Offiziell: Großbritannien beantragt EU-Austritt

EU-Botschafter Tim Barrow übergab Donald Tusk den Brief aus London
Nun tickt die Uhr: Großbritannien hat offiziell mitgeteilt, die EU verlassen zu wollen. Zwei Jahre haben die Briten vorerst Zeit, einen geordneten Austritt zu verhandeln.

Erstmals seit Gründung der Europäischen Union hat mit Großbritannien ein Land seinen Austritt bei der Staatengemeinschaft beantragt. Der britische EU-Botschafter Tim Barrow übergab das entsprechende Schreiben seiner Regierung im Beisein von Pressefotografen Mittwochmittag an EU-Ratspräsident Donald Tusk.

Damit haben das Vereinigte Königreich und die 27 EU-Staaten zwei Jahre Zeit, die Bedingungen für den Austritt zu klären. Beide Seiten rechnen mit schwierigen Verhandlungen.

EU-Ratspräsident Tusk teilte via Twitter in Brüssel mit, die Union habe das Austrittsgesuch erhalten. "Nach neun Monaten hat Großbritannien geliefert." Die britische Premierministerin Theresa May hatte die Erklärung zur Aktivierung von Artikel 50 der EU-Verträge am Dienstagabend in London unterzeichnet.

Der sechsseitige Brief der Premierministerin im Original:

Tusk: EU ist "entschlossener und geeinter"

Tusk will den 27 EU-Staaten am Freitag einen Entwurf für die Leitlinien für die Brexit-Verhandlungen vorlegen. Dies sagte Tusk am Mittwoch in Brüssel nach Erhalt des offiziellen britischen EU-Austrittsantrags. Die Leitlinien für die Brexit-Verhandlungen sollen bei einem Sondergipfel am 29. April in Brüssel angenommen werden.

Tusk zeigte sich bei seiner Pressekonferenz emotional: "Es gibt keinen Grund, so zu tun, als ob dies ein freudiger Tag wäre, weder in Brüssel noch in London." Der Brexit habe aber auch positive Seiten, er habe die Gemeinschaft der verbleibenden 27 Staaten "entschlossener und geeinter" gemacht.

Er und die EU-Kommission hätten "ein starkes Mandat, um die Interessen der 27 zu schützen", sagte Tusk. Die Kosten des Brexit müssten für die EU-Bürger, die Wirtschaft und für die Mitgliedstaaten klein gehalten werden. "Wir haben alle Instrumente, um dieses Ziel zu erreichen", versicherte Tusk.

Näheres zu den Leitlinien will Tusk am Freitag bei einer Pressekonferenz mit dem maltesischen Premier Joseph Muscat in Malta sagen. In Richtung Großbritannien betonte der EU-Ratspräsident zum Abschluss seines kurzen Auftritts vor der Brüsseler Presse: "We already miss you. Thank you and goodbye (Wir vermissen euch schon. Danke und auf Wiedersehen)."

May: "Es gibt kein zurück mehr"

Nach dem Brexit-Antrag hat May ihre Landsleute zum Zusammenhalt aufgerufen. Die Briten müssten zusammenstehen, "es gibt kein Zurück mehr", sagte May am Mittwoch im Parlament in London. Sie bot der Europäischen Union außerdem eine Zusammenarbeit in Sicherheitsfragen nach dem Brexit an.

May geht davon aus, dass die Austrittsverhandlungen in den vorgesehenen zwei Jahren abschlossen werden können. Danach solle es eine Umsetzungsphase geben, um ein neues Abkommen zu implementieren, sagte die Premierministerin.

Schwierige Verhandlungen

Der Weg ist nun frei für die zweijährigen Brexit-Verhandlungen, bei denen die Verflechtungen zwischen Großbritannien und der EU gelöst werden müssen. Mehr als 20.000 Gesetze und Regeln sind davon betroffen. Im März 2019 endet voraussichtlich die EU-Mitgliedschaft des Landes.

Die übrigen 27 Länder wollen ihre Verhandlungsposition bei einem Sondergipfel am 29. April festzurren. Bis Herbst 2018 sollen die Verhandlungen abgeschlossen sein, damit das Abkommen noch rechtzeitig ratifiziert werden kann. Auf EU-Seite müssen das Europaparlament und der Rat ihre Zustimmung geben.

Trennung wirkt bereits

Manfred Weber, EVP-Fraktionschef im EU-Parlament, zeichnet auf Twitter die neuen Gegebenheiten vor: Von jetzt an würden nur noch die Interessen der übrigen EU-Bürger wahrgenommen werden. Er sparte nicht mit Kritik an der britischen Brexit-Politik, die neue Mauern errichten wolle.

Kern: "Zähes Ringen"

Bundeskanzler Christian Kern bekräftigte am Tag des Brexit-Antrages seine Position für die kommenden Monate: Es sei bedauerlich, dass Großbritannien diese Entscheidung getroffen habe, "aber jetzt müssen wir den Ausstieg des Landes aus der EU rasch und friktionsfrei vollziehen", erklärte Kern in einer Aussendung. in wesentlicher Punkt, der geklärt werden müsse, sei die Situation der rund 25.000 österreichischen Staatsbürger in Großbritannien.

Die zweite drängende Frage sind für Kern die hohen Verbindlichkeiten Großbritanniens bei der EU. "Angesichts der kolportierten Schätzungen von bis zu 60 Milliarden Euro, die die Briten der EU noch schulden, wird das sicher ein zähes Ringen werden", so die Einschätzung des Bundeskanzlers.

Einsam vor dem Union Jack unterschrieb die britische Premierministerin Theresa May schon Dienstagabend den Scheidungsantrag. Sie favorisierte zuletzt den "harten Brexit", das Kappen jeglicher Verbindungen mit der EU. Die Wirtschaft und viele britischen Bürger denken hier ganz anders. Zwei Modelle werden diskutiert, wie das Vereinigte Königreich eng mit der Europäischen Union verbunden bleiben könnte:

Die halbe EU-Mitgliedschaft nach dem Norwegen-Model

Norwegen ist Mitglied des Europäischen Wirtschaftsraumes (EWR) und damit fast vollständig mit dem EU-Binnenmarkt verbunden. Im EWR können Waren und Dienstleistungen über Grenzen hinweg angeboten werden, Arbeitnehmer in jedem Mitgliedsland ihr Geld verdienen und Kapital ohne Hindernisse von Land zu Land transferiert werden. Norwegen kooperiert auch in den Politikbereichen Wettbewerb, Verkehr und Energie mit der EU. Im Unterschied zur Vollmitgliedschaft fehlen die Bereiche Agrar, Fischerei, Zollunion, Außenhandel, Justiz-, Innen- sowie Außen- und Sicherheitspolitik.

Die Regierung in Oslo zahlt auch für die Kooperation mit der EU. Zuletzt wurden jährlich rund 388 Millionen Euro an die EU überwiesen, pro Einwohner sind das gut 76 Euro im Jahr. Das ist gar nicht so viel günstiger als die bisherige Vollmitgliedschaft der Briten. Deren Netto-Beitrag zur EU lag zuletzt bei gut 89 Euro pro Einwohner.

Das à la carte-Modell nach dem Vorbild der Schweiz

Die Schweiz ist wie Norwegen Liechtenstein und Island Mitglied der Europäischen Freihandelszone (EFTA). 1992 lehnten die Schweizer in einem Referendum die EWR-Mitgliedschaft ab. Danach verhandelte die Berner Regierung mehr als 120 bilaterale Abkommen mit der EU, die der Schweiz eine weitgehende Teilnahme am EU-Binnenmarkt ermöglichen. Dienstleistungen sind ausgenommen. Die Verhandlungen dieser Abkommen ist langwierig, sie müssen ständig an neue EU-Regelungen angepasst werden.

Die Schweiz beteiligt sich finanziell ebenfalls an ihrer Kooperation mit der EU. Der Zugang zum Binnenmarkt kostete Bern in den vergangenen zehn Jahren umgerechnet 104,6 Milliarden Euro (diese Summe wurde aktuell in der Weltwoche veröffentlicht). Das sind im Jahr umgerechnet 3082 für jeden schweizerischen Haushalt.

Harter Brexit: Die WTO-Option, ein Handelsstatus wie Bangladesch oder Botsuana

  • Kommen die Briten und die EU auf keinen grünen Zweig in den Verhandlungen oder entscheidet sich Großbritannien definitiv für einen harten Brexit fallen sie auf ihre Mitgliedschaft in der Welthandelsorganisation (WTO) zurück. Die WTO hat zwar mit der EU Handelserleichterungen vereinbart, aber sie hat keinen Zugang zum Binnenmarkt. Für Einfuhren in die EU müssten die Briten Zölle zahlen. Die WTO-Option würde das Vereinigte Königreich auf eine Stufe mit Ländern wie Bangladesh oder Botsuana stellen. Mit dieser Möglichkeit hätte Großbritannien auch keinen Zugang zu den Freihandelsverträgen der EU mit anderen Ländern. Auch die müsste London neu aushandeln. Die Kosten dieses Modells wurden noch nicht berechnet, den britischen Haushalt würde diese Option aber sehr belasten.

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