Was fordert der Brief? Die Regierungschefs fordern mehr Recht und Entscheidungsfreiheit für die Nationalstaaten bei der Abschiebung von Asylanten, die schwere Straftaten begangen haben. Die müssten auch in heikle Herkunftsländer wie Afghanistan oder Syrien rückgeführt werden können. Die Europäische Menschenrechtskonvention (EMRK) – sie gilt für alle EU-Staaten und ist in Österreich Teil der Verfassung – sieht ein Folterverbot vor. Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) hat daraus in vielen Einzelfällen ein Verbot von Abschiebungen abgeleitet. Diese Rechtssprechung müsse der Gerichtshof überdenken, wird in dem Brief verlangt.
Wer ist an der Initiative beteiligt?Politisch ist das eine bunte Mischung. Angeführt wird die Initiative von der dänischen Regierungschefin Mette Frederiksen und Italiens Premierministerin Giorgia Meloni: eine Sozialdemokratin, die aber eine harte Linie in Fragen der Migration fährt, und eine Rechtspopulistin, die das internationale Asylrecht oft grundsätzlich in Frage gestellt hat und sich bei diesen Themen auch mit Brüssel anlegt. Mit Österreichs Bundeskanzler ist ein Christdemokrat, mit Polens Premier Donald Tusk ein Liberaler dabei.
Ist das eine Gefährdung der Menschenrechte? Die Europäische Menschenrechtskonvention verlangt grundsätzlich das Recht auf Leben und ein Folterverbot. Das Verbot der erwähnten Abschiebungen ist eine sehr weitreichende Auslegung des Gerichtshofs. Das internationale Flüchtlingsrecht sieht vor: Falls eine Person eine Gefahr für die öffentliche Sicherheit darstellt oder ein Staat eine Gefahr für die öffentliche Ordnung erkennt, kann das Verbot solcher Abschiebungen aufgehoben werden.
Um welche Personen geht es?Um Asylwerber, aber auch Asylberechtigte, die schwere Straftaten begangen haben und dafür verurteilt worden sind, oder solche, die an terroristischen Aktivitäten beteiligt waren. In solchen Fällen kann ein Staat die Sicherheit seiner Bürger als gefährdet betrachten. Das Recht auf Schutz wäre für diese Personen aufgehoben.
Übt die Politik da Druck auf Höchstgerichte aus? Während Menschenrechtsorganisationen wie Amnesty International, aber auch die SPÖ in dem Vorstoß eine Gefährdung der Glaubwürdigkeit von des EGMR sehen, sieht der Europarechts-Experte Walter Obwexer keinen unzulässigen Druck auf den Gerichtshof. Die Mitgliedsstaaten des EGMR hätten ein Recht, sich vor dem Gerichtshof zu einzelnen Fällen zu äußern. Außerdem steht ihnen zu, eine andere Auslegung der Menschenrechtskonvention vorzuschlagen, oder sogar eine grundsätzliche Änderung. Der Brief sei also kein Versuch, die Justiz unzulässig zu beeinflussen. Von einer tatsächlichen Änderung der Menschenrechtskonvention rät der Jurist aber entschieden ab?
Geht es auch um andere Asylrechts-Fragen? Die Europäische Menschenrechtskonvention sieht zwar ein Recht auf Familienleben vor, das aber bedeutet nicht das Recht auf Familienzusammenführung, also das Nachholen von Familienmitgliedern durch Asylberechtigte. Dass die von der Bundesregierung vorübergehend gestoppt wurde, ist also kein Bruch der Menschenrechtskonvention.
Eine andere heikle Frage betrifft das Festhalten von Asylwerbern während der Abwicklung des Asylverfahrens. Das ist – unter strengen Beschränkungen – im neuen Asyl- und Migrationspakt der EU vorgesehen. Die Menschenrechtskonvention erlaubt grundsätzlich diese Beschränkung persönlicher Freiheit bei Asylwerbern, mit Ausnahme von Minderjährigen
Welche Folgen könnte der Brief haben? Vorerst nicht mehr, als eine politische Debatte über das Thema anzustoßen. Auch nur eine neue Auslegung der Menschenrechtskonvention, etwa durch eine schriftliche Anmerkung, würde einen einstimmigen Beschluss der 46 Staaten benötigen, die Mitglieder des Europarats sind und für die die Konvention gilt. Dafür wäre in Österreich sogar eine Änderung der Verfassung notwendig, politisch also ein weiter Weg.
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