Von israelischer Hektik zum Wiener Grant
Das kleine Restaurant „Miznon“ hinter dem Stephansdom ist mit Sicherheit der „israelischste“ Ort in Österreich. Es ist turbulent, laut, köstlich und international. „Als wir eröffnet haben, waren die Leute irritiert: Wir servieren unser Essen nicht auf Tellern, die Gerichte sind ungewöhnlich, wir sprechen englisch und hebräisch, die Musik ist laut – inzwischen spielen wir sie leiser –, und fremde Leute fangen an, miteinander zu reden“, erzählt Omer Shine über seinen Arbeitsplatz. Ihn führte die Liebe nach Wien: „Ich habe in Australien als selbstständiger Landschaftsgärtner gearbeitet, dann habe ich eine Österreicherin kennengelernt, wir haben eine Tochter bekommen, und so bin ich hier gelandet. Meine Eltern waren begeistert: Zwischen uns lagen nicht mehr 24 Flugstunden, sondern nur mehr drei.“
"Leute oft mürrisch"
Seine Familie ist eine typisch israelisch-bunte Mischung: „Die Familie meiner Mutter kommt aus dem Jemen und lebt seit fünf Generationen in
Israel. Meine Großmutter trat zum Judentum über, bevor sie mit meinem schlesischen Großvater von Polen nach Israel auswanderte.“ Was er bis zu dem Gespräch nicht wusste: Der gemeinsame Nachname kommt vermutlich aus dem Deutsch-Jiddischen, das dort gesprochen wurde. Das jiddische Wort für „schön“ – shejn – veränderte im Lauf der Migrationsbewegung seiner Familie nur die Schreibweise. Deutsch lernte er erst in Österreich: „Zu einem Behördenweg nehme ich noch immer meine Freundin mit. Wenn jemand die Sprache nicht kann, wollen sie gar nicht mit einem kommunizieren.“
Die Kommunikation war anfangs auch für Osnat Slomovits ein Problem, stimmt sie ihm zu: „Die Leute sind oft mürrisch und unfreundlich.“ Für beide ist der Supermarkt ein gutes Beispiel. „In Israel kommt man mit den Leuten an der Kassa ins Gespräch. Sobald sich hier eine Warteschlange bildet, beschwert sich sofort jemand. Alle sind ungeduldig.“
Dabei sei der Stresspegel in Israel größer, so Slomovits, die früher als Pharmareferentin arbeitete und hier im Tourismus: „In Israel ist die Wochenarbeitszeit rund 45 Stunden, hier nur 40. Dass Eltern nur Teilzeit arbeiten wie du“, sagt sie zu Omer, „ist dort sehr ungewöhnlich, weil es sich finanziell einfach nicht ausgeht. Das Leben ist härter.“ Auch er empfindet das so: „Ich genieße es, dass ich Zeit habe, um mit meiner Tochter etwas zu unternehmen. Wir lieben es, zur Alten Donau zu fahren.“ Er würde gerne etwas Eigenes auf die Beine stellen, „wieder als Landschaftsgärtner oder ein kleines Café. Aber das ist hier zu kompliziert.“ Slomovits wundert sich über die Einstellung mancher Dienstleister: „Wenn ich einen Termin bei einer Kosmetikerin will, gibt sie mir einen in zwei Wochen. Ich frage mich, warum beschäftigt sie nicht noch eine Mitarbeiterin und hat einen Termin in zwei Tagen?“
Bester Platz zum Leben
Am anderen Ende der Stadt arbeitet Itamar Reznikovich in einem Büro, das genausogut in einem israelischen Hightech-Gewerbepark liegen könnte. Die IT-Firma Emarsys sorgt mit ihren Computerprogrammen dafür, dass internationale und österreichische Firmen wie
Runtastic personalisiert mit ihren Kunden kommunizieren können. Ein großer Bildschirm zeigt in Echtzeit auf der Weltkarte, wo das System gerade im Einsatz ist. Unzählige kleine Lichtpunkt – „und die USA schlafen jetzt noch“, erklärt Finanzchef Reznikovich. Vor 18 Jahren gründeten ein Österreicher und ein Israeli das Unternehmen, „heute haben wir hier im Headquarter 120 Leute aus 25 Nationen und 800 Mitarbeiter weltweit.“
In den vier Jahren, seit er in Wien ist, sei es merkbar internationaler geworden. „Ich treffe hier mit vielen sehr kreativen Leuten zusammen, die mehr Unternehmergeist haben, als man denken würde. Aber Europa war immer schon konservativer als die USA oder Israel.“ Es sei keine Start-up-Nation wie Israel, „aber Veranstaltungen wie das 4GameChanger-Festival mit so vielen motivierten Leuten sind toll“.
"Hier gibt für alles Regeln"
Er selbst lebte in den USA, in Israel und in Indien und ist viel beruflich unterwegs. Seine Erkenntnis: „Wien ist der beste Platz zum Leben. Die Work-Life-Balance ist nirgendwo auf der Welt so wie hier. In Israel gibt es sie kaum und hier ist sie heilig. Wenn man 20 ist und Party machen möchte, ist es in Tel Aviv besser. Ich werde immer ein stolzer Israeli bleiben, aber jetzt bin ich 40 und habe drei Kinder. Ich kann einen Tag mehr mit ihnen verbringen als woanders, weil ich Samstag und Sonntag frei habe. Ich war bei 60 oder 70 Stunden im Büro auch nicht produktiver. “
Der größte Unterschied zu Israel? „Hier gibt es für alles Regeln und sie werden auch eingehalten. Man erwartet von dir, dass du sie kennst, das hat bei mir etwa ein Jahr gedauert. Wenn ich zu jemandem nach Hause komme und die Schuhe ausziehen soll, respektiere ich das. So ist die Hausregel und ich bin Gast.“
Das Leben hier sei entspannter und ruhiger, „am Strand beim Neusiedlersee sind meine Kinder die lautesten“, lacht er. Kürzlich hat er eine Verkehrstrafe bekommen – „und ich fand das gut. Ich habe ein Schild übersehen und bin zu schnell gefahren. Die Polizisten waren freundlich und ich habe mich bei ihnen bedankt.“ Er genießt auch die öffentlichen Verkehrsmittel – nach drei Stunden täglich im israelischen Berufsverkehr. „Ich fahre mit der U-Bahn in die Arbeit und gehe am Abend zu Fuß nach Hause. Die Stadt ist toll und voller Leben, etwa am Donaukanal. Aber natürlich nicht so wie in Tel Aviv.“
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