Geste der Solidarität für 100.000 Juden

Nirgendwo sonst in Europa wird derzeit Judenhass so offen zur Schau gestellt wie in Ungarn. Studien des Soziologen Andras Kovacs belegen die starke Zunahme antisemitischer Vorurteile in den vergangenen 20 Jahren. Im Donauland leben ungefähr 100.000 Ungarn jüdischen Glaubens, mehr als 10.000 davon sind Holocaust-Überlebende. Um ihnen den Rücken zu stärken, verlegte der Jüdische Weltkongress (WJC) seine dreitägige Vollversammlung, die Sonntagabend begann, von Jerusalem nach Budapest. Mehr als eine halbe Million ungarischer Juden waren im Holocaust ermordet worden.
Erstmals tagt der WJC, der vor mehr als 75 Jahren gegründet wurde, damit in einem osteuropäischen Land – eine Mahnung an die Regierung des rechtskonservativen Premiers Viktor Orban. „Ich halte Orban nicht für einen Antisemiten“, sagte WJC-Präsident Ronald S. Lauder gegenüber dem Berliner Tagesspiegel. Aber es gebe in Orbans Partei „genügend Judenfeinde, die offen hetzen, ohne dass ihnen Grenzen aufgezeigt werden“.
Kritiker werfen Orban vor, Antisemitismus nicht entschieden zu bekämpfen, antisemitische Geisteshaltungen seien wieder salonfähig geworden. Die rechtsextreme Jobbik (Die Besseren), die 2010 mit 17 Prozent drittstärkste Partei in Ungarn wurde, gibt dabei den Takt vor. Führende Politiker von Orbans Fidesz-Partei, Fidesz-geführte Gemeinden, Ministerien und Publizisten aus Orbans Umfeld ziehen aber bei fragwürdigen Denkmal-Errichtungen, staatlich finanzierten Neu-Editionen, Ehrungen und Lehrplan-Veränderungen bereitwillig mit.
Orban selbst, der die Eröffnungsrede bei der WJC-Tagung halten durfte, wies gegenüber der israelischen Zeitung Yedioth Ahronoth den Vorwurf zurück, Ungarn sei das „antisemitischste Land“ der EU. „Wir sind eindeutig keine Antisemiten.“ Jobbik-Abgeordnete sagten manchmal „inakzeptable Dinge“. Die von Jobbik ausgehende Gefahr bezeichnete Orban als „real und steigend“. Die Gründe dafür seien in der Wirtschaftsrezession zu suchen. Eine mögliche spätere Zusammenarbeit mit Jobbik schloss Orban aus.
Am Samstag waren ein paar Hundert Jobbik-Anhänger samt Führung in Budapest aufmarschiert. Die Politiker wetterten gegen die „jüdischen Kolonisatoren“ und machten die Juden für die Verbrechen des Kommunismus verantwortlich machten. Parteichef Vona: „Wir Ungarn sind keine Antisemiten, wir sind nur etwas Besonderes in Europa, weil wir Israel nicht die Füße lecken.“
Im April hatte ein Jobbik-naher Biker-Verein geplant, unter dem zynischen Motto „Gib Gas!“ vor die Große Synagoge in Budapest zu fahren. Orban zog damals die Notbremse, die Veranstaltung wurde verboten.
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