Milizen stürmen zweiten Stützpunkt
Der Konflikt um die Halbinsel Krim spitzt sich weiter zu: Seit dem frühen Morgen hatten russische Milizen das Hauptquartier der ukrainischen Marine in Sewastopol umstellt, gegen Mittag mussten die ukrainischen Soldaten am Mittwoch das Gebäude aufgeben. Das örtliche Internetportal sevastopol.su berichtete, Marinechef Sergej Gajduk habe sich im Jogginganzug gestellt.
Es habe weder Gewalt noch Verletzte gegeben: Rund 200 unbewaffnete Aktivisten, viele von ihnen vermummt, waren auf das Gelände vorgedrungen, von ukrainischer Seite sei kein Schuss gefallen. Auch andere Militär-Einheiten sollen indessen von pro-russischen Milizen besetzt worden sein - nach Angaben des Verteidigungsministeriums verschafften sich die Einsatzkräfte mit einem Traktor Zugang und übernahmen die Kontrolle über den Stützpunkt in Nowoosjornoje im Westen der Halbinsel.
Die Übergangsregierung in Kiew erklärte, Verteidigungsminister Igor Tenjuch und Vizeregierungschef Vitali Jarema würden umgehend in die Region reisen. Angeblich soll ihnen aber die Einreise verweigert werden.
Annexion vollzogen
Bereits am Dienstag hatte sich die Lage verschärft, nachdem der Anschluss der Krim an Russland trotz internationalen Protests paktiert worden war. Kurz nachdem Wladimir Putin und Vertreter der prorussischen Krim-Führung am Dienstag den Vertrag über die Aufnahme der Halbinsel in die Russische Föderation unterzeichnet hatten, fielen auf der Krim die ersten Schüsse. Ein Stützpunkt der ukrainischen Streitkräfte in Simferopol wurde von Soldaten gestürmt, zwei Personen - vermutlich ein pro-russischer und ein ukrainischer Soldat - kamen ums Leben. Die Schüsse abgegeben haben soll ein Heckenschütze.
Der Westen verurteilte das Vorgehen Moskaus umgehend als völkerrechtswidrig und verhängte erste Sanktionen gegen Russland - und vermitteln soll nun auch die UNO: Generalsekretär Ban Ki-moon will kurzfristig nach Russland und in die Ukraine reisen. Ban will am Donnerstag Präsident Wladimir Putin, Außenminister Sergej Lawrow und andere hochrangige Politiker in Moskau treffen, tags darauf mit den ukrainischen Offiziellen sprechen.
EU hilft mit 1,6 Milliarden
Die EU-Kommission hat am Mittwoch zudem ein Hilfspaket für die Ukraine geschnürt. EU-Wirtschafts- und Währungskommissar Olli Rehn kündigte 1,61 Mrd. Euro an, zusätzlich zu den schon zur Verfügung stehenden 610 Mio. Euro werde es eine Mrd. Euro an makrofinanzieller Unterstützung geben, so Rehn. Es handle sich um eine "direkte konkrete Antwort auf die schwierige finanzielle Situation der Ukraine".
Die Sanktionen des Westens scheinen in Russland auf Unwillen zu stoßen: Außenminister Sergej Lawrow telefonierte am Dienstag mit seinem US-Amtskollegen John Kerry. Die bislang erlassenen Sanktionen Washingtons kritisierte er als "inakzeptabel", berichtet die BBC. Er droht nach Angaben seines Ministeriums mit "Konsequenzen", ohne ins Detail zu gehen. Auch das russische Verfassungsgericht hat mottlerweile den Krim-Anschluss gebilligt.
Kiew spricht von "Kriegsverbrechen"
Der ukrainische Premier Jazenjuk hat den Angriff umgehend verurteilt: Er nannte ihn ein "Kriegsverbrechen" und ermächtigte die ukrainischen Truppen zum Waffengebrauch. "Um die Leben unserer Soldaten zu schützen, wurden den ukrainischen Militäreinheiten auf der Krim erlaubt, ihre Waffen zu benutzen", so das Verteidigungsministerium. Der Konflikt um die Krim werde nun nicht mehr politisch, sondern militärisch ausgetragen. Jazenjuk habe seinen Verteidigungsminister angewiesen, ein Treffen mit Vertretern Russlands, Großbritanniens und der USA anzuberaumen.
NATO: "gefährlicher Weg" für Russland
NATO-Generalsekretär Anders Fogh Rasmussen hat den Anschluss mit drastischen Worten verurteilt. Moskau befinde sich auf einem "gefährlichen Weg", teilte Rasmussen am Dienstagabend in Brüssel mit. "Russland verletzt weiterhin die Souveränität und territoriale Integrität der Ukraine und setzt seinen offenkundigen Bruch seiner internationalen Verpflichtungen fort."
Moskau hatte zuletzt Anschluss der Krim mit großer Anstrengung vorangetrieben. Am Sonntag hatten die Bewohner der Halbinsel mit großer Mehrheit für eine Eingliederung in die Russische Föderation gestimmt. Der Rubel wurde schon zur offiziellen Parallelwährung gemacht. In einer Woche wird zudem die Uhrzeit auf der Krim jener Moskaus angepasst. Künftig sollen drei gleichberechtigte Sprachen auf der Krim gesprochen werden - Russisch, Ukrainisch und Krimtatarisch.
Putin unbeeindruckt
Putin dankte den ukrainischen Soldaten auf der Halbinsel Krim, dass "sie ihre Hände nicht mit Blut beschmiert haben". Laut Völkerrecht gehört das Territorium zur Ex-Sowjetrepublik Ukraine. Der Kremlchef lobte die nach seinen Angaben 22.000 ukrainischen Militärangehörigen auf der Krim dafür, dass sie sich die ganze Zeit ruhig verhalten hätten. Nach rund einer Stunde wurde Putins Rede mit frenetischem Applaus der Abgeordneten quittiert.
Wladimir Putin der Held, der die Fehler der Geschichte ausbügelt, Putin der Friedensengel, Putin der Demokrat und starke Führer in Personalunion, der Russland aus der Ecke herausboxt, in die es gedrängt worden sei. Bei seiner Rede vor den beiden Kammern der russischen Staatsduma am Dienstag sprach der russische Staatschef viel vom Selbstbestimmungsrecht der Völker, vom Wiedererstarken Russlands und von den durch Nationalisten und Faschisten gepeinigten ukrainischen Brüdern, mit denen man keinen Krieg wolle. Die Rede endete, wie sie begonnen hatte: Mit stehenden Ovationen.
Es ging um ein Thema mit, wie er es selbst nannte, "historischer Signifikanz": die Krim und deren Anschluss an Russland. "Die Krim war immer russisch und sie wird immer russisch sein", so seine Kernaussage. Bis Ende der Woche könnte der Anschluss vollzogen sein.
Was ist da aus Sicht Putins geschehen in den vergangenen Wochen? Russland sei in eine Situation gebracht worden, in der es gezwungen worden sei, seine Bürger im Ausland zu schützen. Die Bürger der Krim seien als erstes auf Russland zugekommen und hätten um Hilfe gefragt, sie seien für ihr Recht aufgestanden. Das, während Russland viel zu lange die Schmach, dass die Krim ukrainisch sei, geschluckt und seinen Kopf vor dem Westen gebeugt habe.
"Rote Linie"
Und durch wen wurde Russland aus seiner Sicht in die Ecke getrieben? Durch "Partner im Westen", die den Putsch in Kiew betrieben hätten. Diese Partner, die kein internationales Recht achten. Sie hätten eine "rote Linie überschritten". Russland habe auf der Krim nur vollzogen, was Deutschland nach dem Fall des Eisernen Vorhanges mit Zustimmung Russlands vollzogen habe: Eine Wiedervereinigung. Jetzt müsse man die Hysterie beenden, die Rhetorik des Kalten Krieges aufgeben.
Putin spricht feierlich und im Ton sanft. Wie ein Sieger. Er lässt sich feiern. Er bezeichnet die Ukrainer als Brudervolk und versichert, dass Russland kein Interesse habe, diese zu spalten. Auch habe Moskau immer die territoriale Integrität der Ukraine respektiert. Es ist, als hätte die Krim nie zur Ukraine gehört. So, als würde sich im Osten der Ukraine nicht abspielen, was sich gerade abspielt.
In der Sache kehrt Putin nicht im Geringsten ab von seiner Linie – ja verschärft sie eher. Ethnische Russen in der Ukraine würden bedroht, es käme zu Pogromen und Massakern (was durch nichts belegt wird). All das mit Hilfe des Westens, und Russland werde nicht zögern, seine Bürger zu schützen. Bürger, die durch den – ebenfalls vom Westen betriebenen – Zerfall der Sowjetunion auf viele Staaten verteilt seien.
Das kann man als Drohung an die Staaten des Baltikums, des Kaukasus oder Zentralasiens werten. Im Fall der Ukraine aber ist diese Drohung sehr konkret: Entlang der Grenze zur Ukraine sammelt die russische Armee starke Verbände. Durch die Ostukraine zieht eine pro-russische Protestwelle, deren Intensität auch viele ethnische Russen in der Region erstaunt. Der Verdacht liegt nahe, dass Moskau diese Proteste schürt.
Putin zeichnete das Bild einer gemarterten, von Feinden und Neidern umgebenen Nation, der nach dunklen Jahren goldene Zeiten blühen. Er bemüht alte Feindbilder und beschwört Russlands Stärke – oder die eigene: Putin, der Geschichte-Schreiber; Putin, der Heilsbringer, der Russland jenen Glanz verleiht, den es immer gerne gehabt hätte.
Die EU traf nur eine sehr enge Auswahl: Betroffen sind v.a. die verantwortlichen Politiker auf der Krim, wie Regierungschef Sergej Axjonow, dessen Vize Rustam Temirgalijew oder der Vorsitzende des Parlaments. Dazu kommen hochrangige russische Politiker, wie die Vorsitzenden des außenpolitischen und des Verteidigungsausschusses im Föderationsrat. Betroffen sind auch einige Duma-Abgeordnete, die als Vertraute Putins gelten. Auch Militärs fallen unter die Konto- und Reisesperren, etwa die Chefs der Militärbezirke im Westen des Landes, die Truppen auf die Krim schickten, oder der Chef der Schwarzmeerflotte.
USAWashington richtet seine Sanktionen ebenfalls gegen die Regierungsspitze der Krim. Aber auch der gestürzte Präsident der Ukraine, Viktor Janukowitsch, sowie einer seiner Berater sind betroffen. Dazu kommen mehrere russische Politiker, wie etwa Vizepremier Dmitrij Rogosin, aber auch wichtige Berater Putins.
Für die FPÖ ist nichts Schlimmes am - völkerrechtlich zumindest umstrittenen Referendum auf der Krim zu finden. Heinz-Christian Strache hat am Dienstag die EU-Sanktionen gegen Russland als "unnötig" verurteilt. Österreich habe aufgrund des Staatsvertrages besondere Beziehungen zu Russland und dürfe im Konflikt in der Ukraine "keine Partei ergreifen", sagte Strache am Dienstag vor Journalisten in Wien. Strache zog einen Vergleich der Lage mit der in Europa und forderte, auch hier "Selbstbestimmungsreferenden zu akzeptieren". Als Beispiele nannte er Schottland, Katalonien und Südtirol. Der FPÖ-Chef sah aber auch historische Bezüge zum Friedensschluss nach dem 1. Weltkrieg. "Was war das Grundübel? Dass in St. Germain das Selbstbestimmungsrecht des Sudetenlandes verweigert wurde".
Die freiheitlichen Politiker Johann Gudenus und Johannes Hübner waren am Sonntag als von der Krim-Regierung akkreditierte Wahlbeobachter zum Referendum auf die Krim gereist. Der Besuch sei von der Organisation Eurasian Observatory for Democracy and Elections (EODE) bezahlt worden, sagte Gudenus am Dienstag. Diese wird vom belgischen Rechtsextremisten Luc Michel geleitet.
Auch der EU-Abgeordnete Ewald Stadler von den REKOS war am Sonntag dort - er weiß aber nicht, wer seine Reise gezahlt hat. Das EODE habe die Reise organisiert, doch "Mir ist kein Sponsor bekannt", sagte er der APA am Dienstag. Er habe Flugticket und Hotelreservierung erhalten, könne aber nicht sagen, wer dafür aufgekommen sei. Es seien aber "weder EU noch Steuerzahler" gewesen, betonte der ehemalige FPÖ-Politiker.
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