Noch zwei Menschen in England durch Nowitschok vergiftet

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Möglicherweise Kontakt mit kontaminiertem Gegenstand aus Fall Skripal. Russisch-britischer Streit flammt wieder auf.

Das mit dem Kampfstoff Nowitschok vergiftete Paar aus Südengland ist vermutlich nicht Opfer eines gezielten Anschlags geworden. Das berichtete der britische Sicherheitsstaatssekretär Ben Wallace am Donnerstag dem Sender BBC. Experten halten es für möglich, dass das Paar zufällig mit einem kontaminierten Gegenstand in Kontakt kam, der beim Anschlag auf die Skripals genutzt worden war.

Bei den jüngsten Opfern handelt es sich nach Polizeiangaben um einen 45-jährigen Mann und eine 44-jährige Frau aus der Region. Zunächst sei die Frau am Samstag im Wohnhaus in Amesbury kollabiert, später mussten die Ärzte auch den Mann ins Krankenhaus in das wenige Kilometer entfernte Salisbury bringen. Nach Angaben eines Bekannten waren beide nicht mehr ansprechbar; ihnen lief Schaum aus dem Mund.

Die Polizei hat nun fünf Areale in Amesbury und Salisbury identifiziert, die genauer unter die Lupe genommen werden. Das Paar hatte sich kurz vor der Erkrankung in beiden Orten aufgehalten. Wer kürzlich in diesen Arealen gewesen sei, solle Sicherheitsmaßnahmen einhalten und etwa seine Kleidung waschen und Handys abwischen.

Fall Skripal

Erst vor vier Monaten waren der ehemalige russische Doppelagent Sergej Skripal (67) und seine Tochter Julia (33) bewusstlos auf einer Parkbank in Salisbury entdeckt worden. Nach langer Therapie leben sie heute an einem geheimen Ort. London bezichtigte Moskau, Drahtzieher des Anschlags gewesen zu sein. Nowitschok wurde in der früheren Sowjetunion hergestellt, später tauchte es in anderen Ländern auf.

Nach den zwei weiteren Nowitschok-Vergiftungsfällen in England ist der Streit zwischen Großbritannien und Russland wieder aufgeflammt. Die britische Regierung forderte die Regierung in Moskau am Donnerstag auf, Details über den Einsatz des Nervengiftes gegen die Skripals im März zu übermitteln. Offenbar will sie dadurch klären, ob das Paar am Samstag zufällig mit der Substanz in Berührung kam. Russland hat wiederholt erklärt, nichts mit dem Angriff auf Skripal und seine Tochter Julia zu tun zu haben.

Die russische Botschaft in den Niederlanden schrieb auf Twitter, die britische Regierung sei "dumm", wenn sie glaube, dass Russland während der Fußball-WM einen erneuten Nervengiftangriff starten würde. Der Kreml ließ laut dem russischen Online-Nachrichtenportal "Sputnik" wissen, man habe keine Informationen zu den neuen Vergiftungsfällen, und es sei "schwierig sich auf die Medien zu stützen".

Hochgereinigter Kampfstoff

Das bei den Skripals verwendete Nowitschok war sehr rein. "Das erhöht die Lagerfähigkeit", sagte der Chemiewaffenexperte Ralf Trapp der Deutschen Presse-Agentur. Die Substanz war laut Trapp ein hochgereinigter Kampfstoff aus einem Labor, der noch viele Jahre wirksam sein könnte. Daher sei es denkbar, dass im neuen Fall das Paar etwa mit Nowitschok-Resten an einem Transportgefäß unabsichtlich in Berührung gekommen sei. "Bislang ist das aber nur ein Szenario. Es fehlen noch Fakten", betonte der Toxikologe und Chemiker, der als unabhängiger Berater unter anderem für die Organisation für ein Verbot von Chemiewaffen (OPCW) und die Vereinten Nationen arbeitete.

Für Panik in der südenglischen Region gebe es keinen Grund. Man sollte aber lieber von kleinen Behältnissen am Boden die Finger lassen, betonte Trapp. Der vor dem Anschlag auf die Skripals verwendete Behälter zur Aufbewahrung des Nervengifts sei bis heute nicht gefunden worden, berichtete die Nachrichtenagentur PA.

Das in Lebensgefahr schwebende Paar liegt in derselben Klinik der Stadt Salisbury, in der die Skripals behandelt wurden. Als Reaktion auf den neuen Fall trat der Sicherheitsrat der Regierung, das Cobra-Komitee, am Donnerstag zu einer Krisensitzung zusammen.

Attentat löste internationale Krise aus

Im März waren Teile der Innenstadt von Salisbury abgeriegelt worden, nachdem die Skripals mit dem Kampfstoff vergiftet worden waren. Das Attentat löste eine schwere internationale Krise aus. Zahlreiche westliche Staaten, auch Deutschland, wiesen Dutzende russische Diplomaten aus. Moskau reagierte mit ähnlichen Maßnahmen.

Nach dem jüngsten Vorfall wurden einige Bereiche in Salisbury und in dem Wohnort des Paares vorsichtshalber abgesperrt. Bewohner forderten mehr Informationen von den Behörden. Das Paar soll unter anderem eine Veranstaltung in einer Kirche besucht haben, bevor es am Samstag erkrankte. Die Beamten waren zunächst davon ausgegangen, dass die beiden möglicherweise Drogen eingenommen haben könnten.

Das Forschungslabor für Chemiewaffen im nahe gelegenen Porton Down wurde mit den Untersuchungen befasst. Dort war auch das Nervengift Nowitschok im Fall Skripal identifiziert worden. Unabhängige Untersuchungen der OPCW bestätigten damals das Ergebnis.

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