Nach dem "Königsmord": Wie geht es weiter im US-Kongress?
In einem historischen Schritt stürzen Parteirebellen der Republikaner den Sprecher des US-Repräsentantenhauses. Es herrscht Schock und Stillstand.
04.10.23, 15:27
aus Washington Dirk Hautkapp
Der Rauswurf von Kevin McCarthy, bis Dienstag Sprecher des Repräsentantenhauses, stellt eine Zäsur dar. So etwas hat es im politischen Drehbuch der USA noch nie gegeben. Völlig offen ist deshalb auch die Frage: Was nun?
Was heißt das für...
... die Republikaner?
Die Partei war noch nie so zerrissen und unregierbar, die zerstörerische Kraft in den eigenen Reihen noch nie so groß. Matt Gaetz, der Anführer der Aufständischen, sei die "Verkörperung des antidemokratischen Geistes, den der frühere Präsident Donald Trump geweckt hat", sagen Analysten in Washington. Gaetz und die sieben anderen Republikaner, die gegen McCarthy stimmten, gehe es nicht darum, mit möglichst breiter Mehrheit Gesetze zu verabschieden. Sie wollten vielmehr den politischen Betrieb sabotieren und die traditionellen Führungsstrukturen der Republikaner in die Luft jagen. Die Radikalen haben weder einen plausiblen Nachfolger für McCarthy aufgebaut noch ein schlüssiges Politik-Konzept, wie es besser zu machen wäre.
Am Mittwoch haben sich übereinstimmenden Medienberichten zufolge erste Republikaner öffentlich für die Nachfolge angeboten. So meldeten der Trump-Getreue und Abgeordnete Jim Jordan aus dem Bundesstaat Ohio sein Interesse an. Auch die bisherige republikanische Nummer zwei in der Kammer, Steve Scalise, kündigte an, er wolle ins Rennen einsteigen.
... die Demokraten?
Sie hätten McCarthy mit ihren am Dienstagabend 208 verfügbaren Stimmen retten können. Hakeem Jeffries, ihr Anführer, hat aber bewusst darauf verzichtet, weil dies vor allem im linken Spektrum seiner Fraktion nicht vermittelbar gewesen wäre. Dort nimmt man mehr als übel, dass McCarthy das Amtsenthebungsverfahren gegen Joe Biden unterstützt und zuletzt wider besseres Wissen die Demokraten für den drohenden Regierungsstillstand verantwortlich gemacht hat. Die stille Genugtuung über den "Königsmord" im gegnerischen Lager könnte aber nur kurz sein: Das in der Bevölkerung in Misskredit geratene Parlament könnte insgesamt weiter an Ansehen verlieren.
Das US-Parlament steht vor einer Reihe schwieriger und wichtiger Entscheidungen, von denen zig Millionen Menschen betroffen sind. Bis Mitte November muss ein neuer Staatshaushalt verabschiedet werden. Andernfalls droht eine Neuauflage des Regierungsstillstands, den McCarthy mithilfe der Demokraten am Wochenende noch abgebogen hatte. Wann die Konservativen sich auf einen Nachfolger verständigen werden, ist offen.
Eine Wahl ist für nächsten Mittwoch vorgesehen, aber eine Hängepartie ist nicht ausgeschlossen. Zumal nicht wirklich klar ist, was der oder die "Neue" denn substanziell anders machen soll als McCarthy. Ohne einen "Speaker" im Repräsentantenhaus, der im Staatsgefüge hinter Präsident und Vizepräsidentin die Nummer drei ist, läuft nichts.
Der gerade mit Mühe zusammengeschusterte US-Nothaushalt, der am 17. November ausläuft, kam nur zustande, weil frische Ukraine-Finanzhilfen ausgeklammert wurden. Präsident Joe Biden hatte 24 Milliarden Dollar zusätzlich beantragt – sie sind nun blockiert. Woher dieses Geld in sechs Wochen kommen soll, ist heute schleierhaft. Die Rebellen bei den Republikanern werden ihren Widerstand gegen Militärhilfen für Kiew weiter verstärken und stattdessen fordern, dass doch Europa mehr Geld und Waffen bereitstellen soll. Darum muss sich erst noch zeigen, was die jüngsten Beteuerungen des Weißen Hauses gegenüber westlichen Verbündeten tatsächlich wert sind, wonach der Fortbestand des US-Engagements für die Ukraine gesichert sei.
... für Donald Trump?
Ganz gegen sein Naturell gab sich der Ex-Präsident am Dienstagabend handzahm: "Warum ist es so, dass sich die Republikaner immer untereinander bekämpfen? Warum bekämpfen sie nicht die radikal linken Demokraten, die unser Land zerstören?", fragte er auf seiner Online-Plattform Truth Social. Trump, der republikanische Favorit für die Präsidentschaftskandidatur 2024, darf sich durch das Tohuwabohu in seiner Selbstwahrnehmung bestätigt fühlen: Nur einer kann Amerika jetzt noch retten – Donald Trump.
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