Athen droht, deutsches Eigentum zu pfänden

Eine Frau betritt ein Gebäude des Goethe-Instituts.
Streit um Reparationszahlungen an Griechenland geht weiter - Berlin weist Forderungen zurück.

Es ist ein bisschen ein Auge-um-Auge-Konflikt zwischen David und Goliath: Griechenland und Deutschland liegen erneut im Clinch um mögliche Reparationszahlungen, die sich aus der Nazi-Zeit ergeben. Athen droht nun mit der Beschlagnahme deutschen Eigentums. Justizminister Nikos Paraskevopoulos erklärte sich am Mittwoch bereit, die Pfändung deutscher Immobilien in Griechenland zu erlauben, sollte es zu keiner Einigung mit Berlin über die Reparationsforderungen kommen. Die endgültige Entscheidung werde jedoch die Regierung unter Premier Alexis Tsipras treffen, hieß es. Deutschland sieht die Frage dagegen als erledigt an.

Der höchste Griechische Gerichtshof hatte im Jahre 2000 geurteilt, Griechenland dürfe deutsches Eigentum für Entschädigungen der Hinterbliebenen des Massakers von Distomo pfänden. In dem mittelgriechischen Ort hatte die Wehrmacht im Jahre 1944 ein Massaker mit 218 Opfern verübt. Vor dem Urteil hatte ein Landgericht in der Provinzstadt Livadeia den Hinterbliebenen der Opfer 28 Millionen Euro Entschädigung zugesprochen. Eine Pfändung des traditionsreichen Goethe Instituts wurde damals vom Justizminister gestoppt. Er berief sich auf einen Artikel des griechischen Strafrechts, wonach der Justizminister die Umsetzung von Gerichtsentscheidungen aufhalten kann, die die Beziehungen zu anderen Staaten gefährden könnten.

Zurück auf dem Tapet

Das Thema Reparationen belastet die deutsch-griechischen Beziehungen seit Jahrzehnten. Am Dienstag hatte das griechische Parlament beschlossen, erneut Reparationsforderungen aus dem Zweiten Weltkrieg an Berlin zu prüfen. Dazu wurde ein Ausschuss aller Parteien einberufen. Die Debatte wurde vom Parlamentsfernsehen übertragen.

"Damit ehren wir alle Opfer des Zweiten Weltkrieges und des Nazismus (...) sowie des griechischen Widerstandes", sagte Tsipras. "Wir vergessen nicht, dass das deutsche Volk auch unter den Nazis gelitten hat", fügte der griechische Premier hinzu. Tsipras erinnerte daran, dass Deutschland nach dem Zweiten Weltkrieg "zurecht" mit einem Schuldenschnitt geholfen worden sei, wieder auf eigenen Beinen stehen zu können. Seitdem sperrten sich die deutschen Regierungen aber mit "juristischen Tricks", um nicht mit Athen über Reparationen zu reden, sagte er.

Der Oberste Griechische Gerichtshof prüft zurzeit, wie mögliche Reparationsforderungen an Deutschland erhoben werden können. Er stützt sich dabei auf eine erste griechische Studie, die seit Anfang März 2013 vorliegt und als streng geheim eingestuft wird. Die Athener Zeitung "To Vima" hat die Studie jedoch am vergangenen Sonntag veröffentlicht. Die Gesamtansprüche werden darin auf 269 bis 332 Milliarden Euro taxiert.

Zwangsanleihe

Eine Forderung, die darin enthalten ist und immer wieder auftritt, ist jene nach elf Milliarden Euro für eine Zwangsanleihe aus dem Zweiten Weltkrieg: Die Bank von Griechenland musste Deutschland 1942 den Zwangskredit über damals 476 Millionen Reichsmark gewähren, nach Kriegsende sollte er zurückgezahlt werden. 1953 verschob das Londoner Schuldenabkommen die Regelung deutscher Reparationen auf die Zeit nach Abschluss eines „förmlichen Friedensvertrages“. Athen bekam aber im Rahmen eines Vertrages von 1960 mit der Bundesrepublik 115 Millionen D-Mark Reparationen.

Das Londoner Moratorium wurde 1990 durch den „Zwei-plus-Vier-Vertrag“ gegenstandslos. Nach Auffassung Berlins ergibt sich daraus, dass die Reparationsfrage nach dem Willen der Vertragspartner nicht mehr geregelt werden sollte. Die damaligen KSZE-Staaten - darunter Griechenland - hätten dem zugestimmt. In Athen wird argumentiert, die Entschädigungsfrage sei noch ungeklärt, die Unterzeichner hätten den Vertrag nur „zur Kenntnis“ genommen. Doch verlangten griechische Politiker weiterhin Reparationen.

Heute gehen auch die Verhandlungen zur griechischen Schuldenkrise weiter - die Troika kommt in Brüssel wieder zum Einsatz. Die Gespräche waren seit dem Machtwechsel in Athen Ende Jänner unterbrochen gewesen. Deshalb fehlt den Europartnern derzeit ein präziser Überblick zur angespannten Finanzlage in dem Krisenland. Mehr dazu lesen Sie hier.

Griechische Politiker fordern immer wieder Geld von Deutschland wegen des Zweiten Weltkriegs. Dabei geht es um Entschädigungen für Kriegsverbrechen und -schäden sowie um die Tilgung von Ansprüchen aus einer Zwangsanleihe. Berlin hält alles für abgegolten.

ZWANGSANLEIHE: 1942 musste die Bank von Griechenland der Deutschen Reichsbank einen Kredit über damals 476 Millionen Reichsmark gewähren, nach Kriegsende sollte er zurückgezahlt werden.

RÜCKZAHLUNG: 1953 verschob das Londoner Schuldenabkommen die Regelung deutscher Reparationen auf die Zeit nach Abschluss eines "förmlichen Friedensvertrages". Das Londoner Moratorium wurde 1990 durch den "Zwei-plus-Vier-Vertrag" gegenstandslos. Die Staaten der Konferenz über Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (KSZE) - darunter Griechenland - stimmten 1990 der "Charta von Paris" für eine neue friedliche Ordnung in Europa zu.

ANSPRÜCHE: Nach Auffassung Berlins ergibt sich aus der Zustimmung zur "abschließenden Regelung in Bezug auf Deutschland" in der Charta, dass die Reparationsfrage nicht mehr geregelt werden sollte. In Athen wird dagegen argumentiert, die Entschädigungsfrage sei ungeklärt, denn die Unterzeichner hätten den Vertrag nur zur Kenntnis genommen.

ENTSCHÄDIGUNG FÜR KRIEGSVERBRECHEN: 2003 wies der deutsche Bundesgerichtshof (BGH) Forderungen wegen eines SS-Massakers in Distomo von 1944 ab. Ansprüche der Hinterbliebenen ließen sich weder aus dem Völkerrecht noch aus deutschem Amtshaftungsrecht ableiten. 2006 bestätigte das Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe diese Auffassung und nahm eine Klage von vier Griechen nicht zur Entscheidung an.

GRIECHISCHE RECHTSAUFFASSUNG: Ein griechisches Gericht sprach 1997 Nachkommen der Opfer knapp 29 Millionen Euro zu. Laut BGH verstößt das Urteil aber gegen den Völkerrechtsgrundsatz der Staatenimmunität. Danach darf ein Staat nicht über einen anderen zu Gericht sitzen. Diesen Grundsatz hatten 2002 der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte und - in einem ähnlichen Fall - das Oberste Sondergericht Griechenlands bestätigt. Damit habe das griechische Urteil in Deutschland keine Rechtskraft, befand der BGH.

GEZAHLT - GEFORDERT: Deutschland vereinbarte zur Wiedergutmachung für NS-Unrecht Ende der 1950er Jahre Entschädigungsabkommen mit zwölf Ländern. Athen bekam 1960 Reparationen in Höhe von 115 Millionen D-Mark. Bereits in diesem Vertrag ist laut deutscher Regierung festgehalten, dass die Wiedergutmachung abschließend geregelt sei. Doch verlangten griechische Politiker weiterhin Reparationen. 2014 wurde die Forderung nach Entschädigungen auch beim Athen-Besuch von Bundespräsident Joachim Gauck laut. Die deutsche Regierung wies die Ansprüche zurück. Athens Forderungen seien geregelt, heißt es bis heute.

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