Türkei geht von Journalistenmord in saudischem Konsulat aus

Der Eingang zum saudi-arabischen Konsulat in Istanbul
Regimekritiker Khashoggi soll im Konsulat seines eigenen Landes in Istanbul grausam ermordet worden sein.

Eine Rückkehr nach Saudi-Arabien "wäre zu gefährlich, ich wurde mehrmals gewarnt", sagte Jamal Khashoggi in einem Interview mit dem KURIER im November 2017. Nach dem Verschwinden des saudi-arabischen Journalisten vor wenigen Tagen geht die türkische Polizei nun davon aus, dass der Regierungskritiker im Konsulat seines Landes in Istanbul ermordet wurde. Ersten Erkenntnissen zufolge sei dafür eigens ein saudiarabisches Kommando in die Türkei gereist, das noch am selben Tag wieder abgeflogen sei. Das erfuhr die Nachrichtenagentur AFP am Samstag aus türkischen Regierungskreisen. Saudi-Arabien wies die Vorwürfe umgehend zurück.

Der regierungskritische Journalist Khashoggi wird seit einem Besuch im saudi-arabischen Konsulat in Istanbul am Dienstag vermisst. Laut der türkischen Polizei hat Khashoggi das Konsulatsgebäude nicht wieder verlassen. Am Samstag erklärte die Polizei, am Tag seines Besuchs seien 15 Saudi-Araber an Bord von zwei Flugzeugen nach Istanbul geflogen und hätten das Land nach einem Besuch im Konsulat wieder verlassen.

Grausige Gerüchte

Ein hochrangiger türkischer Polizist erklärte dem Online-Magazin Middle East Eye, die Polizei glaube, dass Khashoggi beim Besuch des saudi-arabischen Konsulats am 2. Oktober "brutal gefoltert, getötet und in Stücke geschnitten" wurde. Die Tat sei auf Video aufgezeichnet worden, um zu beweisen, dass die Mission erfüllt wurde. Das Band sei dann außer Landes gebracht worden. Ein nicht näher genannter türkischer Offizieller sagte der Agentur Reuters, dass die türkische Polizei außerdem davon ausgehe, dass die sterblichen Überreste Khashoggis außerhalb des Konsulats gebracht wurden.

Ein Vertreter des Konsulats wies die "grundlosen Vorwürfe" gegenüber der saudi-arabischen Nachrichtenagentur SPA strikt zurück. Demnach hält sich ein Team von saudi-arabischen Ermittlern in der Türkei auf, um die türkischen Behörden zu unterstützen. Zuvor hatte Saudi-Arabiens Kronprinz Mohammed bin Salman der Nachrichtenagentur Bloomberg gesagt, seiner Kenntnis nach habe Khashoggi das Konsulat nach kurzer Zeit wieder verlassen.

Bin Salman lud die türkischen Behörden ein, das Konsulat zu durchsuchen. "Wir haben nichts zu verbergen", sagte er. Der mächtige Kronprinz hat in dem erzkonservativen Königreich weitreichende ökonomische und gesellschaftliche Reformen eingeleitet, zugleich aber die Repressionen gegen Kritiker verschärft. Khashoggi war daher im September 2017 aus Angst vor einer Festnahmen in die USA geflohen.

Papiere für Heirat abgeholt

Seine türkische Verlobte Hatice C. schrieb im Kurzmitteilungsdienst Twitter, sie glaube erst, dass Khashoggi tot sei, wenn sie eine Bestätigung der türkischen Behörden habe. Der 59-Jährige war am Dienstag in das Konsulat gegangen, um Papiere für die Heirat mit C. zu holen. Sie wartete währenddessen vor dem Gebäude, doch da ihr Verlobter nicht wieder herauskam, informierte sie die Medien.

"Er hatte einen Termin im Konsulat, daher wussten sie, wann er da sein würde", sagte Yasin Aktay, ein türkischer Vertrauter Khashoggis. Demnach vergewisserte sich Khashoggi vor seinem Besuch, ob die Papiere auch tatsächlich bereit seien. "Seine Freunde haben ihn gewarnt, dass es nicht sicher sei. Er sagte jedoch, in der Türkei könne ihm nichts passieren. Er vertraute darauf, dass so etwas in der Türkei unmöglich sei", sagte Aktay.

Kritische Beiträge im Westen

Khashoggi ist ein Veteran des Journalismus in Saudi-Arabien, doch eckte er wegen kritischer Artikel bei der Führung immer wieder an. Nachdem er vergangenes Jahr in die USA ins Exil gegangen war, schrieb er Meinungsbeiträge für die Washington Post und den britischen Guardian. In seinen Artikeln kritisierte er immer wieder die Politik von Kronprinz bin Salman und die saudi-arabische Militärintervention im Jemen.

Ebenfalls für Missfallen sorgte bei der Führung in Riad, dass Khashoggi die Muslimbruderschaft verteidigte. Die islamistische Bewegung wird von dem wahhabitischen Königreich als Bedrohung gesehen, von der Türkei dagegen unterstützt. Auch in anderen Konflikten stehen Ankara und Riad auf verschiedenen Seiten, doch trotz der Differenzen ist die Türkei um ein gutes Verhältnis zu Saudi-Arabien bemüht.

Im KURIER-Interview vom vergangenen November sagte  K über die zusehends verschärfte Situation in seinem Heimatland: "Das ging schleichend, man hat mir meine Kolumne in der saudischen Tageszeitung Al-Watan gestrichen, dann wurde mein Twitter-Account gesperrt. Es wurden in den vergangenen Monaten viele Kritiker eingesperrt, das geht weit über das hinaus, was wir derzeit in den Medien lesen. Die meisten kennt man im Westen nicht, aber es sitzen viele Geschäftsleute, Intellektuelle und Geistliche im Gefängnis. Wer die Politik des Kronprinzen Mohammed bin Salman kritisiert, lebt in Gefahr."

Hier das gesamte Interview:

Auf der Rangliste für Pressefreiheit der Organisation Reporter ohne Grenzen (RSF) lag Saudi-Arabien im vergangenen Jahr auf Platz 169 von 180 Ländern. RSF-Generalsekretär Christophe Deloire schrieb im Kurzmitteilungsdienst Twitter, sollte sich bestätigen, dass Khashoggi im saudi-arabischen Konsulat ermordet wurde, wäre dies "ein Verbrechen wie aus einer anderen Epoche" und ein "schrecklicher Angriff" auf die Pressefreiheit.

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