Kaum einer vertraut der Demokratie noch
Einige Niederländer dürften überrascht gewesen sein, als sie vor zwei Wochen am Wahlzettel den Namen Frans Timmermans lasen. Der Chef der Sozialdemokraten war doch mit Schwarzgeld erwischt worden, die Polizei hatte ihn mit Handschellen abgeführt – oder nicht?
Nein, denn die Bilder, die ein paar Tage vor der Wahl im Netz kursierten, waren Deepfakes, generiert von einer KI. Sie sind laut Forschern neben der zunehmenden Polarisierung, grassierender Korruption und Verantwortungslosigkeit in der Politik einer der Hauptgründe, warum immer mehr Wähler im Westen den Glauben an die Demokratie verlieren: Laut einer neuen Erhebung des Instituts Ipsos, das Menschen aus neun westlichen Staaten befragt hat, ist das Misstrauen in die Demokratie auf einem Höchststand. Mehr als die Hälfte der Wähler in Großbritannien, Frankreich, den USA, Spanien, Italien, Schweden, Kroatien, den Niederlanden und Polen haben überhaupt kein Vertrauen mehr in die Politik.
Macrons Turbulenzen
Besonders skeptisch waren dabei die Franzosen: 60 Prozent der Menschen dort sind unzufrieden mit dem Zustand ihrer Demokratie, nur 19 Prozent finden den Status quo gut, das ist um zehn Prozent weniger als noch vor zwei Jahren. Erklärbar ist das mit der politischen Instabilität der vergangenen Monate, schreiben die Autoren: Präsident Macron hatte vor einem Jahr nach einer Schlappe bei der EU-Wahl Neuwahlen ausgerufen, seither hangelt sich das Land von einem scheiternden Premier zum nächsten. Derzeit ist mit Sébastien Lecornu Nummer vier im Amt – in eineinhalb Jahren.
In den Niederlanden ist die Lage ähnlich. Dort durfte die Partei von Rechtsaußen-Politiker Geert Wilders erstmals mitregieren, sprengte aber die Koalition im Frühsommer wegen eines Streits um Asylfragen. Danach schwand das Vertrauen in die eigene Demokratie zusehends: Der Anteil der Zufriedenen sank von 50 auf nur mehr 36 Prozent, bei den Wahlen wurde Wilders dafür auch abgestraft.
Tiefststand unter Trump
Auch in den USA und Großbritannien ist die Lage ähnlich. Unter Präsident Donald Trump erodierte das Vertrauen in die Politik geradezu, nur mehr 20 Prozent der Amerikaner halten ihr Land noch für die „größte Demokratie der Welt“, wie der Präsident gerne sagt. Auch bei den Briten ist es nur mehr ein Viertel; der Rest hat sich wegen der vielen Premierminister-Wechsel und der langen Liste an Skandalen abgewandt.
Bei den Briten sei der Hauptgrund – ähnlich wie in Frankreich und den Niederlanden – die Schwemme an Fake News, die die Menschen verunsichere, so die Studie. In den USA ist es hingegen das fehlende Verantwortungsbewusstsein der Politik und die grassierende Korruption, die den Glauben an die Demokratie untergraben – Trumps Vetternwirtschaft trägt da einen großen Teil dazu bei.
Was machen die Schweden anders?
Die einzig große Ausnahme in all dem ist Schweden. Dort sind die Verhältnisse geradezu verkehrt: Während etwa 86 Prozent der Franzosen, 80 Prozent der Spanier oder 75 Prozent der Briten glauben, dass die Lage in den kommenden fünf Jahren nochmals schlimmer werde, sind in Schweden nur 41 Prozent pessimistisch – und mehr als die Hälfte blickt optimistisch in die Zukunft. Auch mit der Lage jetzt ist ein großer Teil – 65 Prozent – glücklich; nur 15 Prozent sind mit den Zuständen in ihrem Land unzufrieden.
Woran das liegt, beschäftigt die Wissenschaft schon länger. Schweden schneidet bei fast allen Demokratie-Befragungen auffallend gut ab. Als einer der Gründe wird stets die Transparenz angeführt, mit der die Behörden agieren, ebenso wie flächendeckende Anti-Korruptionsmaßnahmen – und die Selbstverantwortung der Bürger, sprich das zivile Selbstbewusstsein.
Das spiegelt sich auch in der Ipsos-Umfrage. Schweden ist das einzige der neun Länder, in dem die Menschen mehrheitlich glauben, ihre Politiker hätten mehr Gutes als Schlechtes im Sinne; dazu ist die Überzeugung, dass man selbst etwas bewirken kann, so ausgeprägt wie sonst nirgendwo.
Überall anders sagt eine Mehrheit, das politische System sei „kaputt“ und diene nur den Reichen im Lande. Und überall – außer in Schweden – gibt es den Wunsch nach brachial Neuem: In Frankreich etwa wollen ganze 62 Prozent „radikale Änderungen“ im Land.
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