aus Washington Dirk Hautkapp
Seit fast drei Wochen ist der US-Kongress de facto handlungsunfähig, weil sich die tief zerstrittenen Republikaner nicht auf eine neue Führung im Repräsentantenhaus einigen können. Jetzt zeichnet sich eine Interims-Lösung ab.
Nach dem historisch beispiellosen "Attentat" gegen Kevin McCarthy am 3. Oktober aus den eigenen Reihen, wollte erst Steve Scalise den "Speaker"-Posten, das dritthöchste Staatsamt nach Präsident und Vizepräsidentin, anstreben. Als eine Blamage drohte, zog er vorzeitig zurück.
Das legten Dutzende Parteikollegen auch Jim Jordan nahe.
Der Abgeordnete aus Ohio, ein Vertreter des Rechts-außen-Lagers, hat in zwei Abstimmungen von gut 20 Kollegen die Rote Karte gezeigt bekommen. Wegen der knappen Mehrheitsverhältnisse (221 Republikaner stehen 212 Demokraten gegenüber) hätte er sich nur vier Abweichler leisten können. Anti-Jordan-Leute wie die Abgeordnete Mariannette Miller-Meeks erhielten später telefonische Todesdrohungen.
Jordan fügte sich am Donnerstagmittag den ungünstigen Umständen. Aus seinem Umfeld wurde laut, er werde sich kein drittes Mal zur Wahl stellen, um die notwendigen 217 Stimmen zu bekommen.
➤ Mehr lesen: Wer wird neuer US-Kongressvorsitzender? Trump und weitere Kandidaten
Verschiedene Kraftzentren der "Grand Old Party" rieten davon ab, weil die "Chance gleich Null" sei, das „Risiko weiterer Demütigungen groß“. Außerdem würde sich mit jedem gescheiterten Wahlgang "beim Wähler das Bild von einer regierungsunfähigen Partei verfestigen". In dieser Hinsicht ist Jim Jordan ein Paradebeispiel.
Unbeliebt und untätig
Der 59 Jahre ehemalige Ringer, dem als Universitätstrainer in Ohio Versäumnisse bei der Ahndung von sexuellem Missbrauch vorgeworfen wurden, rühmt sich, in 16 Jahren Parlamentszugehörigkeit nicht ein einziges Gesetzesvorhaben eingereicht zu haben. Der mächtige Vorsitzende des Justiz-Ausschusses ist zudem einer der loyalsten Unterstützer von Donald Trump. Er nimmt den ehemaligen Präsidenten fortwährend in Schutz, wenn dessen Lügen von der angeblich gestohlenen Wahl 2020 aufgewärmt werden.
➤ Mehr lesen zum Ursprung der Krise: Trump-Fan will McCarthy loswerden
Jordan war aktiv bei den demnächst vor Gericht verhandelten Versuchen Trumps, am 6. Jänner 2021 einen gewalttätigen Aufruhr am Kapitol zu inszenieren. Und er ist es auch, der unbedingt Präsident Joe Bidens Amtsenthebung herbeiführen will, obwohl es für die von den Republikanern erhobenen Korruptionsvorwürfe bisher keine Beweise gibt. Sein Extremismus ist gemäßigten Konservativen, die aus Wahlkreisen kommen, die Biden 2020 gewonnen hat, ein Graus. Sie halten den impulsiven Schnellsprecher für einen politischen Totengräber, der die Republikaner bei der Wahl 2024 die Mehrheit kosten könnte.
Plan B
Darum spricht jetzt fast alles für Plan B. Demnach soll Interims-"Speaker" Patrick McHenry (47) vorübergehend mit mehr Befugnissen ausgestattet werden, um wichtige Abstimmungen exekutieren zu können. Neben einem von Biden vorgeschlagenen Hilfspaket von 100 Milliarden Dollar für die Ukraine, Israel und Taiwan sowie für die Sicherung der Grenze zu Mexiko geht es vor allem um die Verhinderung eines Regierungsstillstands.
Bis zum 17. November müssen die USA ihren Staatshaushalt regeln; andernfalls stünden weite Teile des Regierungsapparats mangels Geld still.
McHenry als Zwischenlösung bis Jahresende, sagen Parteikreise, gibt Jordan die Möglichkeit, sich einigermaßen gesichtswahrend aus der Schusslinie zu nehmen.
➤ Mehr lesen: Experten befürchten ab Sonntag Regierungsstillstand in den USA
Kommentare