Militärputsch in Myanmar: Armee ruft Ausnahmezustand aus

Soldaten
Die Spitze der Regierungspartei wurde festgesetzt. Ob De-Facto-Regierungschefin Aung San Suu Kyi und andere Politiker festgenommen wurden oder unter Hauarrest sind, war vorerst unklar - Militär soll in Hauptstadt Stellung bezogen haben.

In Myanmar hat die Armee einen einjährigen Ausnahmezustand ausgerufen. Eine entsprechende Erklärung der Streitkräfte wurde am Montag im Fernsehen des südostasiatischen Landes verlesen. Zuvor hatte die Partei Nationale Liga für Demokratie (NLD) mitgeteilt, dass die bisherige De-facto-Regierungschefin Aung San Suu Kyi, Präsident Win Myint und weitere ranghohe Politiker des Landes von der Armee festgesetzt worden seien.

Ob die Politiker festgenommen oder unter Hausarrest gestellt wurden, war vorerst unklar. Seit Tagen hatte es Gerüchte über einen bevorstehenden Militärputsch gegeben.

Aung San Suu Kyi ruft zum Widerstand auf

Suu Kyi forderte in einer Erklärung die Bevölkerung auf, den Militärputsch im Land nicht hinzunehmen. Ihre Partei NLD veröffentlichte das Schriftstück mit Aussagen der Friedensnobelpreisträgerin am Montag auf Facebook. Die Machtübernahme der Armee zeige keinerlei Respekt für die Corona-Pandemie und ziele nur darauf ab, das Land wieder unter eine Militärdiktatur zu stellen, hieß es. „Die Öffentlichkeit ist dazu aufgerufen, sich dem Militärputsch voll und ganz zu widersetzen und sich entschieden dagegen zu wehren.“

Militärputsch in Myanmar: Armee ruft Ausnahmezustand aus

Aung San Suu Kyi

UN-Generalsekretär Antonio Guterres verurteilte die Übernahme der Regierungsmacht und Aufhebung der Gewaltenteilung durch das Militär. „Diese Entwicklungen bedeuten einen schweren Schlag für die demokratischen Reformen in Myanmar“, ließ der UN-Chef über seinen Sprecher mitteilen.

Auch die EU verurteilte den Militärputsch scharf und forderte die sofortige Freilassung der dabei festgenommenen Menschen.


Der britische Außenminister Dominic Raab twitterte: „Großbritannien verurteilt den Ausnahmezustand in Myanmar und die rechtswidrige Inhaftierung von Vertretern der zivilen Regierung und der Bevölkerung durch das Militär.“ Der Wille der Bevölkerung in Myanmar müsse respektiert werden. England war einst Kolonialmacht im heutigen Myanmar.

Spannungen zwischen Militär und Regierung

Zwischen der zivilen Regierung und dem mächtigen Militär hatte es Spannungen gegeben wegen Vorwürfen des Wahlbetrugs bei der Parlamentswahl vom November. Die NLD hatte die Abstimmung klar gewonnen, das Militär weigert sich jedoch, das Ergebnis anzuerkennen. Das neue Parlament hätte erstmals am Montag zusammenkommen sollen, wegen zunehmender Spannungen im Land war die Sitzung aber auf Dienstag verschoben worden, wie die Zeitung Myanmar Times am Freitag berichtet hatte.

Ein ranghoher Militärsprecher hatte in der vergangenen Woche vor Medienvertretern angedeutet, dass es zu einem Putsch kommen könnte, falls die Regierung nicht auf die Vorwürfe des Wahlbetrugs eingehen sollte. UN-Generalsekretär Antonio Guterres rief daraufhin dazu auf, jede Form von "Aufwiegelung oder Provokation" zu vermeiden und das Wahlergebnis anzuerkennen.

Der britische Sender BBC berichtete von Soldaten in den Straßen der Hauptstadt Naypyitaw und der größten Stadt Yangon. Telefonleitungen und das Internet in Naypyitaw seien gekappt worden. Ein Augenzeuge berichtete, dass mindestens ein Dutzend Soldaten vor dem Rathaus positioniert seien und mehrere Militärfahrzeuge in der Nähe Stellung bezogen hätten. Anwohner berichteten über Ausfälle bei Internetdiensten und Mobilfunk. Der staatliche Fernsehsender MRTV schrieb auf Facebook, dass er wegen technischer Probleme nicht senden könne.

Suu Kyi sicherte sich zweite Amtszeit

Friedensnobelpreisträgerin Suu Kyi hatte sich bei der Parlamentswahl eine zweite Amtszeit in dem Land mit knapp 54 Millionen Einwohnern gesichert. Ihre Partei NLD holte nach offiziellen Angaben die absolute Mehrheit, die Wahlbeteiligung lag bei mehr als 70 Prozent.

Doch auch nach der Wahl blieb Suu Kyi auf die Kooperation mit dem Militär angewiesen. Ein Viertel der Sitze in den Parlamentskammern blieb für die Streitkräfte reserviert. So steht es in der Verfassung von 2008, die die Junta aufgesetzt hatte, um auch nach der Einleitung demokratischer Reformen nicht entmachtet zu werden.

Wegen einer anderen Klausel kann Suu Kyi nicht Präsidentin werden, sondern regiert als Staatsrätin und somit De-Facto-Regierungschefin das frühere Birma. Ohne das Militär sind auch Verfassungsänderungen nicht möglich, zudem kontrolliert es die wichtigsten Ministerien.

Putsch 1962

Nach einem Putsch im Jahr 1962 stand das Land fast ein halbes Jahrhundert lang unter einer Militärherrschaft. Suu Kyi setzte sich in den 1980er Jahren für einen gewaltlosen Demokratisierungsprozess ein und wurde deshalb 15 Jahre unter Hausarrest gestellt. 1991 erhielt sie für ihren Einsatz gegen Unterdrückung und soziale Ungerechtigkeit den Friedensnobelpreis.

Im eigenen Land ist die 75-Jährige sehr beliebt. International ist die frühere Freiheitsikone mittlerweile aber umstritten. So sind die versprochenen demokratischen Reformen in dem buddhistisch geprägten Land bisher weitgehend ausgeblieben, und Suu Kyi zeigt inzwischen selbst einen immer autoritäreren Regierungsstil.

Vor allem wegen der staatlichen Diskriminierung der Rohingya und ihres Schweigens zur Gewalt gegen die muslimische Minderheit steht Suu Kyi international in der Kritik. Mehr als eine Million Rohingya sind vor den Übergriffen des Militärs nach Bangladesch geflohen. In einem Völkermord-Verfahren in Den Haag hatte Suu Kyi die Vorwürfe 2019 zurückgewiesen. Von Genozid könne keine Rede sein, die Armee verteidige nur das Land gegen Angriffe bewaffneter Rebellen, sagte sie damals.

An der Legitimität der Parlamentswahl hatten Wahlbeobachter bereits im Vorfeld der Abstimmung Zweifel angemeldet. Grund: Die Wahlkommission hatte entschieden, dass in mehreren von ethnischen Minderheiten dominierten Konfliktregionen wegen Sicherheitsbedenken gar nicht gewählt werden durfte. Damit seien 1,5 Millionen Menschen von der Abstimmung ausgeschlossen worden, kritisierten Menschenrechtler im November.

Zudem konnten Hunderttausende in Myanmar verbliebene Rohingya nicht teilnehmen, nachdem ihnen 1982 die Staatsbürgerschaft entzogen worden war. "Human Rights Watch" sprach von einer Wahl mit "grundlegenden Mängeln".

Der UN-Sicherheitsrat wird sich am Dienstag in einer Dringlichkeitssitzung mit Myanmar befassen.

US-Präsident Joe Biden rief Myanmars Armee am Montag auf, die Macht "sofort" wieder abzugeben und alle Festgenommenen freizulassen. Er drohte zugleich neue Sanktionen an: "Die USA haben im vergangenen Jahrzehnt basierend auf dem Fortschritt hin zu Demokratie Sanktionen gegen Myanmar aufgehoben", erklärte das Weiße Haus. Die "Umkehrung dieses Fortschritts" mache eine "sofortige Überprüfung" der Sanktionsgesetze notwendig, und in einem nächsten Schritt "angemessenes Handeln".

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