Selenskij: "Sind bereit, das Letzte zu geben"

Selenskij: "Sind bereit, das Letzte zu geben"
Die Ukraine wird immer wieder aufs Neue von russischen Raketenangriffen erschüttert. Zudem gibt es schwere Kämpfe im Osten des Landes.

Rund neun Monate nach dem Beginn der russischen Invasion in der Ukraine hat der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskij den Widerstandswillen seines Volkes gewürdigt. „Wir sind bereit, das Letzte zu geben. Bereit, bis zum Schluss zu kämpfen“, sagte Selenskij am Montag in einer Videobotschaft anlässlich des sogenannten „Tages der Würde und Freiheit“.

Die Ukraine habe einen sehr hohen Preis für die Freiheit gezahlt und werde ihn auch weiterhin zahlen, sagte der Staatschef mit Blick auf die Tausenden Kriegsopfer. Jeder habe gesehen, wozu die Ukrainer fähig seien und welche Verteidiger sie hätten, sagte Selenskij. „Wie wir einer der größten Armeen der Welt widerstehen und eine der besten Armeen der Welt werden können.“

Hartgesottenen Kämpfern hätten sich Musiker, Schauspieler, Olympiasieger, IT-Spezialisten, Wissenschaftler und Geschäftsleute angeschlossen. Hunderttausende Ukrainer seien nicht in Flugzeuge gestiegen, sondern hätten in der Schlange vor Einberufungsbüros gestanden, um die Ukraine zu verteidigen.

Mut der Zivilisten gelobt

Selenskij lobte auch den Mut von Zivilisten, die feindliche Panzer und gepanzerte Mannschaftswagen „mit bloßen Händen“ gestoppt hätten und trotz Schüssen und Blendgranaten zu Kundgebungen gegen die russischen Besatzer gegangen seien. Ärzte operierten trotz Bombenangriffen, Felder würden „unter Bomben und Kugeln“ bestellt.

Mit dem „Tag der Würde und Freiheit“ erinnert die Ukraine an den Beginn der blutigen Euromaidan-Proteste 2013/14. Auslöser war damals der Beschluss des russlandfreundlichen Präsidenten Viktor Janukowitsch, ein Assoziierungsabkommen mit der EU nicht zu unterzeichnen.

Seit Kriegsbeginn im Februar hat Russland die Ukraine nach deren Angaben mit knapp 4.700 Raketen beschossen und große Teile des Landes in Trümmer gelegt. „Hunderte unserer Städte sind praktisch niedergebrannt, tausende Menschen wurden getötet, Hunderttausende wurden nach Russland deportiert“, sagte Präsident Wolodymyr Selenskij am Sonntag. Sowohl der Staatschef als auch der Generalstab in Kiew berichteten zudem, dass es weiterhin schwere Kämpfe vor allem im Donbass-Gebiet im Osten des Landes gebe.

Allein am vergangenen Dienstag habe Russland knapp 100 Raketen auf die Ukraine abgefeuert. „Hundert verschiedene Raketen gegen unsere Städte, gegen Wohngebäude, gegen Unternehmen, gegen Kraftwerke“, so Selenskij in einer Videobotschaft an die internationale Organisation der Frankophonie - ein Zusammenschluss französischsprachiger Staaten, deren Vertreter sich im tunesischen Djerba trafen. Als Folge dieser Angriffe seien über 20 Millionen Menschen zeitweise ohne Stromversorgung gewesen.

„Millionen Menschen haben die Ukraine verlassen, um in anderen Ländern Schutz vor dem Krieg zu suchen“, sagte Selenskij. Er bat die Mitgliedsstaaten der Frankophonie um Hilfe. „Die Ukraine will wirklich Frieden. Aber um den Frieden wiederherzustellen, brauchen wir Unterstützung.“ Eine Rückkehr zum Frieden sei möglich, „wenn jeder auf der Welt versteht, dass niemand auf der Welt einen einzigen Tag des Terrors verdient“.

Weiter erbitterte Gefechte im Donbass

Die erbitterten Gefechte im Donbass im Osten der Ukraine dauern nach den Worten Selenskijs weiter an. Vor allem das Gebiet um Donezk sei schwer umkämpft, sagte er am Sonntagabend in seiner täglichen Videoansprache.

"Obwohl es wegen der Verschlechterung des Wetters weniger Angriffe gibt, bleibt die Zahl der russischen Artillerieüberfälle leider hoch.“ Auch der Generalstab in Kiew hatte zuvor von fortgesetzten Zusammenstößen an verschiedenen Frontabschnitten im Osten des Landes berichtet. Bei Luhansk seien mehrere russische Vorstöße abgewehrt worden, hieß es. Die Angaben ließen sich nicht unabhängig überprüfen.

Das Verteidigungsministerium in Kiew widersprach unterdessen Spekulationen westlicher Medien und Militärvertreter, wonach im Winter an den Fronten eine Kampfpause eintreten könnte. „Wer über eine mögliche “Pause der Feindseligkeiten„ wegen der Minustemperaturen im Winter spricht, hat vermutlich noch nie im Januar ein Sonnenbad an der Südküste der Krim genommen“, erklärte die Behörde über Twitter.

Tausende Zivilisten getötet

Seit Beginn des russischen Angriffskriegs auf die Ukraine am 24. Februar wurden mehr als 8.300 Zivilisten getötet worden, darunter 437 Kinder. Das erklärte der ukrainische Generalstaatsanwalt Andrij Kostin laut einem Bericht des Internetportals "Unian" vom Sonntag. Mehr als 11.000 Menschen seien verletzt worden. Die tatsächliche Zahl der Opfer dürfte Kostin zufolge aber höher liegen, da ukrainische Behörden zu einigen von Russland besetzten Gebieten noch keinen Zugang hätten.

Die ukrainischen Behörden registrierten den Angaben zufolge mehr als 45.000 Kriegsverbrechen. 216 Personen seien als mutmaßliche Kriegsverbrecher gemeldet worden, darunter 17 russische Kriegsgefangene. Von 60 Personen angeklagten Personen seien bisher zwölf verurteilt worden.

Kiew: Russen bauen Stellungen aus und stehlen Fahrräder

Nach ihrem Rückzug auf das Ostufer des Flusses Dnipro bei Cherson in der Südukraine bauen russische Soldaten dort nach Angaben aus Kiew neue Abwehrstellungen aus.

Gleichzeitig seien sie etwa im Bezirk Kachowka vermehrt dazu übergegangen, Fortbewegungsmittel der Zivilbevölkerung zu stehlen, teilte der ukrainische Generalstab in Kiew am Sonntag mit. „Sie stehlen der Bevölkerung ihre Privatautos, Motorräder und sogar Fahrräder“, hieß es in der Mitteilung.

AKW Saporischschja soll untersucht werden

Ein Team der Internationalen Atomenergie-Agentur IAEA will am Montag das ukrainische Atomkraftwerk Saporischschja auf mögliche Schäden untersuchen und das Ausmaß der Explosionen vom Wochenende dokumentieren.

Das von russischen Truppen besetzte größte Atomkraftwerk Europas war am Samstag und Sonntag von Dutzenden Granateinschlägen erschüttert worden. Auch in den Monaten davor war das AKW mehrfach unter Beschuss geraten. Die Ukraine und Russland geben sich gegenseitig die Schuld dafür.

Kommentare