Skandal in spanischen Altersheimen – die Folge der Sparpolitik

Ambulanzen vor einem Seniorenheim in Zentral-Spanien
Eine Analyse der WU-Soziologieprofessorin Ruth Simsa, die von 2014 bis 2019 in Spanien lebte und forschte.

Von Ruth Simsa

 

In den letzten Tagen haben militärische Helfer in spanischen Pflegeheimen Leichen entdeckt. Die Menschen waren unversorgt am Coronavirus gestorben, neben ihnen andere alte, noch lebende Menschen. Sie waren verlassen und alleine gelassen, ohne Ärzte oder Pfleger und auch ohne Angehörige, die sie derzeit nicht besuchen dürfen.

Die Regierung fand starke Worte, sie wolle mit aller Härte gegen das Personal vorgehen, das seine Pflicht nicht erfüllte. Selbst wenn Einzelne ihrer Verpflichtung tagsächlich nicht nachgekommen sind, treffen individuelle Schuldzuweisungen nur einen Teil des Problems.

Kaputt gespart

Das Problem liegt in der schwachen öffentlichen Gesundheits- und Sozialpolitik. Im letzten Jahrzehnt hat Spanien seine Staatsausgaben hier massiv reduziert, z.T. auf Druck der EU. Seit 2011 warnen viele Spanier vor den Folgen des Aushungerns des Wohlfahrtsstaates. Im Rahmen der Protestbewegung der Empörten gingen Tausende auf die Straße, um u.a. für eine bessere öffentliche Gesundheitsversorgung zu kämpfen.

Die neoliberale Sparpolitik hatte drastische Folgen für das Gesundheits- und Pflegesystem. Öffentliche Gelder wurden stark gekürzt, viele Einrichtungen wurden privatisiert.  Sie werden gewinnorientiert, etwa von Investmentfonds geführt, die mehr an Kapitalrenditen als an hohen Gesundheitsstandards orientiert sind. Daher herrschten auch vor der Krise schon Personalnot und Unterversorgung. Auf Termine für notwendige Untersuchungen musste man ohne private Versicherung lange warten, Pflegeheime waren systematisch überfüllt und es gab nicht genug Spitalsbetten.

In der Krise führt dies zu extremen Zuständen. Viele Angestellte sind selbst krank, ihre Hilferufe um Unterstützung waren bislang vergeblich. Aufgrund der Personalknappheit hat die Krise noch drastischere Folgen als in anderen Ländern. Von Investmentfonds geführte Heime oder Spitäler mögen vielleicht hohe Renditen für AktionärInnen erzielen, krisenfest sind sie offenbar nicht.

Der Verlauf der Coronakrise wird in allen Ländern stark davon bestimmt, wie gut das Gesundheitssystem ist. Alle Länder Europas erlebten in den letzten Jahrzehnten im Zuge einer neoliberalen Rücknahme staatlicher Leistungen auch eine Verschlechterung der öffentlichen Gesundheitsvorsorge. Dies rächt sich nun. Die Krise macht deutlich, wie wichtig ein starker Wohlfahrtsstaat ist. Wirtschaftsunternehmen, die primär an Profit interessiert sind, können keine Grundversorgung leisten. Die staatliche Gesundheitspolitik darf nicht primär an Sparen orientiert sein, sondern muss menschliche Standards sicherstellen – beim Leben und beim Sterben. Zum Glück ist die öffentliche Gesundheitsversorgung in Österreich besser als in Spanien, es wurde weniger (kaputt)gespart und weniger privatisiert.

Ruth Simsa (Jg. 1962) ist Soziologieprofessorin an der WU Wien. Von 2014-2019 hat sie in Spanien über Protestbewegungen und die Folgen der Finanzkrise geforscht.

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