Afghanistan-Wahl: 162 Betrugsvorwürfe

Die Auszählung der Stimmzettel hat begonnen. Mitarbeiter der Wahlkommission wurden getötet.

Nach der international gelobten Präsidentenwahl in Afghanistan haben die Auszählung der Stimmen und die Prüfung der Betrugsbeschwerden begonnen. Die Stimmzettel würden aus den Provinzen in die Zentrale der Wahlkommission (IEC) gebracht, sagte IEC-Sprecher Nur Mohammad Nur am Sonntag.

Bei der Wahlbeschwerdekommission (ECC) gingen am Wahltag nach Angaben eines Sprechers 162 dokumentierte Beanstandungen wegen Betrugs oder anderer Unregelmäßigkeiten ein.

Bei einem Anschlag in der nordafghanischen Provinz Kunduz wurden zwei Mitarbeiter der Wahlkommission (IEC) und ein Polizist getötet. Drei Männer hätten Wahlurnen mit Stimmzetteln aus dem Distrikt Khanabad nach Kunduz-Stadt transportieren wollen, als ihr Fahrzeug am Sonntag in Khanabad in eine Sprengfalle geraten sei, so ein Polizeisprecher.

Der für die Provinz zuständige IEC-Chef Mir Hamsa Ahmadzai sagte, Wahlurnen und Stimmzettel seien bei dem Anschlag zerstört worden. Die deutsche Bundeswehr war im vergangenen Oktober aus Kunduz abgezogen.

Über 50 Prozent Wahlbeteiligung

Nach Schätzungen der IEC beteiligten sich am Samstag rund sieben Millionen der mehr als zwölf Millionen Wahlberechtigten an der Abstimmung (siehe unten). Bei der Wahl 2009 waren 5,8 Millionen Stimmen abgegeben worden, von denen 1,2 Millionen wegen Betrug für ungültig erklärt wurden. Die Wähler trotzten am Samstag Terrordrohungen der Taliban, denen es nicht gelang, die Abstimmung mit massenhaften Angriffen zu torpedieren. Die Wahl machte den Weg für die erste demokratische Machtübergabe in der Geschichte Afghanistans frei.

Präsident Hamid Karzai ( Bild), der seit dem Sturz der Taliban Ende 2001 regiert, durfte nach der Verfassung nicht erneut antreten. Acht Kandidaten bewarben sich um seine Nachfolge. Als Favoriten gelten die früheren Außenminister Abdullah Abdullah und Salmai Rassul sowie Ex-Finanzminister Ashraf Ghani.

Abdullah und Ghani beklagten am Samstagabend Unregelmäßigkeiten und Betrugsversuche und forderten die ECC zur Prüfung auf. Ghani sagte: "Ein verfälschtes Ergebnis ist für uns nicht akzeptabel." Rassul sagte, er vertraue der Wahlkommission und werde deren Entscheidungen akzeptieren.

Sollte kein Bewerber eine absolute Mehrheit erhalten, ist für den 28. Mai eine Stichwahl vorgesehen. Erste offizielle vorläufige Teilergebnisse werden erst in den kommenden Tagen erwartet.

Nach Angaben des Geheimdienstes NDS gab es am Samstag deutlich weniger Angriffe als bei der Wahl 2009. Innenminister Umer Daudzai sagte nach Schließung der Wahllokale am Samstagabend, in den 24 Stunden seit Freitagabend sei es zu 140 Angriffen und Anschlägen gekommen. Neun Polizisten, sieben Soldaten und vier Zivilisten seien ums Leben gekommen. Zudem seien 89 Taliban-Kämpfer getötet worden.

Obama: Wichtiger Meilenstein

US-Präsident Barack Obama würdigte die Wahl als "wichtigen Meilenstein" auf dem Weg des Landes in eine demokratische und eigenverantwortliche Zukunft. Die Wähler hätten "enthusiastisch" an der Abstimmung teilgenommen. Auch NATO-Generalsekretär Anders Fogh Rasmussen gratulierte zu der "beeindruckenden Beteiligung". Die Vereinten Nationen nannten die hohe Wahlbeteiligung "bemerkenswert".

In Kabul - wo spektakuläre Anschläge befürchtet worden waren - blieb es am Wahltag ruhig. Zur Wahl waren die 352.000 afghanischen Sicherheitskräfte in höchste Alarmbereitschaft versetzt worden.

Die Wahl ist die letzte, bevor der Kampfeinsatz der NATO-geführten Schutztruppe ISAF in Afghanistan zum Jahresende ausläuft. Alle drei Favoriten haben angekündigt, im Falle eines Sieges das Sicherheitsabkommen mit den USA zu unterzeichnen, das Voraussetzung für einen kleineren NATO-Einsatz zur Ausbildung und Unterstützung der afghanischen Sicherheitskräfte von 2015 an ist. Karzai hatte die Unterschrift trotz Appellen aus dem In- und Ausland verweigert.

Regen, eiskaltes Wetter, teilweise stundenlanger Anmarsch zu einem Wahllokal und nicht zuletzt die Todesdrohungen der radikal-islamischen Taliban – sieben der 12 Millionen afghanischen Wahlberechtigten ließen sich von diesen Hindernissen gestern nicht abschrecken (mehr dazu...). Der Andrang der Wähler für die Kür ihres neuen Präsidenten war gewaltig. Stundenlang stellten sich Männer und Frauen, stets streng voneinander getrennt, geduldig in langen Schlagen vor den Urnen an.

An mehreren Wahllokalen kam es zu Anschlägen. Mindestens zwei Personen wurden bis zum frühen Nachmittag erschossen oder von Bomben getötet.

Bleibt heuer anders als bei den Wahlen 2009 Wahlbetrug im großen Stil aus, könnte 2014 das Jahr werden, in dem Afghanistan der erste friedliche und demokratische Machtwechsel in der Geschichte des Landes gelingt. Nach zwei Amtszeiten darf Präsident Hamid Karzai nicht noch einmal kandidieren. Von den acht Kandidaten, die auf den Wahlzetteln stehen, haben nur drei echte Chancen auf die Nachfolge Karzais: der ehemalige Minister und langjährige Gegenspieler Karzais, Abdullah Abdullah; der Wunschfavorit Karzais, der ehemalige Außenminister Zalmai Rassoul und der ehemalige Weltbank-Mitarbeiter Ashraf Ghani.

Abkommen mit USA

Alle drei versprachen im Wahlkampf Wachstum, eine bessere Förderung der Frauenrechte und dass sie – im Gegensatz zu Präsident Karzai – das Sicherheitsabkommen mit den USA unterzeichnen werden. Dieses soll Afghanistan den Verbleib einer kleinen, bis maximal 12.000 Mann starken NATO-Truppe im Land sichern.

Denn an und für sich wäre vorgesehen, dass mit Ende 2014 alle NATO-Soldaten aus dem Land am Hindukusch abgezogen sind. Bei der Mehrheit der Afghanen herrscht große Angst, dass dann wieder die extrem gewaltbereiten Taliban die Macht an sich reißen.

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