Wieso die britische Schatzkanzlerin schwer in der Bredouille ist

Sie hätte es richten sollen. Als Rachel Reeves vergangenen Sommer als Mitglied der neuen Labour-Regierung vorgestellt wurde, lastete viel Verantwortung, aber auch große Hoffnung auf ihr. Nach Jahren der Tory-Misswirtschaft sollte die erste Finanzministerin des Landes die angeschlagene Wirtschaft wieder auf Kurs bringen.
Sie sei eine Idealbesetzung, lobte Premier Keir Starmer: Eine ehemalige Ökonomin der Bank of England, eine erfolgreiche Absolventin der Universität Oxford, sogar eine Junior-Schachmeisterin.
Doch nicht einmal drei Monate nach ihrem Amtsantritt könnte die Lage für Rachel Reeves kaum düsterer sein. Diese Wochen rollten Tausende wütende Bauern auf Hunderten Traktoren durch das Londoner Regierungsviertel. Der erboste Pensionistenverband demonstrierte in der Downing Street einmal mehr gegen den gestrichenen Heizkostenzuschuss.
Und die Supermarktkette Sainsbury’s kündigte an, 3.000 Mitarbeiter zu kündigen - die von Reeves verordneten zusätzlichen Sozialversicherungsabgaben seien sonst nicht tragbar.
Die Hälfte gegen sich
Dass die Erbschaftssteuer nur Bauern mit einem Vermögen über einer Million betrifft, der Heizkostenzuschuss nur jenen gestrichen wurde, die keine Sozialleistungen empfangen und Sainsbury’s im vergangenen Halbjahr mit 430 Millionen Euro Profit eine fünfprozentige Steigerung einfahren konnte, ging in der Debatte oft unter.

Das Urteil der Briten scheint gefallen zu sein: Laut einer Ipsos-Umfrage stehen nur mehr 16 Prozent hinter ihr; 46 Prozent bewerten ihre Arbeit negativ.
"Hat sich Sache schwer gemacht"
Für Politikprofessor Tim Bale von der Queen Mary Universität sind die schlechten Beliebtheitswerte keine Überraschung. „In der Landwirtschaft und in der Wirtschaft hat sie es mit einigen der am besten organisierten Interessengruppen im Vereinigten Königreich zu tun“, sagt er.
Rachel Reeves habe sich die Sache unnötig schwer gemacht: „Weil sie vor der Wahl Steuererhöhungen ausgeschlossen hat. Und sie scheint taub für Vorschläge, dass der Staat die Steuerlast vom Einkommen auf das Vermögen verlagern muss.“

Kann sich die öffentliche Meinung noch einmal ändern? „Das wäre nur möglich, wenn das Vereinigte Königreich wirtschaftlich schneller wächst als bisher und sich die öffentlichen Dienstleistungen spürbar verbessern.“ Angesichts eines aktuellen Wirtschaftswachstums von 0,8 Prozent scheint das kaum realistisch.
Beim Lebenslauf geschummelt
Als wäre die Situation für Reeves noch schon schwer genug, stolperte sie nun auch über jene Qualifikation, mit der sie sich zuvor als ideale Kandidatin ausgezeichnet hat: Die BBC enthüllte, dass sich Reeves während ihrer Zeit bei der Bank of Scotland wegen Spesenabrechnungen rechtfertigen musste. Gemeinsam mit zwei anderen Managern wurde ihre vorgeworfen, das Geld für die „Finanzierung eines Lebensstils“ zu nutzen.
Und: Sie soll bei ihrem Lebenslauf geflunkert haben. Anstatt „den Großteil einer Dekade“ bei der Bank of England gearbeitet zu haben – eine Argument, mit dem sie im Wahlkampf gerne ihre Vertrauenswürdigkeit als Finanzministerin unterstrich – waren es in Wirklichkeit nur fünfeinhalb Jahre.

Rachel Reeves
Tim Bale sieht das gelassen. „Es ist ja nicht so, dass sie ihren Doktortitel plagiiert hätte.“
Viele Menschen schmücken ihre Leistungen ein wenig aus, räumt auch Kolumnist Matthew Lynn im Spectator ein. Doch in diesem Fall sei die Täuschung schwerwiegender, ergänzt er: „Weil sie eine umfassendere Besorgnis über eine Politikerin widerspiegeln, die übermäßig gefördert wurde.“
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