Tribunal spricht Urteil für Karadzić

"Es ist nie zu spät", sagt Serge Brammertz und lehnt sich in den Sessel, der vor einem riesigen Porträt von Mahatma Ghandi steht. Brammertz ist der Chefankläger des Internationalen Strafgerichtshofs für das ehemalige Jugoslawien in Den Haag. Für den Vollblutjuristen ist klar: Verantwortliche müssen zur Rechenschaft gezogen werden. Dann erst erfahren die Opfer und deren Angehörige Gerechtigkeit.
Am Donnerstag soll es für Radovan Karadzić so weit sein. Der frühere Präsident der Republika Srpska ist in elf Punkten angeklagt. Darunter Völkermord in zwei Fällen: Die gezielten Angriffe auf Muslime in bosnischen Städten und den Massenmord in Srebrenica im Juli 1995.
Das bevorstehende Urteil sei vor allem eines: Ein Symbol dafür, dass selbst die höchsten Politiker zur Rechenschaft gezogen würden, so Brammertz – der offenbar einen Schuldspruch erwartet. Kritiker sehen das anders. Das Kriegsverbrechertribunal wühle seit Jahrzehnten schmerzvolle Erinnerungen der Betroffenen auf. Doch Brammertz ist sich sicher: "Für eine Versöhnung braucht es Verantwortung."
"Wunderheiler"

Der heute 70-Jährige wurde schließlich 2008 überraschend doch noch festgenommen – gerade noch vor der Schließung des Kriegsverbrechertribunals, die 2010 geplant war. Es folgten 500 Sitzungstage in sechs Jahren, 800.000 Seiten Gerichtsakten, 586 Zeugen, darunter auch Überlebende von Srebrenica. Karadzić, der immer schrulliger erschien, aber immerhin rasiert und wieder erkennbar war, vertrat sich vor Gericht selbst. "Es hat viel zu lange gedauert", gesteht Brammertz jetzt doch ein.
Milosević nie schuldig
Das Tribunal in Den Haag hat bisher gegen 20 Männer wegen der Verbrechen in Srebrenica Anklage erhoben. 14 von ihnen wurden für schuldig befunden, einer aus Mangel an Beweisen in zweiter Instanz freigesprochen. Ex-Präsident Slobodan Milosević jedenfalls wurde nie schuldig gesprochen. Er starb 2006 in seiner Zelle – vor einem Urteil. Der zweite enge Weggefährte Karadzićs, der frühere bosnisch-serbische General Ratko Mladić, wartet noch auf das Ende seines Prozesses. Ein Urteil soll es nächstes Jahr geben. Danach wird die Arbeit des Tribunals enden.
Karadzićs Urteil jedenfalls sei deshalb "eines der wichtigsten des Tribunals", sagt Brammertz in seinem Interview mit der AFP. Politiker seien schließlich verantwortlich für das Leid des eigenen Volkes. Er sei "bestürzt", sagt er, wegen der immer noch anhaltenden schweren Spaltungen in der Region. "Aber wenn es das Tribunal gar nicht gegeben hätte, dann wäre die Situation heute noch viel schlimmer", ist der Chefankläger überzeugt.
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