„Links, rechts! Links, rechts!“, ruft die Volksschullehrerin. Kleine Buben in Anzugshosen und weißen Hemden unter den weinroten Pullovern heben ihre Hände, während sie mit den Füßen aufstampfen. Denn so haben sie es nur wenige Minuten zuvor bei der patrouillierenden Garde beobachtet. „Ist das, wo der König wohnt?“, fragt einer der Buben. Die Lehrerin nickt, er hopst weiter.
Freitagmittag liegt im Schloss Windsor – etwa eine Autostunde von London entfernt – ausgelassene, aufgeregte Stimmung in der Luft. Viele nutzen den Tag vor der Krönung, um das weltälteste bewohnbare Schloss und einen von Charles’ Wohnsitzen zu inspizieren. "Am Montag war er noch hier", verrät eine Ordnerin.
Meterlang ist die Besucherschlange. „Das ist gar nichts. Sie war in den letzten Wochen um einiges länger“, sagt ein Stewart mit schwarzem Schirm, den er immer wieder aufspannt. Denn auch das Wetter ist mit häufigen kurzen Schauern derzeit so richtig britisch.
Musikspektakel Krönungskonzert
Auch die Wahlbritin Lene hat mit ihren vier Freundinnen für ihren Freitagsspaziergang die Regenjacke ausgepackt. Sie versucht, durch den Zaun in den hinteren Teil des Schlosses zu spähen. Von dort klingt laute Musik: letzte Proben für das Konzert. Am Sonntag wird das Schloss zwar für reguläre Besucher gesperrt, rund 20.000 Gäste werden sich dennoch im Privatgarten einfinden: für das groß angekündigte Krönungskonzert.
„Kurz dachte ich ja, ich hätte Karten bekommen“, sagt Lene. „Aber es war eine Fehlermeldung.“ Ein bisschen enttäuschend sei das schon gewesen. Vielleicht kommt sie am Sonntag trotzdem nach Windsor, das Musikspektakel wird auf großer Leinwand übertragen.
Die Zwillinge Anja und Lara Ripkens werden da mit Carolin Wolking stattdessen beim Nachmittagstee in London sitzen. Die Freundinnen sind extra aus Deutschland für die Krönung angereist. „Das haben wir schon vor fünf Jahren zur Hochzeit von Harry und Meghan gemacht“, erzählt die 26-jährige Carolin. Am Samstag werden sie sich um vier Uhr früh an die Tore bei der Prachtstraße „The Mall“ stellen, um einen guten Platz zu ergattern. Die Nägel haben sie anlassbezogen verziert: in Königsblau und mit feinen Union Jacks.
Immer wieder stößt man auf Gäste, die sich in Kleidung oder Accessoires an den Farben der britischen Flagge orientieren. Die Nordirin Jill spaziert mit Mutter Lynda im Partnerlook durch die Gassen von Windsor: Ihre T-Shirts zeigen Hunde in Weiß, mit blauem Pulli und im roten Beefeater-Kostüm.
„Wir sind das erste Mal für so eine Veranstaltung nach England gekommen. Den Spaß wollten wir uns diesmal nicht entgehen lassen.“ Auch die Schaufenster um sie herum sind fast alle festlich dekoriert: Mit Charles-Porträts, Papierkronen oder Union-Jack-Wimpeln.
In der Filiale eines Immobilienbüros hängen zwei Mitarbeiter gerade noch rote, weiße und blaue Sterne auf. Und der Briefkasten nahe der Hauptstraße bekam eine gehäkelte Haube, die Prinz William mit Ehefrau Kate und den drei Kindern zeigt. Denn natürlich steht der König an dem Krönungswochenende im Mittelpunkt, doch auch andere Mitglieder der Königsfamilie werden gefeiert.
Britin Jenny Watts ist mit ihrem Partner eigentlich für die frühere Königin angereist. „Nach dem Begräbnis wollten wir ihren Grabstein besuchen. Ich habe das Ticket vor Monaten gebucht.“ Sie haben die Eintrittskarte auch gerade in einen Jahrespass umgewandelt. Damit sie es sich noch einmal in Ruhe ansehen können.
Die Schulbuben sind von der Menschenmenge unbeeindruckt. „Und, hast du auch Spaß?“, fragt ein blond gelockter Bub mit nasaler Stimme, seine Mitschüler kichern.
(kurier.at, sem)
|
Aktualisiert am 06.05.2023, 07:40
Kommentare