Jürgen Todenhöfer: "Trumps Politik ist gefährlich“

Jürgen Todenhöfer.
IS-Kenner und Journalist Jürgen Todenhöfer im KURIER-Interview über die Fehler der USA und Versäumnisse von Merkel in Syrien.

Herr Todenhöfer, Sie schreiben, bei der Politik des Westen im Nahen Osten ging es nie um Freiheit und Menschenrechte. Hätte man die Diktatoren Saddam Hussein oder Assad einfach weitermachen lassen sollen?

Wir haben in Deutschland eine Verfassung, die einem genau sagt, wann man Kriege führen darf. Und deswegen haben wir uns auch am Irak-Krieg 2003 nicht beteiligt. Weil das war ein Angriffskrieg und der ist nach deutschem Grundgesetz verboten. Aber bei Afghanistan hieß es, die Freiheit Deutschlands werde am Hindukusch verteidigt, wir kämpfen um Freiheit, Demokratie, um Menschenrechte – und das ist die Unwahrheit. In Afghanistan hat man nicht gesagt, dass es um geostrategische Gründe der Amerikaner ging, von wo aus sie China und den ganzen Osten beherrschen könnten. Sondern man hat gesagt, wir wollen afghanischen Schulmädchen helfen, damit die wieder in die Schule gehen können. Und wenn Sie heute einen Politiker fragen, was ist denn aus den afghanischen Schulmädchen geworden, dann wissen sie das gar nicht, weil es sie nicht interessiert hat. Das war reine Heuchelei.

Die Amerikaner haben den Deutschen doch dauerhaft die Freiheit gebracht.

Ich habe 1945, bei Kriegsende in Hanau gelebt, ich war vier Jahre alt und habe wenige Tage, bevor die Amerikaner einmarschiert sind die Totalauslöschung von Hanau erlebt, mit 2000 Toten in 20 Minuten. Das vorderste Ziel war nicht die Freiheit, die Amerikaner wollten sich von einem kriminellen, machtbesessenen Hitler befreien. Die wollten sich selber befreien.

Als CDU-Politiker waren sie noch sehr pro-amerikanisch.

Ich war bei algerischen Rebellen, war in Kuba, in Chile und Vietnam. Das heißt, ich habe eigentlich alle großen Krisenherde der letzten 60 Jahre besucht. Als ich im Bundestag war und rüstungspolitischer Sprecher, da fand ich das größte außenpolitische Problem darin, dass ein sowjetisches Unrechtssystem sehr aggressive Außenpolitik machte. Ich war damals auch zu Fuß durch Afghanistan gelaufen. Die Sowjetunion ist schließlich verschwunden, und das ist gut so, momentan sehe ich in der aggressiven Außenpolitik Amerikas eine große Gefahr.

Kommen wir nach Syrien, Sie schreiben, dass Assad Sie im Dezember 2015 gebeten hat, einen Friedensplan zu Bundeskanzlerin Merkel zu bringen, dass er Merkel als Vermittlerin im Bürgerkrieg haben wollte.

Wir haben lange darüber geredet, wer denn einer Friedenslösung im Wege stehen würde. Er hat in dem Brief an Merkel sehr dezidiert und in einer Form, die er gar nicht zurücknehmen konnte, sich festgelegt, dass er Frieden wollte. Und ich gehe davon aus, dass der Sicherheitsberater von Merkel mit der Sicherheitsberaterin von Obama gesprochen hat. Die Amerikaner haben aber jeden Friedensversuch in Syrien verhindert. Der Westen hatte die Ziele, dass er dort den Haupteinfluss bekommt und zwar durch Unterstützung von Rebellen, leider auch von terroristischen Bewegungen. Da gibt es ja das aufgezeichnete Gespräch von John Kerry, der gesagt hat, wir haben den IS absichtlich stark werden lassen, um Assad zu schwächen.

Donald Trump sagt, der IS sei geschlagen. Sehen Sie das auch so?

Nein, überhaupt nicht. Der IS ist eine Ideologie und Ideologien kann man nicht erschießen. Diese grauenvolle IS-Ideologie ist wie alle terroristischen Ideologien durch tatsächliche oder eingebildete Ungerechtigkeiten entstanden. Eine Terrorgruppe müssen Sie mit Härte, Klugheit und Gerechtigkeit besiegen. Es gab 15.000 Kämpfer in beiden Ländern, in Syrien und im Irak, von diesen 15.000 sind 3.000 getötet worden. Der Rest ist untergetaucht. Und wird unter einem anderen Namen wieder auftauchen.

Kommen wir zum Iran, da spitzt sich gerade die Kriegsgefahr zu. Iranische Politiker drohen regelmäßig, dass sie Israel auslöschen wollen.

Ich war schon zehn Mal im Iran, ich habe mit der politischen Führung gesprochen, deshalb widerspreche ich. Der frühere Präsident Ahmadinejad wurde da nicht richtig übersetzt. Es war meiner Meinung nach eine bewusste Provokation. Es war eine der ganz ganz törichten Äußerungen. Ich habe auch mit jüdischen, iranischen Parlamentariern gesprochen. Ich habe mit Ihnen Gottesdienst gefeiert. Ich halte die Äußerungen iranischer Politiker zu Israel für inhaltlich nicht akzeptabel und auch für äußerst unklug. Ich habe denen immer wieder gesagt, hört auf über die Geschichte Israels zu sprechen, sprecht über die Politik von Netanjahu.

Sie schreiben, der Iran habe seit Jahrhunderten kein Land angegriffen. Aber er unterstützt Terrortruppen im Irak, im Libanon und im Gaza-Streifen.

Die Amerikaner nennen mittlerweile jeden Gegner Terroristen. Die Hisbollah, die schiitische Miliz im Libanon ist eine Gruppe, die im Ausland eigentlich keine anderen Länder angreift. Wenn Sie jedem Gegner Terrorismus vorwerfen, können Sie mit niemandem mehr sprechen. An der Entstehung der palästinensischen Hamas war Israel ursprünglich sehr interessiert.

An den Zuständen im Gaza-Streifen ist doch die Hamas mitschuld, die ihre Machtposition ausbauen will, und Israel bekämpft.

Was soll die Führung dieser Leute mit diesem elendigen Leben im Gazastreifen machen? Es stimmt, was Sie sagen, sie erkennen Israel nicht an. Sie argumentieren, dass Israel den palästinensischen Staat nicht anerkennt. Die Oppositionspartei der Palästinenser hat Israel im Oslo-Abkommen ausdrücklich anerkannt, den Staat Israel und die Sehnsucht der Israelis, als Juden zu leben. Also man hat all das gemacht, was die Hamas heute fordert. Aber was hat die Fatah bekommen? Haben die einen zweiten Staat bekommen? Nichts hat sie bekommen. Und ich bin genau wie Sie der Meinung, am Ende muss es eine Friedenslösung geben. Wenn die Palästinenser den Israelischen Staat anerkennen und wenn Israel den Palästinensischen Staat anerkennt.

Es droht ein Krieg rund um den Iran.

Ich hoffe, dass es keinen Krieg gibt, aber die Politik von Trump gegenüber Iran ist sehr gefährlich. Es ist ein stolzes Land, die Menschen stehen hinter den Führern, sie wollen sich von den Amerikanern nicht malträtieren lassen. Ich habe vor rund 10 Jahren in Teheran gesagt, es ist eine Schande, wenn ein Land wie der Iran mit Zahlen spielt, wie viele Juden im Holocaust ermordet wurden. Und sie haben mich trotzdem gefragt, ob ich bereit wäre, der amerikanischen Regierung eine Botschaft zu überbringen. Ein Jahr später war ich mit einer iranischen Botschaft bei der amerikanischen Regierung. Der erste Punkt: Wir wollen Frieden mit Amerika, der zweite Punkt hieß, wir sind bereit, große Zugeständnisse bei den Nuklearverhandlungen zu machen. Dann haben sie Zugeständnisse gemacht, wie kein anderes Land. Die waren schwer durchzusetzen bei den Hardlinern. Und jetzt leiden sie unter dem Wirtschaftsboykott. Die Situation ist so explosiv, weil sie sich – wie man in Österreich sagt – verarscht fühlen.

Sie schreiben auch über die Krise in der islamischen Welt, überall Diktaturen oder autoritäre Regime, fast überall sehr viel Armut und Rückständigkeit.

Vor 200 Jahren, im Jahre 1800, da war das Osmanische Reich, jetzt versinkt die muslimische Welt in der Bedeutungslosigkeit so wie das Römische Reich oder das Griechische Reich. Aber seit 200 Jahren beginnt ein Krieg nach dem anderen gegen Algerien, gegen Marokko, dann beginnt die Kolonialisierung. Und nachdem sie die Kolonialmächte abgeschüttelt haben, begannen Militärinterventionen, Beispiel Suez-Kanal. Ich kann Ihnen gar nicht aufzählen, wie viele Kriege begonnen wurden nach 9/11. Ein großer Teil der Regierungen, die wir da jetzt beklagen, ist vom Westen eingesetzt worden. Oder auch manchmal von Russland. Die Politiker und Könige, die nicht das größte Ansehen haben im Westen, bekommen Geld von Amerika.

Aber für die Rückständigkeit in Saudi Arabien, die grausamen Strafen, die Unterdrückung der Frauen kann der Westen nichts.

In Teheran läuten die Glocken von dutzenden Kirchen. Wenn Sie die mangelnde Toleranz der Herrscher, die wir an die Macht gebracht haben, meinen, dann teile ich Ihre Meinung. Der Grund, warum ich als 18-jähriger Student und dann als 20-jähriger von Paris aus nach Marokko und dann nach Algerien gegangen bin. Ich habe all das gelesen, was Sie jetzt zurecht in die Debatte geworfen haben. Und sie artikulieren die Ängste bei Menschen. Und dann kam ich in diese Länder, wo angeblich überall auf der Straße die Frauen verhauen werden und treffe eine Freundlichkeit, wie ich sie nie zuvor erlebt habe.

Aber Erdogan oder die Saudis wollen auch in Europa einen mittelalterlichen Islam durchsetzen.

Hat Erdogan autoritärere Züge als Trump? Ich treffe auf meinen Lesungen immer wieder hunderte von Muslimen. Und die Radikalen, die man immer wieder zitiert, die treffe ich nicht. Ich weiß, dass es den IS gibt, ich weiß, dass es Al Kaida gibt, aber ich weiß auch, dass die überwiegende Mehrheit der Muslime, die ich auf Lesungen treffe, dass sie den IS einfach verachten. Es ist für sie der anti-islamische Staat. Weil die Barmherzigkeit fehlt. Ich halte es für eine gefährliche Propaganda, dieses gefährliche Image, was man den Muslimen anhängt. Und ich finde es auch genauso grausig, dieses gefährliche Klischee, was man früher unseren jüdischen Mitbürgern angehängt hat.

Zur Person:

Jürgen Todenhöfer (78), Jurist, CDU-Abgeordneter im deutschen Bundestag zwischen 1972 und 1990, Sprecher für Abrüstung und Entwicklungspolitik,  Mitglied des Vorstands im Burda-Medienhaus zwischen 1987 und 2009. Seit seit seiner Jugend ist Todenhöfer in Kriegsgebieten unterwegs, ab 2001 argumentiert der frühere Pro-Amerikaner gegen die Interventionspolitik der USA. 2015 erschien sein Buch :„Inside IS, 10 Tage im Islamischen Staat“.

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