Neue Luftangriffe auf Kiew + Sjewjerodonezk weiter umkämpft
Die ukrainische Hauptstadt Kiew ist Sonntagfrüh erneut aus der Luft angegriffen worden - es waren Sirenen des Luftalarms und Explosionen zu hören. Nach offiziellen Angaben schoss die ukrainische Luftabwehr russische Raketen über der Stadt jedoch ab. "Im Stadtbezirk Wyschhorod waren heute Morgen Explosionen zu hören. Die Luftabwehr hat feindliche Flugziele beschossen", teilte der Militärgouverneur des Gebiets Kiew, Olexij Kuleba, am Sonntag auf seinem Telegram-Kanal mit.
Seinen Angaben zufolge gab es keine Schäden und Verletzten in der Stadt. Er bat die Kiewer allerdings darum, weiterhin nach dem Luftalarm die Schutzkeller aufzusuchen. In verschiedenen sozialen Netzwerken tauchten später Fotos auf, die Spuren einer Rakete am Himmel über dem Gebiet Kiew zeigen sollen.
Neue Bewegungen um Charkiw
Zudem versuchen russische Truppen nach Angaben des ukrainischen Innenministeriums, auf Charkiw vorzurücken und die Stadt erneut zu bombardieren. Die Lage nördlich von Charkiw sei ziemlich schwierig, sagte Wadym Denysenko, ein Berater des Ministeriums, im ukrainischen Fernsehen. "Russland versucht, Charkiw zu einer Stadt an vorderster Front zu machen." Charkiw liegt im Nordosten und ist nach Kiew die zweitgrößte Stadt des Landes.
Sjewjerodonezk weiter umkämpft
Die umkämpfte Industriestadt Sjewjerodonezk im Osten der Ukraine liegt unterdessen weiter unter schwerem russischem Artillerie- und Raketenbeschuss. Die Gebiete um die Brücken seien erneut getroffen worden, teilte der Gouverneur der Region Luhansk, Serhij Hajdaj, in einem Online-Post mit. Das Asot-Chemiewerk, in dem Hunderte Menschen ausharren, sei zweimal getroffen worden: "Die Situation in Sjewjerodonezk ist sehr schwierig."
Die ukrainischen Truppen würden allerdings weiterhin Widerstand leisten, hieß es am Sonntag. "Der Kampf um die vollständige Kontrolle über die Stadt geht weiter", erklärte der Generalstab der ukrainischen Streitkräfte in seinem täglichen Bericht. Das Militär räumte aber ein, dass "der Feind im Dorf Metolkine", südöstlich von Sjewjerodonezk, teilweise erfolgreich gewesen sei.
Russische Geländegewinne bei Sjewjerodonezk
Die russische Armee hat Geländegewinne erzielt, die einstige Großstadt selbst aber weiterhin nicht einnehmen können. "Durch den Beschuss und Sturm hat der Feind in Metjolkine einen Teilerfolg erzielt und versucht sich dort festzusetzen", teilte der ukrainische Generalstab in seinem Lagebericht am Samstagabend mit. Metjolkine liegt südöstlich von Sjewjerodonezk.
Der Feind versuche, volle Kontrolle über die Autobahn zwischen Lysytschansk und Bachmut zu erlangen, sagte der Gouverneur von Luhansk, Serhij Hajdaj. Die russischen Truppen hätten damit aber keinen Erfolg und würden "in massiven Zahlen sterben". Die Lage in Sjewjerodonezk sei nicht mit jener in Mariupol zu vergleichen, weil die Stadt immer noch "mit allem was nötig ist" beliefert werden könne. Wie Hajdaj nach Angaben der Nachrichtenagentur Ukrinform weiter sagte, würden es die dort verschanzten Zivilisten ablehnen, das Chemiewerk Asot zu verlassen.
Sjewjerodonezk liegt in der Region Luhansk, die gemeinsam mit der Region Donezk den Donbass bildet. Dort konzentrieren die russischen Streitkräfte aktuell ihre Offensive. Ist sie erobert, haben die russischen Truppen die gesamte Region unter ihrer Kontrolle.
Russische Streitkräfte zurückgeschlagen
Ukrainische Streitkräfte haben laut einer Mitteilung des ukrainischen Generalstabs russische Truppen in der Nähe der Stadt Krasnopillja zurückgeschlagen. Die russischen Soldaten hätten sich auf einer Aufklärungsmission befunden. Sie hätten schwere Verluste erlitten. Ukrainische Behörden meldeten zudem, dass in der Nacht auf Sonntag Orte weiter westlich in den Regionen Poltawa und Dnipropetrowsk beschossen worden seien.
Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskij berichtete am frühen Sonntagmorgen über seinen Besuch bei ukrainischen Streitkräften im Süden des Landes vom Vortag. In dem Video, das anscheinend in einem fahrenden Zug aufgenommen wurde, sagte Selenskij, er habe mit Soldaten, der Polizei und der Nationalgarde in der Region Mykolajiw, rund 550 Kilometer südlich von Kiew gesprochen. "Sie alle zweifeln nicht an unserem Sieg", sagte Selenskij. "Wir werden den Süden niemandem überlassen, und alles, was uns gehört, werden wir uns zurückholen."
Gaswerk getroffen, Öltanks zerstört
Im Bezirk Isjum wurde nach ukrainischen Angaben ein Gaswerk von russischen Raketen getroffen. Ein großes Feuer sei ausgebrochen und Rettungsteams seien im Einsatz, schrieb der Gouverneur der Region Charkiw, Oleh Synjehubow. Außer der Fabrik seien auch Wohnhäuser getroffen worden. Angaben zu Opfern wurden in diesem Fall nicht gemacht. Im ostukrainischen Nowomoskowsk soll zudem ein Treibstoffdepot getroffen worden sein.
In der Stadt Krywji Rih im Zentrum der Ukraine schlugen nach Angaben der lokalen Behörden Raketen ein. Es gebe mindestens zwei Opfer, teilen die Behörden auf dem Kurznachrichtendienst Telegram mit. Es sei ein Bezirk im Süden der Stadt getroffen worden. Krywji Rih liegt in der Region Dnipropetrowsk. Umgekehrt berichteten die Separatisten in Donezk, dass durch Artilleriebeschuss der Stadt Zivilisten getötet und verletzt worden seien.
Nahe der zentralukrainischen Stadt Dnipro zerstörten russische Truppen am Samstag mit einem Raketenangriff Öltanks. Die regionale Verwaltung berichtete von drei Raketen, die das Depot im Kreis Nowomokowsk trafen. "Es gibt ein starkes Feuer", schrieb der Gouverneur des Gebiets Dnipropetrowsk, Walentyn Resnitschenko, auf Telegram. Ein Mensch sei getötet und zwei Menschen verletzt worden, teilte der Leiter der Regionalverwaltung, Valentyn Resnitschenko, mit. Bereits am Samstag hätten drei russische Raketen das Lager getroffen. Auch 14 Stunden nach dem Treffer versuchten Feuerwehrleute noch immer, den Brand zu löschen. Beim Angriff selbst wurden Resnitschenko zufolge am Samstag elf Menschen verletzt.
Kiew will Ende August verhandeln
Die Ukraine stellt sich auf einen länger andauernden Abwehrkrieg gegen Russland ein. Erst Ende August, nach Gegenangriffen, will der ukrainische Chefunterhändler David Arachamija die Friedensverhandlungen mit Moskau wieder aufnehmen, wie er in einem am Samstag erschienenen Interview mit dem Sender Voice of America sagte. Dann werde sein Land eine bessere Verhandlungsposition haben.
Russisches Schiff versenkt
Russland verlor durch Angriffe des ukrainischen Militärs erneut ein Schiff seiner Schwarzmeerflotte. Der Schlepper "Wassili Bech" sei von ukrainischen Raketen beschädigt worden. "Später wurde bekannt, dass er gesunken ist", sagte der Militärgouverneur von Odessa, Maxym Martschenko, in einer Videoansprache auf seinem Telegram-Kanal. Eine Bestätigung von russischer oder unabhängiger Seite gibt es nicht. Den ukrainischen Angaben nach wurde das Schiff, das erst 2017 in Dienst gestellt und mit einem Luftabwehrsystem des Typs "Tor" ausgestattet worden war, von Harpoon-Raketen getroffen. Die Schiffsabwehrraketen hatte Dänemark an die Ukraine geliefert.
Die ukrainische Armee erlitt nach Angaben eines ranghohen Generals seit Beginn des russischen Angriffskriegs hohe materielle Verluste. "Bis heute haben wir infolge aktiver Gefechte schätzungsweise 30 bis 40, manchmal bis zu 50 Prozent Verluste bei der Ausrüstung", sagte der Brigadegeneral Wolodymyr Karpenko dem US-Magazin National Defense. "Schätzungsweise 1.300 Infanterie-Kampffahrzeuge, 400 Panzer und 700 Artilleriesysteme wurden verloren."
Die Ukraine verteidigt sich mittlerweile seit fast vier Monaten gegen den von Russland begonnen Angriffskrieg. Die Vereinten Nationen haben bisher mehr als 4.400 getötete Zivilisten erfasst, gehen aber - wie auch Kiew - von weitaus höheren zivilen Opferzahlen aus.
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