"Welle um Welle": Russische Einheiten stürmen Bachmut

"Welle um Welle": Russische Einheiten stürmen Bachmut
Die schon länger hart umkämpfte Stadt soll bereits von drei Seiten von russischen Kämpfern eingekesselt worden sein.

Russische Truppen haben am Donnerstag nach Berichten des ukrainischen Generalstabs zum Sturm auf die ostukrainische Stadt Bachmut angesetzt. Die Stadt ist bereits von drei Seiten gekesselt, die einzige Versorgungsroute Richtung Westen stehe unter russischem Beschuss, hieß es.

Der Generalstab des ukrainischen Militärs meldete in seinem täglichen Lagebericht am Donnerstag, die ukrainischen Streitkräfte hätten Angriffe auf Bachmut und andere Siedlungen in der Region Donezk abgewehrt, fügte jedoch auch hinzu, dass russische Einheiten vorrücken und die Stadt Bachmut "stürmen" würden.

Wagner-Söldner im Zentrum

Die russische Söldner-Gruppe Wagner ist nach Angaben ihres Gründers, Jewgeni Prigoschin, fast bis ins Zentrum der Stadt vorgedrungen. Prigoschins Umfeld veröffentlichte auf dem Messenger-Dienst Telegram ein Video, das Wagner-Söldner "praktisch im Stadtzentrum" von Bachmut zeigen soll. Die Aufnahmen seien von Donnerstagmorgen, erklärt Prigoschin. In dem Video sind uniformierte Männer zu sehen, die eine Wagner-Fahne auf einem halbzerstörten mehrstöckigen Gebäude hissen.

Zunächst war es nicht möglich, unabhängig den Ort der Aufnahme zu überprüfen. Auf einer Live-Karte des US-amerikanischen Thinktanks Institute for the Study of War (ISW), das sich auf verschiedene offen zugängliche Quellen stützt, ist im Süden der Stadt ein keilförmiger russischer Vorstoß bis zum Fluss Bachmutska dargestellt.

Welle um Welle

Russland schicke "Welle um Welle" an Kämpfern in die Stadt, beschrieb der ukrainische Militäranalyst Oleh Schdanow in einem Video auf Youtube die Vorgänge und fügte hinzu, die Lage sei "kritisch".

"Der Feind versucht, die Versorgungsrouten für unsere Streitkräfte in Bachmut zu durchtrennen und alle Bewegungen darauf zu stoppen", so Schdanow. Mit seinen unaufhörlichen Angriffen versuche Russland, die ukrainischen Truppen vom Ostufer des Bachmutska-Flusses zu vertreiben, der die Stadt von Süden nach Norden durchfließt.

Kolossaler Druck

Schdanow Einschätzung zufolge könnten die russischen Streitkräfte die Stadt nicht in blutigen Straßenschlachten oder Frontalangriffen einnehmen, sondern nur durch eine vollständige Einkreisung. Davon seien die russischen Einheiten nach monatelangen Kämpfen mittlerweile nicht mehr weit entfernt. "Sie üben einen kolossalen Druck aus, mit einer Angriffswelle nach der anderen." Lastwagen um Lastwagen bringe neue Soldaten an die Front und holen die Verwundeten zurück. "Dieser Prozess ist konstant - wie ein Fließband - rund um die Uhr", so Schdanow.

Für Russland wäre die Eroberung von Bachmut ein wichtiger Schritt zur Eroberung der vollständigen Kontrolle des Donbass, eines der Hauptziele seiner Invasion vor einem Jahr am 24. Februar, und der erste größere Erfolg seit rund einem halben Jahr.

Nicht um jeden Preis halten

Der Kampf um Bachmut begann vor etwa sieben Monaten, aber in den letzten Wochen haben russische Vorstöße von drei Seiten den Verteidigern nur noch einen einzigen Ausweg nach Westen gelassen. Tausende Zivilisten befinden sich noch in der zerstörten Stadt, die vor dem Krieg etwa 70.000 Einwohner hatte.

Nicht jeder in der Ukraine ist davon überzeugt, dass die Verteidigung der Stadt auf unbestimmte Zeit fortgesetzt werden kann. "Ich glaube, dass wir Bachmut früher oder später wahrscheinlich verlassen müssen. Es hat keinen Sinn, es um jeden Preis zu halten", sagte der ukrainische Parlamentsabgeordnete Sergej Rachmanin am späten Mittwoch im ukrainischen NV-Radio.

"Aber im Moment wird Bachmut mit mehreren Zielen verteidigt - erstens, um Russland so viele Verluste wie möglich zuzufügen und es dazu zu bringen, seine Munition und Ressourcen aufzubrauchen", fügte er hinzu und betonte, dass keine Verteidigungslinie zusammenbrechen dürfe.

Saporischschja: Russische Rakete trifft Wohnhaus

Bei einem russischen Raketenangriff auf die Großstadt Saporischschja im Süden der Ukraine sind nach Polizeiangaben mindestens vier Menschen ums Leben gekommen. Mindestens sechs Menschen seien bei dem Raketeneinschlag in der Nacht auf Donnerstag in einem fünfstöckigen Gebäude verletzt worden.

Elf Menschen konnten demnach lebend aus den Trümmern geborgen werden, darunter eine Schwangere. Unterdessen rückten russische Einheiten weiter auf die Stadt Bachmut vor.

Die Such- und Bergungsarbeiten dauerten nach Angaben der Behörden am Vormittag noch an. Befürchtet wird, dass sich in dem eingestürzten Gebäude weitere Opfer befinden könnten. Saporischschja liegt weniger als 50 Kilometer von der Front entfernt. In den vergangenen Monaten wurde die Stadt von russischen Truppen mehrfach mit Artillerie und Raketen beschossen. Im September hatte Russland die Region Saporischschja für annektiert erklärt, obwohl russische Streitkräfte die Gebietshauptstadt selbst nie kontrolliert haben.

Mitte Jänner hatte eine russische Rakete ein Wohnhaus in der Millionenstadt Dnipro getroffen. Dabei wurden mehr als 40 Menschen getötet. Der russische Angriffskrieg gegen das Nachbarland dauert bereits seit mehr als einem Jahr.

Nach Angaben des ukrainischen Generalstabs rückte das russische Militär am Donnerstag weiter auf die Stadt Bachmut vor und "stürme die Stadt". Die ukrainische Armee wehre die Angriffe in Bachmut und an anderen Orten in der Region Donezk, die unter Beschuss gerieten, ab.

Selenskij: Lage an der Front im Griff

Die Streitkräfte der Ukraine haben die Lage an den Fronten des Landes nach Einschätzung von Präsident Wolodymyr Selenskij im Griff. Dennoch berichten die Militärs von fortgesetzten russischen Angriffen im Osten des Landes - mit Schwerpunkt Bachmut.

„Wir haben jedes Gebiet an der Front unter Kontrolle“, sagte Selenskij am Mittwoch in seiner allabendlichen Videoansprache. Allerdings müssten die Menschen im Hinterland der Fronten weiterhin unter den russischen Angriffen leiden. „Bewusster Terror“, sagte Selenskij zu den russischen Artillerieangriffen auf Städte und Dörfer hinter den Fronten im Süden und Osten der Ukraine.

„Im größten Teil unseres Landes, wo es uns gelungen ist, für relative Sicherheit zu sorgen, können sie (die Bewohner) vielleicht nicht nachempfinden, wie das Leben der Menschen ist, die in den Grenzgebieten zu Russland und im Süden unseres Landes leben“, sagte Selenskij.

Dort seien die Menschen zwar nicht an der Front, aber dennoch direkt im Krieg. „Dort, wo Russland ständig versucht, alles zu zerstören, was die Menschen haben, ständig - und das ist keine Übertreibung."

Eine Serie russischer Artillerie- und Luftangriffe wurde auch aus der Umgebung der ostukrainischen Großstadt Charkiw gemeldet. Bei Raketenangriffen habe es auch zivile Opfer gegeben, hieß es. Nähere Angaben wurden nicht gemacht. Die ukrainische Flugabwehr habe in der Region zwei sogenannte Kamikaze-Drohnen aus iranischer Produktion abgeschossen.

Russische Angriffe wurden auch aus Krementschuk südöstlich von Kiew gemeldet. Der Gouverneur des Gebietes Poltawa, Dmytro Luni, berichtete, dass bei Krementschuk „Objekte der zivilen und kritischen Infrastruktur“ getroffen worden seien. Weitere Angaben zu möglichen Opfern oder Schäden machte er vorerst nicht.

Berichte über Explosionen auf der Krim

Auf der russisch besetzten Krim wurden am Mittwochabend mehrere Explosionen registriert. In Jalta, Bachtschyssaraj und Gursuf im Süden der Halbinsel seien die Detonationen gehört worden, berichteten soziale Medien. Offizielle Stellungnahmen dazu lagen nicht vor.

EU könnte Anreize für Munitionslieferungen an Ukraine erhöhen

Länder wie Deutschland könnten künftig deutlich mehr EU-Geld bekommen, wenn sie schnell dringend benötige Munition in die Ukraine liefern. In einem am Mittwoch bekannt gewordenen Diskussionspapier schlägt die EU-Kommission vor, den Mitgliedstaaten im Fall von zügigen Lieferungen bis zu 90 Prozent der Kosten aus EU-Mitteln zu erstatten. Bislang lag die Rückerstattungsquote bei entsprechenden Anträgen in der Regel bei deutlich niedrigeren Werten.

Die Staaten seien angehalten, insbesondere rasch Artilleriemunition des Kalibers 155 Millimeter zur Verfügung zu stellen, heißt es in dem Papier, das der Deutschen Presse-Agentur vorliegt und über das zunächst der „Spiegel“ berichtete. Der Transfer müsse aus bestehenden Beständen oder für die Lieferung anstehenden Aufträgen erfolgen.
Der EU-Außenbeauftragte Josep Borrell hatte die Verteidigungsminister der EU-Staaten bereits in der vergangenen Woche zu einer Ausweitung der Munitionslieferungen aufgerufen. Hintergrund waren Sorgen, dass der Ukraine bald dringend benötigte Munitionstypen fehlen könnten.

Russland verschießt 20.000-60.000 Schuss pro Tag

Russland verschießt nach den Angaben eines Hintergrundpapiers aus Estland durchschnittlich 20.000 bis 60.000 Schuss Artilleriemunition pro Tag, die Ukraine hingegen nur 2.000 bis 7.000 Schuss pro Tag.

Das bringt der Donnerstag

Gut ein Jahr nach dem russischen Einmarsch in die Ukraine wollen die Außenminister der G20-Gruppe führender Wirtschaftsmächte an diesem Donnerstag in Neu Delhi über die Zukunft internationaler Konfliktlösung beraten. 

Mit Spannung wird erwartet, ob der russische Außenminister Sergej Lawrow bei dem Treffen in Neu Delhi wie bei dem jüngsten G20-Außenministertreffen auf der indonesischen Ferieninsel Bali für einen Eklat sorgen wird. Damals verließ er den Saal nach seiner Rede und hörte sich die Wortmeldungen seiner Kritiker nicht mehr an.

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