter Reporter in eine Fernsehkamera. Überraschend erreichte die Allianz aus der Linkspartei LFI (La France Insoumise, „Das unbeugsame Frankreich“), Sozialisten, Grünen und Kommunisten den ersten Platz, gefolgt vom Lager des Präsidenten Emmanuel Macron.
Erst dahinter lag der rechtsextreme Rassemblement National (RN).
Gedrückte Stimmung bei RN-Anhängern
Dementsprechend gedrückt war die Stimmung bei dessen Wahlveranstaltung. Dennoch versuchte Parteichef Jordan Bardella, Stimmung gegen die „unwürdige Allianz“ der anderen zu machen und seinen Anhängern Mut einzuflößen. „Ich weiß, dass Millionen von Menschen enttäuscht sein werden“, rief der 28-Jährige.
„Aber heute beginnt alles erst.“ Im Fall einer absoluten Mehrheit für seine Partei hätte Bardella Regierungschef werden sollen. In Interviews und TV-Debatten sprach er längst in triumphierendem Tonfall davon, was er unternehmen werde, „wenn ich in ein paar Tagen Premier bin“.
Davon kann nun keine Rede mehr sein. Keiner der drei großen politischen Blöcke erzielte die absolute Mehrheit in der Nationalversammlung.
Linke holen 182 Mandate, Ensemble 168 und die Rechtpopulisten 143
Das vom Linkspopulisten Jean-Luc Mélenchon angeführte Bündnis stellt 182 der 589 Mandate in der Nationalversammlung. Die nach der ersten Wahlrunde favorisierten Rechtspopulisten von Marine Le Pen landeten mit 143 Mandaten nur an dritter Stelle hinter dem Präsidentenbündnis Ensemble mit 168 Sitzen.
Hohe Wahlbeteiligung
Aufgrund der außerordentlichen Dynamik für die Rechtsaußen-Partei in allen Umfragen und bei der ersten Runde vor einer Woche war das Interesse der Menschen an der Wahl groß. Das zeigte sich an einer hohen Wahlbeteiligung von ungefähr 67 Prozent.
Der Chef der Linkspartei LFI, Jean-Luc Mélenchon, versuchte, sich als unbestreitbarer Anführer seines Lagers aufzuschwingen, indem er kurz nach 20 Uhr als Erster, noch vor Vertretern seiner Bündnispartner, vor die Mikrofone trat. „Die Lektionen des Votums sind eindeutig: Die Niederlage des Präsidenten und seiner Koalition ist klar bestätigt“, tönte der als Volkstribun geltende Politiker, der auch im eigenen Lager nicht unumstritten ist.
So war im Vorfeld der Wahl ein Streit darüber entbrannt, welche Persönlichkeit die Linken im Fall eines Wahlsiegs, der lange als utopisch galt, als Premierminister vorschlagen würden. Die Debatten darüber werden nun noch mehr an Fahrt aufnehmen.
Der ehemalige sozialistische Präsident François Hollande wird als Abgeordneter des Bündnisses in die Nationalversammlung einziehen – und zweifellos eine entscheidende Rolle suchen.
Als eine Ursache für die Niederlage des RN gilt, dass sich die anderen Parteien gegen Rechtsaußen verbündeten. In mehr als 200 Wahlbezirken, wo sich Kandidaten der drei großen Lager RN, Neue Volksfront und Macrons Mitte-Bündnis für die zweite Runde qualifiziert hatten, zogen sich die Drittplatzierten zurück. Macrons Lager hatte zwar das Nachsehen, allerdings war der Einbruch an Sitzen weniger dramatisch als befürchtet. Durch seine einsam und überraschend getroffene Entscheidung am Abend der EU-Wahlen, die Nationalversammlung aufzulösen, hat er sich noch weiter von den Menschen entfernt – und von bisher loyalen Mitstreitern.
Innenminister Gérald Darmanin hat etwa angekündigt, nach der Wahl das Kabinett verlassen zu wollen und lieber als einfacher Abgeordneter „ein neues Projekt aufzubauen“. Und das wenige Wochen vor den Olympischen Spielen in Paris, bei denen die von Darmanin betreuten Sicherheitsfragen entscheidend für das Gelingen sein werden.
Es droht eine Blockade
Für den Staatschef steht nun eine komplizierte „Kohabitation“ an, bei der der Präsident und der Regierungschef nicht vom selben politischen Lager sind. Damit drohen mühsame Absprachen oder gar eine Blockade, sollten Kompromisse nicht gelingen.
Der bisherige Premierminister Gabriel Attal kündigte an, dem Staatschef – wie von der Verfassung vorgesehen – am Montag seinen Rücktritt anzubieten. Doch auch der 35-Jährige, der nur sechs Monate im Amt war, zeigte sich am Abend kämpferisch. Seine Formation habe dreimal mehr Sitze bekommen, als Umfragen vorausgesagt hatten – dennoch gebe es kein Weiter so. „Eine neue Ära beginnt“, sagte Attal. „Wir müssen alles in Frage stellen, um ein neues politisches Angebot zu schaffen.“ Das klang nicht nach Aufgeben.
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