Erneut Raketenangriffe auf ukrainische Städte

Erneut Raketenangriffe auf ukrainische Städte
In der gesamten Ukraine galt am Donnerstag Luftalarm.

Mehrere Städte der Ukraine sind nach Behördenangaben erneut mit russischen Raketen beschossen worden. Im gesamten Land galt am Donnerstag Luftalarm.

In der zentralukrainischen Großstadt Dnipro seien zwei Infrastrukturobjekte getroffen worden, teilte die Gebietsverwaltung mit. 14 Menschen seien verletzt worden. Präsident Wolodymyr Selenskij verbreitete auf Telegram ein Augenzeugenvideo, das zeigen soll, wie eine Rakete im Straßenverkehr von Dnipro einschlägt. Regierungechef Denys Schmyhal sagte nach Medienberichten, der Angriff habe einem Betrieb der Gasförderung sowie dem Raketenbaukonzern Piwdenmasch gegolten.

Über der Hauptstadt Kiew waren Explosionen zu hören, die von Flugabwehrfeuer stammten. Vier russische Marschflugkörper seien im Anflug auf die Stadt abgeschossen worden, teilte die Stadtverwaltung nach Ende des Luftalarms mit.

Auch fünf Kampfdrohnen des iranischen Bautyps Schahed-136 seien abgefangen worden, einige von ihnen über dem dem Stausee nördlich der Hauptstadt.

In der Stadt Isjum im Osten wurde ein Objekt der lebensnotwendigen Infrastruktur getroffen, wie der Gebietsgouverneur von Charkiw, Oleh Synjehubow, mitteilte. Beschuss wurde auch aus der Hafenstadt Odessa am Schwarzen Meer gemeldet. Bei nächtlichem Beschuss auf die Stadt Wilnjansk im Gebiet Saporischschja wurden mindestens vier Menschen getötet.

Am Dienstag hatte Russland mit mehr als 90 Raketen und Marschflugkörpern ukrainische Infrastruktur beschossen. Es war der größte derartige Angriff in fast neun Monaten Krieg.

Cherson: Leichen mit Folterspuren entdeckt

Rund eine Woche nach dem Abzug der russischen Truppen aus der südukrainischen Region Cherson haben Ermittler nach Angaben der Regierung dort 63 Leichen mit Folterspuren entdeckt. Die Untersuchungen seien aber erst am Anfang, sagte der ukrainische Innenminister Denys Monastyrskyj am Donnerstag laut der heimischen Nachrichtenagentur Interfax Ukraine.

Die Strafverfolgungsbehörden hätten 436 Fälle von Kriegsverbrechen während der russischen Besatzung aufgedeckt. Elf Haftorte seien gefunden worden, darunter vier, in denen gefoltert worden sei. „Die Ermittler sind dabei, diese zu untersuchen und jeden Fall von Folter festzuhalten. Auch die Leichen der Getöteten werden exhumiert“, sagte Monastyrskyj. Ein Vertreter der Staatsanwaltschaft von Cherson sagte der New York Times, dass Zeugenaussagen zu 800 Verhaftungen durch russische Truppen in der Region gesammelt worden seien.

Die häufigsten Misshandlungen seien Elektroschocks, Schläge mit Plastik- oder Gummiknüppeln und das Abklemmen des Atemschlauchs einer Gasmaske, die Gefangenen über den Kopf gezogen worden sei. Die Ukraine und internationale Ermittler werfen Russland Kriegsverbrechen in besetzten Gebieten vor. Russland bestreitet, dass seine Truppen Zivilisten ins Visier nehmen und Gräueltaten begangen haben. In anderen Gebieten, die zuvor von russischen Truppen besetzt waren, wurden Massengräber gefunden, darunter auch einige mit Leichen von Zivilisten, die Anzeichen von Folter aufwiesen.

Der ranghöchste US-General, Mark Milley, warnt vor überzogenen Hoffnungen auf einen kurzfristigen militärischen Sieg der Ukraine. Russland verfüge trotz der Rückschläge noch über eine bedeutende Kampfkraft in der Ukraine, sagte der Vorsitzende der Joint Chiefs of Staff am Mittwoch bei einer Pressekonferenz.

"Die Wahrscheinlichkeit eines ukrainischen militärischen Sieges - definiert als der Rauswurf der Russen aus der gesamten Ukraine, einschließlich der von ihnen beanspruchten Krim - ist militärisch gesehen nicht sehr hoch." Es könne aber eine politische Lösung geben. "Das ist möglich", sagte Milley. Russland liege "im Moment auf dem Rücken".

Ukraine verlängert Kriegsrecht

In der Ukraine wurden unterdessen das Kriegsrecht und die Mobilmachung der Armee vom Parlament um weitere 90 Tage verlängert. Damit gelten die beiden Maßnahmen vorerst bis zum 19. Februar 2023, berichteten örtliche Medien.

Die Dauer des Kriegszustands sehen viele Experten als einen Indikator dafür, für wie lange sich Kiew derzeit mindestens noch auf Kämpfe einstellt.

Raketeneinschlag in Polen

Nach dem Raketeneinschlag in Polen hat die NATO Entwarnung gegeben: Es gebe keine Hinweise auf einen russischen Angriff, erklärte Bündnis-Generalsekretär Jens Stoltenberg. Der Vorfall sei "wahrscheinlich durch eine ukrainische Flugabwehrrakete verursacht" worden, es gebe "keinen Hinweis auf einen vorsätzlichen Angriff" auf Polen.

Dennoch gaben die NATO und westliche Regierungen Russland wegen seines Angriffskriegs eine Mitverantwortung für den Vorfall.

"Unglücklicher Unfall"

"Absolut nichts deutet darauf hin, dass dies ein absichtlicher Angriff auf Polen war", sagte auch der polnische Präsident Andrzej Duda in Warschau. Sein Land gehe von einem "unglücklichen Unfall" mit einem ukrainischen Querschläger aus.

Die Rakete war am Dienstag in der südostpolnischen Ortschaft Przewodow unweit der ukrainischen Grenze eingeschlagen und hatte zwei Menschen getötet.

A damaged vehicle lies next to a crater formed at the site of an explosion in Przewodow

Nach dem Raketeneinschlag hat der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskij angezweifelt, dass es sich um ein Geschoss seiner Streitkräfte gehandelt haben soll. „Ich denke, dass es eine russische Rakete war - gemäß dem Vertrauen, das ich zu den Berichten der Militärs habe“, sagte Selenskij am Mittwoch.

Den ukrainischen Daten zufolge passe von insgesamt 25 russischen Raketenschlägen auf die Westukraine eine zeitlich mit dem Einschlag in Polen zusammen.

Selenskij forderte die Einbeziehung ukrainischer Spezialisten bei den Untersuchungen zur Aufklärung des Vorfalls. „Alle unsere Informationen stehen zur vollen Verfügung. Wir haben sie an unsere Partner gegeben seit der Nacht, seit den ersten Stunden, als die Welt begann herauszufinden, was passiert ist“, sagte Selenskij in seiner täglichen Videoansprache. Zugleich bräuchten ukrainische Experten Zugang zu den Informationen, die vor Ort gesammelt worden seien.

Kein Vorstoß für Friedensgespräche

Selenskij zufolge hat Russland keinen Vorstoß zu Friedensgesprächen mit seiner Regierung unternommen. "Sie kommunizieren nicht mit uns", sagte er am Mittwoch vor Reportern.

Bei einem virtuellen Treffen der Ukraine-Kontaktgruppe haben unterdessen viele Staaten dem von Russland angegriffenen Land weitere Unterstützung zugesichert. Bei den Gesprächen ging es nach US-Angaben um Bemühungen zur Verstärkung der Raketenabwehr, den Schutz der ukrainischen Energie-Infrastruktur und die Ausbildung ukrainischer Streitkräfte. "All diese Initiativen tragen dazu bei, die Ukrainer darauf vorzubereiten, ihre Errungenschaften während des Winters zu festigen und im Frühjahr neue Initiativen zu ergreifen", sagte US-Verteidigungsminister Lloyd Austin am Mittwoch in Washington. Über die Ukraine-Kontaktgruppe werden Waffenlieferungen an die Ukraine koordiniert.

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