Kroatien vor Ratsvorsitz: „Nicht mehr Gäste, sondern Teil der EU“

Kroatien vor Ratsvorsitz: „Nicht mehr Gäste, sondern Teil der EU“
​​​​​​​Innenansichten aus einem kleinen Land, das sechs Jahre nach dem Beitritt langsam in der EU ankommt.
Von Uwe Mauch

Die kroatische Hauptstadt zum Jahreswechsel: Wieder einmal sind die Punschstände und Freiluft-Cafés gut besucht. Die Gespräche drehen sich vor allem um die Frage, wer die Präsidentschaftswahl am 5. Jänner gewinnt.

Bleibt Kolinda Grabar Kitarovic, die Vertreterin der von Franjo Tudjman gegründeten HDZ? Oder bezieht der Sozialdemokrat Zoran Milanovic den Amtssitz auf dem Pantovcak? Dass Kroatien am 1. Jänner den Vorsitz im Rat der EU übernimmt – und das zum ersten Mal seit dem EU-Beitritt am 1. Juli 2013 – findet nebenbei Erwähnung.

„Wir kommen langsam an in Europa“, meint dazu der Zagreber Ökonom und Consulter Mladen Vedriš. Langsam würden seine Landsleute ebenso wie die staatlichen Institutionen verstehen: „Wir sind nicht mehr Gäste, wir sind jetzt Teil der Gemeinschaft.“

Endlich durchschauten und nützten die Kroaten das Fördersystem der EU in seiner gesamten Bandbreite. Der EU-Beitritt habe dem Land die gewünschte politische Stabilität verliehen. Das Klima für Investitionen müsse jedoch noch deutlich verbessert werden: „Wir brauchen eine transparente Gesetzgebung und weniger Bürokratie.“

Kennzeichen D und A

All die Autos mit deutschen und österreichischen Kennzeichen, die in diesen Tagen in Zagreb parken, sind der beste Beweis dafür. Inhaber der Autos sind nicht Hans-Detlef und Annemarie, sondern Ivica und Marica – auf Weihnachtsurlaub in ihrer Heimat.

„Alleine im Vorjahr sind 50.000 zumeist junge Menschen von Kroatien nach Deutschland migriert“, zitiert Mladen Vedriš eine brisante Statistik.

Kroatien vor Ratsvorsitz: „Nicht mehr Gäste, sondern Teil der EU“

Mladen Vedriš

Der Brain Drain im Vier-Millionen-Einwohner-Land habe sich nach dem EU-Beitritt weiter beschleunigt. Besonders schmerzhaft: Anders als die „Gastarbeiter“ aus dem ehemaligen Jugoslawien ziehen heute junge Familien mit ihren Kindern bleibend ins Ausland. Die einen, weil sie daheim einfach keinen Job finden; die anderen, weil sie in ihrem Beruf keine Aufstiegsmöglichkeiten sehen.

Die Arbeitslosenzahl hat sich seit dem Beitritt zwar von 17 Prozent mehr als halbiert. Dass jedoch viele Jobs prekär bezahlt werden (300 Euro pro Monat und weniger), bekommen viele, die bleiben, beinhart zu spüren.

Österreichische Öffnungszeiten

Große Einkaufszentren suchen jedenfalls Hände ringend Personal. „Weil sich niemand mehr findet“, berichtet Vedriš, „will man jetzt österreichische Öffnungszeiten einführen“. Heißt: Deutlich kürzer offen halten.

Probleme gibt es auch mit dem Grundbuch. Die digitalen Einträge sind noch immer lückenhaft, was ausländischen Investoren schon viel Geld, Leerlauf und Nerven gekostet hat. Zwar hat sich die Situation seit 2013 verbessert, erzählt ein Wiener Geschäftsmann in Zagreb, von Rechtssicherheit wie in Österreich könne man jedoch noch nicht ausgehen.

In einem Punkt wünschen sich die meisten Befragten mehr EU-Unterstützung: beim Schutz der Grenze zu Bosnien-Herzegowina und Serbien. Um den ansteigenden Flüchtlingsstrom in geordnete Bahnen zu lenken, benötigt die Polizei vermehrt Personal und Ausrüstung.

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