Nicht ein Verkehrstoter: Wie Helsinki das schafft

Radfahrer in Helsinki
Der Norden tickt anders: Was Tempolimits, Strafen und Helmpflicht in Finnland und Norwegen verändert haben.

Helsinki im Herbst 2025, es ist Schulbeginn. Überall wuseln Kinder, es wird gekreischt, gelacht, alle rennen herum. Nur auf den Straßen um die Schulen bewegt sich alles Schneckentempo.

Seit diesem Jahr gilt in der finnischen Hauptstadt um jede einzelne Schule Tempo 30. Die meisten Kinder kommen aber ohnehin mit Roller, Rad oder zu Fuß. In Wien fluchen derweil Eltern vor den Schulen im Stau. Meistens haben sie den selbst mitproduziert.

Europaweit einzigartig

In Nordeuropa laufen viele Dinge anders, auch in Sachen Verkehr. Der Effekt lässt sich an den Todesopfern ablesen: In Helsinki starb 2024 kein einziger Mensch im Straßenverkehr; auch in Norwegens Metropole Oslo waren es nur vier Tote, im Jahr davor sogar nur eine Person. Zum Vergleich: In Wien waren es 20 Todesopfer, Berlin zählte 55 Verkehrstote, Rom sogar 154. Wie kann das sein?

„Das ist kein Zufall, sondern langfristige Strategie“, sagt Michael Schwendinger, Experte beim Verkehrsclub Österreich VCÖ. Helsinki habe schon 1992 flächendeckend Tempo 40 eingeführt; 2018 kam auf vielen Strecken dann Tempo 30, mittlerweile gilt das Limit auf mehr als 60 Prozent der Stadt. Das mag simpel klingen, doch der Effekt war enorm: Von mehr als 1.000 Unfällen mit 30 Toten Ende der 1980er-Jahre sanken die Zahlen bis heute auf null Tote und 277 Verletzte.

170.000 Euro Strafe

Damit die Finnen sich auch an die Limits halten, hat die Stadt auch viele bauliche Maßnahmen gesetzt, in Oslo ist es ebenso. Dort ist die gesamte Innenstadt, etwa zwei Quadratkilometer, mittlerweile autofrei, überall anders holpert man mit dem Auto über „fartsdump“, sprich Bodenschwellen. Parkplätze mussten Radstreifen weichen, Blumentröge helfen bei der Abgrenzung. „Taferl allein sind zu wenig“, sagt VCÖ-Experte Schwendinger, ideal sei der „selbsterklärende Straßenraum: Wenn die Straße so aussieht, als wären 100 Stundenkilometer möglich, dann fährt auch keiner 30.“

Anders ist im Norden auch der Umgang mit Strafen. Wer in Finnland zu schnell unterwegs ist, muss eine an das Einkommen gekoppelte Strafe zahlen, und die kann im Fall von Gutverdienern dann viel ziemlich teuer werden. Vor einigen Jahren blätterte der Wurstimperiums-Erbe Jussi Salonoja 170.000 Euro hin, weil er 80 Stundenkilometer in einer 40er-Zone gefahren war. Öffentliches Selbstmitleid hat er nicht zelebriert, das ist in Skandinavien nicht en vogue; ebenso wenig wie kritisiert wird, dass Fahranfänger doppelt so viele Strafpunkte aufgebrummt bekommen, wenn sie zu schnell sind oder Unfälle gebaut haben. Die Abschreckungsmaßnahme hat sich genauso bewährt wie die enorm schwierige Fahrprüfung – die Jungen fahren allesamt vorsichtiger.

Geht es nach der EU, sollte es eigentlich in allen Mitgliedsstaaten so laufen wie im Norden. Die Union hat sich schon 2021 der „Vision Zero“-Strategie verpflichtet, also der Reduktion der Verkehrstoten auf Null. Davon ist der Kontinent aber weit entfernt, in manchen Staaten geht die Tendenz sogar nach oben – etwa in Deutschland, wo auf 70 Prozent der Straßen gar kein Tempolimit gilt. Besonders gefährlich ist es nach wie vor im Osten und Süden, vor allem in Serbien, Rumänien und Bulgarien.

Österreich schneidet im Vergleich einigermaßen gut ab, 38 Verkehrstote pro Million Einwohner gab es hierzulande 2024. Graz, sagt VCÖ-Experte Schwendinger, sei dabei eigentlich als ähnlich gutes Beispiel wie die nordischen Städte anzuführen: Auch in der steirischen Landeshauptstadt gibt es seit den frühen 1990ern flächendeckende 30er-Zonen, die anfangs verhasst waren, aber mittlerweile gut funktionieren. Bundesweit gebe es aber durchaus noch „Luft nach oben“, wie Schwendinger sagt – Spitzenreiter Norwegen hat nur mehr 16 Tote pro Million zu beklagen, Tendenz stark fallend. Da wolle man hin.

Helmpflicht für alle

In Finnland sorgte auch eine andere, anfangs unpopuläre Maßnahme für mehr Sicherheit: E-Scooter sind tagsüber 20 Stundenkilometer schnell, nachts aber auf 15 gedrosselt. Und in Nächten zwischen Freitag und Sonntag darf man sie erst gar nicht ausborgen; zu viele Betrunkene waren damit unterwegs.

Und auch wenn es nicht sanktioniert wird, schreibt der Gesetzgeber eigentlich eine Helmpflicht vor – und das für alle Zweiräder. In Österreich debattiert man derzeit erst, ob die mal für E-Bikes gelten soll.

Kommentare