Schwere Schlappe für Rechtspopulisten Wilders
Überraschender Auftakt zur EU-Wahl. Den Niederländern, die bereits am Donnerstag abstimmten, waren die radikalen Anti-EU- und Anti-Ausländer-Parolen des Rechtspopulisten Geert Wilders offenbar doch zu viel. Der Blondschopf, der den Austritt aus der Union propagiert hatte, erhielt weniger Stimmen als 2009. Er musste sich mit nur 12,2 Prozent (fast minus fünf Prozentpunkte) Zuspruch mit Platz vier begnügen – dabei hatte er in den Umfragen lange Zeit geführt.
Diese vorläufige Prognose veröffentlichte das niederländische Fernsehen am Donnerstagabend nach Schließung der Wahllokale. Das offizielle Endergebnis wird erst in der Nacht zum Montag bekanntgegeben.
Wilders hat seine Niederlage inzwischen bereits eingestanden. "Wir haben wie die Löwen gekämpft", sagte Wilders, der erst Stunden nach Bekanntgabe der Prognose vor seinen Anhängern erschienen war. Er erklärte den Verlust von knapp fünf Prozent gegenüber 2009 mit der geringen Wahlbeteiligung von knapp 37 Prozent. "65 Prozent unserer Wähler blieben zu Hause", sagte er.
Umstrittene Studie
Wilders hatte mit einer umstrittenen Studie für den EU-Austritt geworben. 10.000 Euro würde sich jede holländische Familie sparen, wenn das Land die EU verlassen würde. Dazu kämen mehr Wirtschaftswachstum und mehr Jobs. Dass viele Fachleute das Papier der britischen Beraterfirma Capital Economics als "nicht ernst zu nehmend" bezeichneten, war Wilders egal.
Er, der wegen seiner markanten auf platinblond gebleichten Mähne den Spitznamen "Mozart" trägt, benützte die Studien, um offen wie nie zuvor den EU-Austritt seines Landes, also "NExit" zu fordern.
Rückenwind schien ihm die wachsende EU-Skepsis seiner Landsleute zu verleihen. Die Niederländer, die schon 2005 in einer Volksabstimmung die geplante EU-Verfassung zu Fall gebracht hatten, fühlen sich laut Umfragen mehrheitlich von Brüssel bevormundet und fürchten um ihre nationale Identität.
Selbst die regierenden Konservativen der VVD, traditionell überzeugte EU-Befürworter, warben mit dem Slogan: "Europäisch wo nötig, national wo möglich." Sie kamen auf 15 bis 16 Prozent und liegen damit Kopf-an-Kopf mit den Sozialdemokraten von der D 66.
Zu rassistisch
Den möglichen Sieg verspielte Wilders selbst. Bei einem Wahlkampfauftritt hatte er die Grenze des politischen Anstands überschritten, als er seine Zuhörer fragte: "Wollt ihr mehr oder weniger Marokkaner in eurer Stadt?" Die Menge skandierte zwar begeistert "weniger, weniger", dafür aber wurde Wilders in den Medien und in sozialen Netzwerken als Rassist gebrandmarkt.
Ein Monster namens Europa“ – wenn der niederländische Rechtspopulist Geert Wilders über die EU spricht, wählt er gerne provokante Worte. Marine Le Pen, Chefin von Frankreichs Front National und Wilders Freundin im Geiste, steht dem Niederländer um nichts nach: "Mit der EU sind wir in der Sklaverei gelandet". Mit ihrer harschen Kritik scheinen beide auf offene Ohren zu stoßen: In ganz Europa ist ein Trend zu Rechts und gegen die Union spürbar. Die letzten Indizien: der Ausgang des Schweizer Votums zur Masseneinwanderung im Februar und das gute Abschneiden des Front National beim ersten Durchgang der Kommunalwahlen am vergangenen Wochenende.
"Die Europawahlen werden von vielen Wählern als folgenlose Möglichkeit des Protests gegen die eigene Regierung und den EU-Kurs gesehen."
Bei der EU-Wahl im Mai 2014 könnte sich diese Entwicklung weiter manifestieren: "Die Europawahlen werden von vielen Wählern als folgenlose Möglichkeit des Protests gegen die eigene Regierung und den EU-Kurs gesehen. Im Selbstverständnis vieler ist diese Wahl unwichtig, das zeigt auch die geringe Wahlbeteiligung", erklärt der österreichische Rechtspopulismus-Experte Werner T. Bauer von der Gesellschaft für Politikberatung im Gespräch mit dem KURIER.
Massiver Trend in ganz Europa
Niedrige Wahlbeteiligung, Verbitterung, Frust: Brüssel blickt dem Wahltermin wenig überraschend mit Sorge entgegen. EU- und Einwanderungs-skeptische Kräfte verbuchen zwar nicht in jedem Land hohe Umfragewerte, doch insgesamt könnte es nach dem Urnengang bis zu 27 Prozent europakritischer Abgeordneter geben, besagt eine Studie der Deutschen Bank. Ist solch ein Wahlergebnis wirklich realistisch? "Es ist ein massiver Trend in ganz Europa bemerkbar. Ein Ergebnis ist aber schwer vorherzusehen, da nationale Befindlichkeiten eine große Rolle spielen. Die Frage ist, wie stark die rechtspopulistischen Parteien in ihren Ländern mobilisieren können. Und wie groß die Proteststimmung in den einzelnen Nationen ist", erläutert Politologe Bauer. "Die tatsächlich rechten, rassistischen Wähler sind bekanntlich ein kleines Segment. DIe rebellische Protesthaltung hat aber für viele Wähler einen gewissen Sex-Appeal."
Schwäche der Fraktionslosen
Derzeit sitzen 55 Rechtspopulisten im Europaparlament. Teils stellen sie eine Fraktion unter der Führung der britischen UKIP. Andere, wie beispielsweise die Abgeordneten der FPÖ oder des Front National, sind fraktionslos – damit ohne nennenswerten Einfluss auf Entscheidungen im Parlament. Die Mitsprache der Parteien hängt schließlich stark davon ab, sich in kohärenten Fraktionen zu organisieren, um Zugriff auf wichtige Posten und Ressourcen zu erhalten.
Die Vertretung solcher Parteien im Europäischen Parlament ist letztlich auch ein Zeichen für funktionierende demokratische Prozesse.
Der Fraktionsvorsitzende der Europäischen Volkspartei, Manfred Weber, artikuliert deshalb, dass "eine Stimme für die Rechtspopulisten eine verlorene Stimme" sei. "Das, was die da machen, kann man kaum als Arbeit bezeichnen", so Weber gegenüber der Süddeutschen Zeitung. Dennoch: Die Vertretung solcher Parteien im Europäischen Parlament ist letztlich auch ein Zeichen für funktionierende demokratische Prozesse und damit nicht abzulehnen.
Allianz der Gleichgesinnten
Die Statistiken unterstützen aber die Aussage Webers: Politisch eingebracht in Verhandlungen mit Kommission und Rat hat sich das rechte Lager bisher kaum, genutzt wird das Plenum vor allem als Bühne für Parolen und Aufmerksamkeitsbeschaffung. Strache, Le Pen und Wilders wollen nun ihre Kräfte bündeln und eine Allianz der Gleichgesinnten gründen. Das Ziel: eine neue Fraktion im neuen Parlament. Diese scheint allerdings wenig wahrscheinlich, da sich die Populisten schwer tun, wirklich an einem Strang zu ziehen. "Die Parteien unterscheiden sich sehr. Manche wurzeln im tatsächlichen Faschismus und Antisemitismus, andere haben damit überhaupt nichts zu tun und sind eher anti-islamisch. Es ist deshalb schwierig abzusehen, wie die Parteien in einer gemeinsamen Fraktion überhaupt arbeiten können", erklärt Werner T. Bauer.
Gemeinsam ist ihnen, dass sie die Union als undemokratisch ablehnen und den Nationalstaat als den einzig legitimen Ort für politische Entscheidungen sehen. Wenn sie sich zu einer Fraktion zusammenschließen, würden sie von zusätzlichen finanziellen Zuwendungen und Redezeiten profitieren. "Als Fraktionsloser kann man so gut wie nichts ausrichten. Als Gegner des Systems können sie nur als Fraktion tatsächlich blockieren und aushebeln." Gespräche gibt es deshalb viele: Im August traf Heinz-Christian Strache in Wien Geert Wilders, im November organisierte er ein Treffen mit fünf Vertretern anderer Parteien: des Front National, der Lega Nord, des Vlaams Belang, der Schwedendemokraten und der slowakischen Nationalpartei. Doch selbst wenn solch ein Bündnis zusammenkommt, ist mit einer geringen Fraktionskohärenz zu rechnen. Der Einfluss auf politische Entscheidungen wäre weiterhin niedrig.
Gefahr der inneren Lähmung?
Ein weiteres Erstarken der Rechtspopulisten führt also nicht automatisch zu einer inneren Lähmung des Parlaments, wird aber wohl zu Auswirkungen am nationalen Polit-Parkett führen. Fatal an der Entwicklung ist daher auch laut einer Studie der Konrad Adenauer Stiftung, dass rechtspopulistische Parteien auch "auf die anderen Parteien ausstrahlen und deren Positionen beeinflussen". "Wenn die Union ihre Populisten nicht verträgt, ist sie zum Scheitern verurteilt", schreibt bereits das Magazin The European.
Strategiensuche
Fieberhaft suchen die etablierten Parteien nun nach Lösungen und Strategien – und sehen den Fehler oft in der mangelnden Kommunikation. Muss die EU also lediglich lernen, ihre eigenen Argumente besser zu vermitteln? "Wer eine Wahl verliert, hat nicht nur schlecht kommuniziert. Man muss in der Politik die Hirne und Herzen der Menschen erreichen. Viele Politiker sind dazu aber immer schlechter in der Lage. Die EU-Politik ist außerdem sehr weit weg für die Menschen", sagt Werner T. Bauer und stellt abschließend klar: "Wer Brüssel als Abstellgleis für unliebsame Politiker benutzt, macht zusätzlich ein schlechtes Bild."
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