Timmermans Sieg lässt Europas Sozialdemokraten wieder hoffen
Noch sind es keine offiziellen Ergebnisse des gestrigen Wahltages in den Niederlanden, sondern nun Prognosen. Doch die sind bereits so aussagekräftig - dass sie Folgewirkung für die gesamten EU-Wahlen haben könnten:
Entgegen allen Erwartungen holte der Spitzenkandidat der Europäischen Sozialdemokraten, Frans Timmermans, die niederländischen Sozialdemokraten aus dem Tiefschlaf und bescherte ihnen einen fulminanten Wahlsieg. Demnach dürfte die Arbeitspartei (PvdA) rund 18 Prozent der niederländischen Stimmen erzielt haben. Die Volkspartei (VVD) des liberalen Premiers Mark Rutte holte 15 Prozent, die Christdemokraten 12, die Grünen 10 Prozent.
Zur völligen Niederlage geriet die EU-Wahl für den Rechtspopulisten Geert Wilders, dessen Freiheitspartei holte nur 4 Prozent und dürfte deshalb keinen Sitz im EU-Parlament mehr erobert haben. Das wäre auch ein Schlag für die geplante Rechts-Allianz von Italiens Lega-Chef Salvini: Wilders Partei war darin fix eingeplant.
Doch die niederländischen Rechtspopulisten haben nicht ihre Gesinnung, sondern nur die Partei gewechselt. In Scharen liefen sie zur neuen Zentralfigur der rechten Szene im Land über: Thierry Baudet und sein rechtspopulistisches "Forum der Demokratie" holten vom Stand weg 11 Prozent der Stimmen.
Die Sensation des Wahltages aber bleibt der Erfolg der niederländischen Sozialdemokraten. Sie galten bereits als politisches Auslaufmodell, nachdem sie bei den nationalen Wahlen 2017 nur noch auf knapp 6 Prozent der Stimmen gekommen waren.
Diese Trendwende geht auf den persönlichen Einsatz von Frans Timmermans zurück. Erst als sich der rhetorisch brillante Vize-Präsident der EU-Kommission in den verschlafenen Wahlkampf im Land einschaltete, befeuerte er das Geschehen. Schon vor seinem Abgang nach Brüssel war der 57-jährige der beliebteste Minister des damaligen Regierungsteams.
Zusätzlich hat offenbar viele Niederländer ein Gedanke angespornt: Erstmals hat mit Frans Timmermans ein Niederländer Chancen, Chef der EU-Kommission zu werden. Das dürfte den Sozialdemokraten auch einige zustätzliche Stimmen gebracht zu haben.
Im Sog des deutlichen Timmermans-Sieges hoffen nun auch die anderen sozialdemokratischen Parteien in der EU auf Auftrieb. Schwung hatte ja zuletzt auch die nationale Wahl in Spanien gegeben, wo Premier Sanchez gesiegt hatte.
Insgesamt stehen Euopas Sozialdemokraten nun deutlich besser da, als noch zu Beginn des Wahlkampfes zu erwarten war. Nach jüngsten Prognosen dürften sie 150 Sitze (von insgesamt 751 im EU-Parlament) erreichen. Die Europäische Volkspartei mit ihrem Spitzenkandidaten Manfred Weber käme demnach auf 170 Mandate. Timmermans strebt ein Bündnis gegen Weber an: zusammen mit den Grünen, den Linken und den Liberalen. Um EU-Kommissionspräsident zu werden, braucht ein Kandidat die Mehrheit der Stimmen im EU-Parlament.
Während sich die SPÖ bei den EU-Wahlen ungefähr bei ihrer jetzigen Stärke halten dürfte (5 Mandate), muss die deutsche SPD mit einem wahren Absturz rechnen. Sie liegt in den Umfragen derzeit nur bei 15 Prozent und damit hinter CDU/CSU und Grünen nur auf dem dritten Platz. Auch in Deutschland hoffen die Sozialdemokraten deshalb auf frischen Schub.
Keine Schlüsse aus den niederländischen Ergebnissen lassen sich aus dem Wahlverhalten der niederländischen Rechtspopulisten ziehen. Sie blieben im Land etwa gleich stark.
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