Anders als 2017 absolvierte die 53-Jährige dieses Mal nicht bis zuletzt Wahlkampfauftritte, sondern zog sich zur Vorbereitung dieses wichtigen Termins zurück. Es hieß sogar, sie habe das Debattieren mit einem jungen Mann geübt, der optisch dem Präsidenten ähnele.
Ruhiger und präziser
Tatsächlich trat die Rechtspopulistin gestern ruhiger, präziser und professioneller auf. Sie werde den „Franzosen wieder ihr Geld zurückgeben“, versprach Le Pen, die sich als "Sprachrohr" der Schwächsten präsentierte.
Auch als Macron ihr Inkohärenz vorwarf, blieb sie demonstrativ gelassen: Sie wolle zwar die Mehrwertsteuer auf alle Energieprodukte von 20 auf 5,5 Prozent senken, um die Kaufkraft der Menschen zu schützen. "Aber als Abgeordnete in der Nationalversammlung haben Sie gegen unsere Deckelung der Gaspreise gestimmt, die wir eingesetzt haben. Warum, Frau Le Pen?" Sie wolle das System von Grund auf erneuern und aus dem europäischen Energiemarkt aussteigen, erwiderte diese mit zusammengekniffener Miene.
"Sie machen einen schweren Fehler", kommentierte Macron. "Europa muss man reformieren, nicht verlassen." Denn auch wenn sie das heute nicht mehr offen sage, sei der Frexit immer noch ihr Ziel. Mit ihrem Konzept der "nationalen Priorität" wolle sie die Freizügigkeit innerhalb Europas beenden: Ausländer sollten nur noch unter bestimmten Bedingungen in Frankreich arbeiten dürfen – aber was geschehe mit Franzosen, die selbst im Ausland arbeiten wollten?
Unangenehm war für sie auch das Thema Ukraine-Krieg. Macron warf seiner Rivalin vor, im Jahr 2014 rasch die völkerrechtswidrige Annexion der Krim durch Russland anerkannt zu haben. "Und warum haben Sie das gemacht? Weil sie von den russischen Machthabern abhängen." Kurz zuvor habe ihre Partei bei einer russischen Bank einen Kredit aufgenommen, den sie noch immer abbezahle. "Wenn Sie nach Russland fahren, sprechen Sie nicht über Politik, sondern über Ihre Bankgeschäfte."
Macron zeigte sich angriffslustiger als seine Herausforderin. "Hören Sie auf, alles zu durcheinander zu bringen, das ist doch nicht möglich", entfuhr es ihm, als sie ihm vorwarf, der hohe Schuldenberg von 600 Milliarden Euro gehe nur zu einem Drittel auf die Corona-Krise zurück. Diese habe er sehr schlecht gehandelt, sagte Le Pen. "Sagen Sie mir doch, was Sie an meiner Stelle gemacht hätten", erwiderte Macron mehrmals.
Macron vorne
Der Politologe Richard Kleinschmager hält die TV-Debatte nicht für ausschlaggebend für das Wahlergebnis am Sonntag: "Das Duell hat keine entscheidende Bedeutung, es verstärkt eine vorher bestehende Tendenz." Demnach hat Emmanuel Macron weiterhin gute Gewinnchancen, der laut Umfragen bei der Wahl am Sonntag mit rund 55 Prozent der Stimmen rechnen kann. Es wäre dennoch deutlich weniger als 2017. Damals erreichte er 66 Prozent gegenüber 34 Prozent für Le Pen.
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